Regime verschärft Vorgehen gegen Widerstand in Ostkurdistan

Das iranische Regime geht verschärft gegen den Widerstand in Ostkurdistan vor. In Seqiz und vor allem Sine, zwei Epizentren der Volksrevolte nach dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini, herrschen kriegsähnliche Zustände.

Das iranische Regime geht verschärft gegen den Widerstand in Ostkurdistan vor. In Seqiz (Saqqez) und Sine (Sanandadsch) herrschen seit dem Wochenende kriegsähnliche Zustände. Seit dem frühen Montagmorgen hallen Schüsse und Explosionen durch die Straßen, Polizei und Basidsch-Milizen feuern auf Wohngebäude, verwüsten Autos und knüppeln Demonstrierende nieder. Die Armee bereitet sich offenbar auf eine Belagerung beider Städte vor, um die seit inzwischen mehr als drei Wochen tobende Volksrevolte niederzuschlagen. In sozialen Medien ist von einem drohenden Massaker die Rede, das Internet wurde nahezu vollständig heruntergefahren. Amnesty International zeigte sich alarmiert über das harte Vorgehen in Sine und den digitalen Blackout. Die Organisation forderte die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen auf, mehr Druck gegen das iranische Regime und seine Vertreter auszuüben, damit die Gewalt gegen Protestierende beendet wird.

Die Menschenrechtsorganisation Hengaw berichtete von einem massiven Großaufgebot von Sicherheitskräften in mehreren kurdischen Städten. Nach Sine wurden am Montag zusätzliche Spezialeinheiten für Aufstandsbekämpfung aus dem zentraliranischen Yazd verlegt, auf dem Flughafen der Stadt sind am Abend mehrere Kampfflugzeuge gesichtet worden. Seit Samstag wurden laut Hengaw mindestens fünf Menschen in der Region von iranischen Regimetrupps ermordet, dutzende sind verletzt. Ob es dort vergangene Nacht wieder Tote und Verletzte gab, war zunächst unklar. Wie viele Todesopfer die gewaltsame Niederschlagung der Proteste bisher insgesamt forderte, ist ebenfalls nicht bekannt. Menschenrechtsgruppen geben die Zahl der Toten mit mindestens 185 an, befürchten jedoch weit mehr Opfer.

Die Demonstrationen in Seqiz und Sine sind eine Art Mikrokosmos der Proteste, die das Land seit dem gewaltsamen Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini erschüttern. Die Kurdin, die aus Seqiz stammte, war am 13. September in Teheran von der Sittenpolizei festgenommen worden, weil sie gegen die in Iran herrschende Kleiderordnung verstoßen haben soll. Drei Tage später starb sie an den Folgen von Polizeigewalt. Bei ihrer Beerdigung am 17. September brachen erste Proteste aus, die sich unter der Führung von Frauen und Jugendlichen schnell gegen den herrschenden Klerus und das System der Islamischen Republik richteten und dem Leitsatz „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frauen, Leben, Freiheit) folgend wie ein Lauffeuer das Land und alle Teile der Gesellschaft überzogen.

Proteste weiten sich auf Öl- und Gasindustrie aus

Inzwischen beteiligen sich auch Werktätige der Öl- und Gasindustrie an der Revolte gegen das Regime. Mehr als tausend Arbeiter der petrochemischen Werke Buschehr, Damawand und Hengam in der Hafenstadt Assaluje am Persischen Golf streikten und protestierten seit dem frühen Montagmorgen, wie Radio Farda, der iranische Ableger von Radio Free Europe/Radio Liberty berichtete. Auch ein Teil der Belegschaft der staatlichen iranischen Raffinerie Abadan hätte sich dem Streik der Petrochemiearbeiter in Assaluje angeschlossen. In Videoaufnahmen waren Dutzende Männer zu sehen, die dort teils vermummt Protestparolen wie „Tod dem Diktator“ riefen.

Im lange sanktionierten Iran ist die Öl- und Gasindustrie eine enorm wichtige Einnahmequelle. Sollte die Widerstandsbewegung auch unter den Arbeitern der Branche immer mehr Zulauf finden, wäre das eine ernst zu nehmende Bedrohung für die Führung in Teheran.