Seit 17 Tagen protestieren die 70-jährige Emine Şenyaşar und ihr Sohn Ferit Şenyaşar mit einem Sitzstreik vor dem Gerichtsgebäude in der nordkurdischen Provinzhauptstadt Riha (tr. Urfa). Emine Şenyaşar fordert Gerechtigkeit für ihre im Juni 2018 von Leibwächtern und Verwandten des AKP-Abgeordneten Ibrahim Halil Yıldız getöteten Angehörigen: ihren Ehemann Hacı Esvet und ihre beiden Söhne Celal und Adil Şenyaşar. Immer wieder kommt es bei der verzweifelten Protestaktion zu Angriffen und Schikanen durch die Polizei. Emine Şenyaşar ist bereits mehrmals festgenommen und in Handschellen abgeführt worden.
Am Donnerstag brachte Emine Şenyaşar Bilder vom Tag des Massakers mit, die sie auf Staffeleien ausstellte. Die Bilder erregten nicht nur die Aufmerksamkeit von Passanten, sondern auch die der Polizei. Die Staffeleien wurden umgestoßen und beschlagnahmt. Dagegen wehrten sich Mutter und Sohn. Ferit Şenyaşar erklärte: „Wir sind seit 17 Tagen hier. Wir haben bis heute alles gemacht, was ihr gesagt habt. Erst waren wir im Gericht und ihr habt uns hinausgeschickt. Auch wenn ihr uns jetzt umbringt, wir werden keinen Schritt weiter weichen.“ Die Mahnwache ist im Moment von der Polizei eingekesselt und wird fortgesetzt.
Emine Şenyaşar vor dem Polizeiangriff
Hintergrund des Dreifachmordes im AKP-Wahlkampf
Das Verbrechen an Familie Şenyaşar hat sich am 14. Juni 2018 in der nordkurdischen Kreisstadt Pirsûs (tr. Suruç) im Vorfeld der wiederholten Parlamentswahlen zugetragen. Der AKP-Kandidat Ibrahim Halil Yıldız hatte mit Verwandten den Laden der Familie Şenyaşar aufgesucht. Dabei kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung, die in eine Schießerei mündete. Die Brüder Adil, Celal und Ferit Şenyaşar wurden von Yıldız und seinen Begleitern mit Pistolen und Langwaffen attackiert.
Die durch den Angriff verletzten beiden Söhne von Hacı Esvet Şenyaşar, Adil und Celal Şenyaşar, wurden in die Notaufnahme des staatlichen Krankenhauses in Pirsûs eingeliefert. Ein anderer Sohn wurde in das staatliche Krankenhaus Balıklıgöl im Zentrum der Provinzhauptstadt Riha gebracht. Hacı Esvet Şenyaşar selbst hatte sich zu Fuß ins Krankenhaus in Pirsûs begeben.
Auf Betreiben des AKP-Kandidaten zerstörten Verwandte von Ibrahim Halil Yıldız zunächst die Überwachungskameras im Krankenhaus und töteten anschließend einen der Söhne von Hacı Esvet Şenyaşar in der Notaufnahme. Ein weiterer Sohn wurde vor dem Krankenhaus ermordet. Durch Schläge mit einer Sauerstoffflasche auf den Kopf wurde Hacı Esvet Şenyaşar schwer verletzt und in ein Krankenhaus in Dîlok (Antep) eingeliefert. Er verstarb einen Tag später, während seine Söhne in Pirsûs beigesetzt wurden.