Serra Bucak: „Wir werden eine neue Zeit einläuten“

Die Ko-Bürgermeisterin von Amed, Serra Bucak, kündigt an, die durch die Zwangsverwaltung angerichtete Zerstörung zu beenden und einen Aufbauprozess in der Stadt einzuleiten.

Neue Perspektiven für Amed

Die Kommunalwahlen vom 31. März stellen einen Wendepunkt in der Geschichte der Türkei und Nordkurdistans dar. Mit einem großen Zuwachs an Stimmen konnte die DEM-Partei in vielen weiteren Gemeinden die durch Wahlbetrug oder durch Anordnung ins Amt gekommenen Regimevertreter aus ihren Sesseln fegen. In Amed (tr. Diyarbakir), der inoffiziellen Hauptstadt Kurdistans, gewannen die Ko-Bürgermeisterkandidat:innen Doğan Hatun und Serra Bucak der DEM-Partei 64,9 Prozent der Stimmen und zogen am Montag begleitet von einer großen Menschenmenge ins Rathaus. Serra Bucak hat sich gegenüber ANF über die Wahlen und die Perspektiven und Projekte in der Stadt geäußert.

Das kurdische Volk hat seinen Willen gezeigt“

Die DEM-Partei hat im Dezember mit Vorwahlen zur Kandidatenbestimmung begonnen. Diese Vorwahlen hatten einen radikaldemokratischen Charakter, da die Kandidat:innen nicht auf Parteitagen, sondern von Volksversammlungen bestimmt wurden. Serra Bucak berichtete über die Arbeit im Wahlkampf: „Wir haben bereits während des Wahlkampfes gesehen, dass das kurdische Volk seinen Willen zum Ausdruck bringen und diesen Willen mit Nachdruck verteidigen würde. Tatsächlich haben wir uns nicht geirrt: Das kurdische Volk zeigte einen festen Willen und wurde zum bestimmenden Faktor der Wahl. Es hat alle Hindernisse am Wahltag und nach der Wahl überwunden. Das haben wir ja auch in Wan gesehen. Dort hat der Widerstand dazu geführt, dass die Aberkennung der Bürgerrechte von Abdullah Zeydan rückgängig gemacht wurde. Das hat zu großer Moral und Motivation geführt. Ohne das kurdische Volk und seinen Willen wäre dieser Wahlerfolg nicht möglich gewesen. Wir haben in vielen Teilen von Amed unsere Stimmenzahl erhöht und die Wahl mit einem historischen Ergebnis gewonnen. Ich gratuliere dem kurdischen Volk, es hat Widerstand geleistet und seinen Willen gezeigt.“

Amed wird eine Frauenstadt werden“

Serra Bucak berichtete über die vorgefundene Situation: „Die Zwangsverwalter haben ernsthafte Schäden verursacht. Dazu kommen noch die Zerstörungen und Schäden, die die türkische Regierung durch ihre Politik angerichtet hat. Es gibt einen massiven ökonomischen Niedergang im Lande. Die Gründe dafür sind offensichtlich. Dahinter stehen die Haushaltsmittel, die seit mehr als vierzig Jahren in die Kriegspolitik fließen. Das ist einer der Hauptgründe für dramatische Verschlimmerung der Krise. Das erleben wir gerade hier in den Städten. In Amed kommt eine soziale, kulturelle und identitäre Zerstörung zu den hier auch noch von den Zwangsverwaltern verursachten ökonomischen Problemen hinzu. Wir werden sobald wie möglich damit beginnen, die sozialen und identitären Schäden durch die Zwangsverwaltung zu beheben. Dabei werden wir Hand in Hand mit den Bezirksverwaltungen arbeiten. Vor allem hat die Provinz ein sehr ernstes Infrastrukturproblem. In allen 17 Bezirken gibt es Dörfer ohne fließendes Wasser. Zunächst einmal werden wir diese Probleme lösen. Im Bereich der Identität, der Sprache und der Kultur haben die Zwangsverwalter massive Schäden angerichtet. Wie Sie wissen, haben sie gleich nach ihrer Ernennung Sprach- und Kultureinrichtungen geschlossen. Wir werden diese Einrichtungen wieder zum Leben erwecken. Innerhalb der Stadtverwaltung werden wir in allen Stadtteilen Sprachkurse für die Entwicklung der kurdischen Dialekte einrichten. Es gibt ernsthafte Schäden, insbesondere an Fraueneinrichtungen. Um diese Schäden zu beheben, werden wir erneut eine Abteilung für Frauenpolitik einrichten. Wir werden Gewalt gegen Frauen bekämpfen und, wie es die Frauen fordern, Frauenberatungsstellen eröffnen. Frauen werden in Amed wieder eine Stimme haben. Wir werden Amed wieder zu einer Stadt machen, in der Frauen das Sagen haben und aktiv an der Wirtschaft und Politik teilhaben."

Große Leistungen und großer Kampf“

Acht Jahre stand Amed unter Zwangsverwaltung. Die Situation in der Stadtverwaltung ist daher dramatisch. Bucak beschrieb: „Wir werden uns intensiv mit den Schäden, den Schulden und dem Haushaltsdefizit, das die Zwangsverwalter in den vergangenen acht Jahren angerichtet haben, auseinandersetzen und die Bevölkerung von Amed absolut transparent über die Lage informieren. Wir werden sofort unsere Arbeit in allen Bereichen einleiten und mit einem neuen Aufbauprozess beginnen. Wir werden uns für demokratische und freie Städte einsetzen, für eine soziale und an der Bevölkerung orientierte Stadtverwaltung, und wir werden eine Struktur schaffen, welche die gesamte Gesellschaft einschließt und auf Pluralismus basiert. Die Jugend braucht dringend Arbeitsplätze. Die Menschen hier sind arm. Die Armut verschärft sich von Tag zu Tag. Wir werden Projekte entwickeln, mit denen wir Beschäftigungsmöglichkeiten für die Jugend schaffen. Junge Menschen werden in dieser Stadt ein Mitspracherecht haben. Wir werden die lokale Wirtschaft fördern und in unseren eigenen Einrichtungen Arbeitsplätze für junge Menschen schaffen. Wir werden Berufsausbildungslehrgänge für junge Menschen eröffnen. Leider hat das System eine schreckliche Einstellung zu jungen Menschen. Die Jugend leider unter Suchtproblemen. Wir werden daran arbeiten, dieses Problem zu überwinden. Wir werden verschiedene Aktivitäten zur Entwicklung der Frauenpolitik durchführen. Frauen haben sehr wichtige Forderungen nach Präsenz im Arbeitsleben. Wir werden Frauenkooperativen gründen, um die Arbeitsfelder und die Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen zu entwickeln. Wir werden die Agrarpolitik der Provinz verbessern und Beschäftigungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft schaffen.“

Das System des Ko-Vorsitzes auf alle Bereiche ausdehnen“

Bucak beschreibt das System des Ko-Vorsitzes als eine wichtige Errungenschaft des Frauenkampfes. So werden alle Posten, auch das Amt der Ko-Bürgermeister:in, mindestens durch einen Mann und eine Frau besetzt. Serra Bucak erklärte: „Dank der Beteiligung und Vertretung von Frauen in der Politik sind wir heute sowohl in der Partei als auch in den lokalen Verwaltungen gleichberechtigt vertreten. Das ist ein wichtiger Erfolg für den Kampf der Frauen. Alle Aspekte der Kommunalverwaltung werden aus weiblicher Perspektive betrachtet. Wir wollen demokratische, freie Städte schaffen. Das ist nur mit einer Frauenperspektive und einer gleichberechtigten Vertretung von Frauen und Männern möglich. Wir müssen das System des Ko-Vorsitzes auf alle Bereiche ausweiten.“