Meldeauflagen gegen Şenyaşar-Witwe verhängt

Zweieinhalb Jahre sind vergangenen, seit Emine Şenyaşars Ehemann und zwei ihrer Söhne in Pirsûs von Personenschützern eines AKP-Politikers ermordet wurden. Gestern wurde die 70-Jährige bei einer „Mahnwache für Gerechtigkeit“ festgenommen.

Ein Gericht in der nordkurdischen Provinzhauptstadt Riha (tr. Urfa) hat Meldeauflagen gegen Emine Şenyaşar und ihren Sohn Ferit Şenyaşar angeordnet. Beide waren am Mittwoch bei einer „Mahnwache für Gerechtigkeit“ vor der Parteizentrale der AKP vorübergehend festgenommen worden. Zuvor hatten sie ein Gespräch mit dem Provinzverbandsvorsitzenden der türkischen Regierungspartei gefordert. Daraufhin rückten Beamte der Antiterrorpolizei ein und führten die 70-Jährige sowie ihren Sohn in Handschellen ab. Bei der Polizei verweigerten beide die Aussage.

Emine Şenyaşar ist die Witwe von Hacı Esvet Şenyaşar. Der Gewerbetreibende war im Juni 2018, nur wenige Tage vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei, im Zuge einer von bewaffneten Bodyguards begleiteten Wahlkampftour des ehemaligen AKP-Abgeordneten Ibrahim Halil Yıldız getötet worden. Auch die Söhne Adil und Celal Şenyaşar wurden ermordet. Fadıl Şenyaşar, ein weiterer Bruder, der bei dem Angriff schwer verletzt wurde, befindet sich seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft.

Von den Angreifern ist bisher nur eine Person verhaftet worden: Enver Yıldız, Bruder des AKP-Politikers Ibrahim Halil Yıldız, hatte sich im September 2019 in Begleitung von rund 50 Angehörigen seines Stammes demonstrativ unter Polizeischutz zum Justizpalast begeben, bevor er verhaftet wurde. Zwar erhob die Staatsanwaltschaft – wenn auch eineinhalb Jahre nach der Tat – Anklage, für Enver Yıldız werden aber nur maximal zwölf Jahre Haft wegen einem „minder schwerer Fall des Totschlags“. Demgegenüber droht Fadıl Şenyaşar eine Freiheitsstrafe in Höhe von 150 Jahren wegen Mord und versuchtem Mord in acht Fällen.

Emine und Ferit Şenyaşar müssen sich fortan zweimal im Monat bei den türkischen Behörden melden. Kommen sie den Meldeauflagen nicht nach, droht eine Haftstrafe.

Massaker von Pirsûs

Was am 14. Juni 2018 in Pirsûs geschah, hielt die Demokratische Partei der Völker (HDP) wenige Tage nach dem Massaker in einem Untersuchungsbericht fest. Darin heißt es: „Der AKP-Kandidat Yıldız hat mit seinen Verwandten den Laden der Familie Şenyaşar aufgesucht. Die verbale Auseinandersetzung mündete in eine Schießerei. Die Brüder Adil, Celal und Ferit Şenyaşar wurden von dem AKP-Kandidaten Yıldız und seinen Begleitern unter Anwendung von Pistolen und Langfeuerwaffen attackiert.“

Tötungen im Krankenhaus

Adil und Celal Şenyaşar wurden in die Notaufnahme des staatlichen Krankenhauses von Suruç eingeliefert. Ferit Şenyaşar ist in das staatliche Krankenhaus Balıklıgöl im Zentrum der Provinzhauptstadt Urfa gebracht worden. Hacı Esvet Şenyaşar selbst hat sich zu Fuß in die Klinik in Suruç begeben.

Auf Betreiben des AKP-Kandidaten zerstörten Verwandte von Ibrahim Halil Yıldız zunächst die Überwachungskameras im Krankenhaus und töteten anschließend Adil Şenyaşar in der Notaufnahme. Sein Bruder Celal wurde im Behandlungszimmer getötet. Hacı Esvet Şenyaşar selbst wurde durch Schläge mit einer Sauerstoffflasche auf den Kopf schwer verletzt und in das Krankenhaus 25. Dezember in der Stadt Antep eingeliefert. Am 15. Juni verstarb er, während seine Söhne in Pirsûs beigesetzt wurden.

Erschütternder Autopsiebericht

Auch der Autopsiebericht verdeutlichte das Ausmaß des Massakers. Die Gerichtsmedizin stellte bei der äußeren Untersuchung des Körpers von Celal Şenyaşar Einschüsse von Kugeln aus mindestens sechs Schusswaffen verschiedenen Kalibers fest. Der erste Einschuss war demnach bereits tödlich, die weiteren Schüsse sollen nicht tödlich gewesen sein. Die Untersuchung der Ein- und Austrittswunden am Körper habe ergeben, dass die Schüsse aus dem Nahabstand abgefeuert wurden.

Die Aussage eines zur Todesursache zitierten medizinischen Experten im Bericht lautet: „Der Tod der Person trat durch einen Splitterbruch der Oberschenkelknochen durch das Projektil einer Schusswaffe und den damit einhergehenden inneren schweren Blutungen durch die Verletzung der Ader ein.“

Bei der äußeren Untersuchung seines Bruders Adil Şenyaşar wurden an 14 Stellen des Körpers Schnitt- und Stichverletzungen wie auch Schlagverletzungen mit harten Gegenständen festgestellt. Beim großen Teil der 14 Verletzungen handelt es sich nach Angaben der Gerichtsmedizin um schwere Verletzungen. Im Bericht heißt es, dass Şenyaşar extremer Gewalt ausgesetzt gewesen sei. Bei der Autopsie wurden in seinem Körper siebzehn Kugeln verschiedenen Kalibers festgestellt. Von diesen Projektilen waren fünf tödlich, die anderen hätten Verletzungen hervorgerufen, die aber nicht tödlich gewesen seien. Nur zwei der Geschosse wurden nicht aus dem Nahabstand abgefeuert.

Die Ärzte schrieben zur Todesursache: „Durch Verletzung durch Schusswaffenprojektile wurden das Schlüsselbein, die Rippen, die Wirbel und das Becken gebrochen sowie bestimmte innere Organe geschädigt. Es traten innere Blutungen ein, die zum Tod führten.“

Hacı Esvet Şenyaşar mit Schnittwerkzeugen umgebracht

Als er erfuhr, dass seine Söhne angegriffen wurden, war Hacı Esvet Şenyaşar zum Krankenhaus in Pirsûs geeilt. Dort wurde er von einem Mob gelyncht und mit schweren Gegenständen misshandelt, wie auch Augenzeugen berichteten. Bei seiner Autopsie stellten die Ärzte großflächige Schnittverletzungen in sieben lebenswichtigen Bereichen fest. Neben diesen sieben schweren Verletzungen wurden am Körper des Ermordeten weitere 23 nichttödliche Verletzungen festgestellt. In dem Bericht ist insbesondere von schweren Hirnverletzungen aufgrund von Schädelbrüchen, inneren Blutungen durch Verletzungen innerer Organe und eine Verletzung im Bereich der Lunge (Pneumothorax) als Todesursache die Rede.