Verfassungsbeschwerde angekündigt
Der gewaltsame Tod des kurdischen Menschenrechtsanwalts Tahir Elçi bleibt auch weiterhin straffrei. Ein regionales Berufungsgericht in Amed (tr. Diyarbakır) hat die Revision gegen das Urteil einer örtlichen Schwurgerichtskammer verworfen, mit dem drei angeklagte Polizisten im vergangenen Jahr vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden waren. Das berichtete die Rechtsanwaltskammer in Amed bereits am Samstag.
Elçi war am 28. November 2015 in Amed getötet worden. Der damalige Präsident der Rechtsanwaltskammer hatte im Altstadtbezirk Sûr eine Pressekonferenz zu den Ausgangssperren und Militäroperationen in kurdischen Städten gehalten und die türkische Regierung zu Frieden aufgerufen, als Polizisten das Feuer auf zwei flüchtende Angehörige der Zivilen Verteidigungseinheiten (YPS) eröffneten. Diese hatten kurz zuvor in der Nähe zwei Polizisten erschossen. Zum Ende der Schießerei war nur Elçi tot. Ihn traf ein Kopfschuss von hinten.
Die türkische Regierung behauptete umgehend, Elçi sei von den Flüchtenden erschossen worden. Die Anwaltskammer zeigte sich hingegen überzeugt, der 49-Jährige sei das Ziel eines von Polizisten ausgeführten Anschlags gewesen. Wenige Wochen vor seinem Tod war Elçi ins Fadenkreuz der Behörden geraten, da er in einer Fernsehsendung erklärt hatte, die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sei keine terroristische Vereinigung. Im Oktober 2015 war er deswegen vorübergehend festgenommen worden. Ihm drohte ein Prozess wegen des Vorwurfs der „Terrorpropaganda“. Elçi hatte auch von Todesdrohungen aus nationalistischen Kreisen gegen ihn berichtet.
Die Behörden beschuldigten dennoch die PKK, Elçi erschossen zu haben. Eine von der Anwaltskammer Diyarbakır in Auftrag gegebene Untersuchung der Recherchegruppe „Forensic Architecture“ von der Londoner Goldsmiths-Universität ergab Anfang 2019 hingegen, dass nur drei Polizisten als Täter in Frage kommen würden und einer von ihnen „mit Sicherheit“ der Schütze sei. Erst eineinhalb Jahre später wurde gegen Sinan Tabur, Fuat Tan und Mesut Sevgi Anklage erhoben. Die 10. Strafkammer des Schwurgerichtshofs Diyarbakır sprach die Polizisten im vergangenen Juni jedoch frei. Das Gericht folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die zur Begründung sagte, Tahir Elçi sei durch eine Kugel getötet worden, deren Ursprung nicht ermittelt werden könne. Zuvor hatte die Anklage Haftstrafen von mindestens zwei und maximal sechs Jahren gefordert.
Verfassungsbeschwerde angekündigt
Nach dem Urteil hatte die als Nebenklägerin in dem Verfahren aufgetretene Tahir-Elçi-Stiftung Revision eingelegt. Das regionale Berufungsgericht ließ sich laut Rechtsanwalt Mahsun Batı, der zugleich Vorsitzender der Stiftung ist, allerdings weder von der Beteiligung der angeklagten Polizisten an der Tötung Elçis überzeugen noch an den „zahlreichen Mängeln“, mit denen das Verfahren behaftet gewesen sei. Batı zeigte sich entsetzt. Er äußerte gegenüber der Nachrichtenagentur Mezoptamya (MA), dass die Akte Elçi ein Beispiel des Phänomens der Straflosigkeit gegenüber Opfern von staatlichen Akteuren sei. Er kündigte zudem an, beim Verfassungsgericht in Ankara einen Antrag für ein Wiederaufnahmeverfahren stellen zu wollen.