HPG-Nachruf auf Xakurke-Gefallene

Die Guerillakämpfer:innen Sema Cuya Çewlîk, Bahoz Hewlêr und Fırat Harun sind bei einem Angriff der türkischen Armee in Xakurke ums Leben gekommen. Die HPG haben einen Nachruf veröffentlicht.

Sema Cuya Çewlîk, Fırat Harun und Bahoz Hewlêr

Die Volksverteidigungskräfte (HPG) haben den Tod von Sema Cuya Çewlîk, Bahoz Hewlêr und Fırat Harun bekannt gegeben. Die Guerillakämpfer:innen sind im April bei einem Angriff der türkischen Armee in der Xakurke-Region in Südkurdistan ums Leben gekommen. Die HPG sprachen ihren Familien und dem kurdischen Volk ihr Beileid aus und erklärten, den Widerstand der Gefallenen fortzusetzen. Zu ihrer Identität machten die HPG folgende Angaben:

                           

Codename: Sema Cuya Çewlîk

Vor- und Nachname: Zilan Azak

Geburtsort: Çewlîg

Namen von Mutter und Vater: Gülten – Yüksel

Todeszeitpunkt und -ort: April 2024, Xakurke

 

 

Codename: Bahoz Hewlêr

Vor- und Nachname: Fawaz Oso

Geburtsort: Kobanê

Namen von Mutter und Vater: Edûle – Mahmud

Todeszeitpunkt und -ort: April 2024, Xakurke

 

 

Codename: Fırat Harun

Vor- und Nachname: Halef Karacan

Geburtsort: Riha

Namen von Mutter und Vater: Saliha – Mehmet

Todeszeitpunkt und -ort: April 2024, Xakurke

 

Sema Cuya Çewlîk

Sema Cuya Çewlîk wurde in Çewlîg (tr. Bingöl) in Nordkurdistan geboren. Sie wuchs in einem von der kurdischen Kultur geprägten und dem Befreiungskampf nahestehenden und Elternhaus auf; ihr Onkel Nurettin Azak hatte sich 1993 der PKK angeschlossen. Unter diesem Eindruck sowie der Realität des türkischen Unterdrückerstaates in Kurdistan wurde sie als Jugendliche politisiert. Sie beschäftigte sich intensiv zwei zentralen Fragen: dem Staat, der in Kurdistan mit genozidärer Absicht handelt, sowie mit der Frage der Frau und der ihr von Gesellschaft und Staat zugeteilten Rolle. Sema verweigerte sich dem staatlichen System und der von Männern dominierten Mentalität. Ihre Suche nach einer Alternative führte sie zu einer intensiven Lektüre der Philosophie Abdullah Öcalans, deren zentrale Säule die Befreiung der Frau ist. Der Vordenker der PKK hat seit den Anfängen des kurdischen Freiheitskampfes darauf hingewiesen, dass die Befreiung der Gesellschaft ohne die Befreiung der Frau unmöglich ist.

Politisch aktiv wurde Sema Cuya Çewlîk bei der Revolutionären Jugend Kurdistans. Ein ausschlaggebender Punkt, sich der Bewegung anzuschließen, war die Situation ihres Vaters. Der Journalist Yüksel Azak war 2007 verhaftet worden. Seine journalistische Tätigkeit wurde ihm als „Terrorismus“ ausgelegt. Erst 2017 wurde er aus dem Gefängnis entlassen – um bald darauf wieder festgenommen zu werden. Zu dem Zeitpunkt hatte sich seine Tochter bereits der Guerilla angeschlossen.


Sema Cuya Çewlîk verließ 2015 die Universität in Bedlîs (Bitlis) und ging in die Berge; wenige Monate nach der Befreiung von Kobanê im Zuge des Überfalls der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) und dem Beginn des totalen Vernichtungsfeldzugs des türkischen Staates in Kurdistan infolge des einseitigen Abbruchs des Dialogprozesses mit Abdullah Öcalan. Sie schloss sich in Garzan der Guerilla an, wo sie auch ihre Grundausbildung erhielt und erste praktische Erfahrungen sammelte. Anschließend wechselte sie in die Medya-Verteidigungsgebiete, wo sie sich unter anderem moderne Guerillataktiken aneignete und sich auf den Gebrauch von schweren Waffen spezialisierte. Bevor sie nach Xakurke ging, war sie lange Jahre in Metîna, Zap und Avaşîn im Einsatz.

Bahoz Hewlêr

Bahoz Hewlêr wurde im westkurdischen Kobanê geboren. Seine Familie gehört dem Stamm der Kêtikî an, der als traditionell widerständig bekannt ist. Bedingt durch ein politisches Umfeld und die Nähe zum Befreiungskampf war die PKK Bahoz Hewlêr bereits früh ein Begriff. Mit dem Älterwerden lernte er die kurdische Bewegung näher kennen und setzte sich mit ihren Ideen auseinander. Als der IS 2014 Teile des Irak und Syriens überrannte und auch Rojava ins Visier nahm, schloss er sich den YPG zur Verteidigung der Revolution an und wirkte an der Schlacht um Kobanê mit.


Nach dem Sieg über den IS – die Dschihadisten waren im Januar 2015 aus der Stadt vertrieben worden – ging Bahoz Hewlêr zur PKK. „Er wollte den Kampf für sein Volk auf eine andere Stufe heben“, heißt es im Nachruf der HPG. Bei der Guerilla äußerte er den Wunsch, in Bakur zu kämpfen. Aufgrund der kriegsbedingten Situation wurde sein Vorschlag abgelehnt. Er konzentrierte sich speziell auf verschiedene Branchen im militärischen Bereich und eignete sich Expertenwissen im Umgang mit verschiedenen Waffengattungen an. Dieses Wissen setzte er ab 2018 in Regionen innerhalb der Medya-Verteidigungsgebiete in die Praxis um.


Mit der Verschärfung der türkischen Besatzungsoperationen in Südkurdistan wechselte Bahoz Hewlêr an die vordersten Fronten des Krieges. Er beteiligte sich an nahezu allen Guerillaoffensiven gegen die Invasion. In Xakurke war er auf eigenen Wunsch hin im Einsatz.

Fırat Harun

Fırat Harun stammte aus dem für die kurdische Bewegung symbolisch bedeutsamen Curnê Reş (Hilvan). Geprägt durch die Erfahrung der Bevölkerung der Stadt in der Provinz Riha (Urfa) – eine Handvoll PKK'ler, die damals „Kurdistan-Revolutionäre“ genannt wurden, hatten Ende der 1970er Jahre in Curnê Reş den Kampf gegen die Kollaboration aufgenommen und den Samen der Revolution gelegt – sowie der Sympathie seines familiären Umfelds für die kurdische Bewegung, empfand er schon früh eine Verbundenheit zur PKK.

In den politischen Aktivismus brachte Fırat Harun sich erst während seines Studiums an der Universität in der nordtürkischen Provinz Çankırı ein. Ausschlaggebend waren faschistische und rassistische Übergriffe auf kurdische Studierende sowie das Prinzip des Feindstrafrechts, das Kurdinnen und Kurden überall im Land immer wieder zu spüren bekommen. Sein Anschluss an die kurdische Jugendbewegung fiel mit den Angriffen auf Rojava zusammen. Unter diesem Eindruck verließ er die Universität und schloss sich in Amed (Diyarbakir) der Guerilla an.


Fırat Haruns Plan nach seiner Ankunft in den Medya-Verteidigungsgebieten war es eigentlich, von dort aus nach Kobanê zu gehen und am Kampf gegen den IS teilzunehmen. Dieser Wunsch konnte ihm nicht erfüllt werden. Am 30. Oktober 2014 traten die faschistische AKP/MHP-Regierung und die Kriegsinstitution namens Nationaler Sicherheitsrat in Ankara zusammen, um ihren „Çöktürme Planı“ gegen die kurdische Bevölkerung zu fassen. Mit der sinngemäßen Bedeutung „In die Knie zwingen“ steht der noch während des Dialogprozesses mit Abdullah Öcalan hervorgebrachte „Zersetzungsplan“ als Auftakt zu einem neuen Zyklus von Chaos und Massakern an Kurdinnen und Kurden, der die dunklen 1990er Jahre inzwischen um ein Vielfaches übertroffen hat.

Zwischen 2013 und 2015 hatte es Gespräche zwischen der PKK und dem türkischen Staat gegeben, die das Ziel verfolgten, eine demokratische Lösung der kurdischen Frage zu erarbeiten. Am 24. Juli 2015 wurde die Phase des Dialogs zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Befreiungsbewegung mit der Bombardierung der Qendîl-Berge in Südkurdistan durch die türkische Luftwaffe offiziell für beendet erklärt. Mit dem einseitigen Abbruch des Friedensprozesses begann ein totaler Vernichtungskrieg gegen das kurdische Volk, der unzähligen Menschen das Leben kostete.

Fırat Harun blieb in Südkurdistan. Durch diverse Ausbildungs- und Weiterbildungsprogramme der Guerilla eignete er sich tiefgreifende Kenntnis der Kunst des Krieges an – Taktik, operative Kunst und Strategie – die er an seine Weggefährt:innen weitergab. Wie auch Sema Cuya Çewlîk und Bahoz Hewlêr war er in verschiedenen Regionen der Medya-Verteidigungsgebiete im Einsatz. In Xakurke gehörte er zu jenen Kämpferinnen und Kämpfern, die das Tunnelnetz und weitere Infrastruktur der Guerilla angelegt und ausgebaut haben.