Kurdischer Menschenrechtsanwalt
Im Prozess um den Mord an dem kurdischen Menschenrechtsanwalt Tahir Elçi sind drei wegen fahrlässiger Tötung angeklagte Polizisten freigesprochen worden. Die 10. Strafkammer des Schwurgerichtshofs in Amed (tr. Diyarbakir) folgte heute dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die zur Begründung sagte, Tahir Elçi sei durch eine Kugel getötet worden, deren Ursprung nicht ermittelt werden könne.
Auf einer Pressekonferenz für Frieden erschossen
Der ehemalige Vorsitzende der Anwaltskammer von Diyarbakır, Tahir Elçi, war am 28. November 2015 im Altstadtbezirk Sûr während einer Pressekonferenz, auf der er vor dem Hintergrund der Ausgangssperren und Militäroperationen der türkischen Armee zu Frieden aufrief, erschossen worden. „Wir wollen in diesem Gebiet, das Heimat und Wiege so vieler Zivilisationen war, keine Gewalt, keinen Krieg, keine Zerstörung und keine bewaffneten Operationen“, sagte Elçi kurz vor seinem Tod. Für sein Pressestatement hatte er das „Vierbeinige Minarett“ gewählt, ein historisches Bauwerk, das während der türkischen Militärblockade in Sûr beschädigt worden war.
Noch während Elçi sprach, fielen in der Nähe der Altstadtgasse mehrere Schüsse. Dort eröffneten zwei Mitglieder der Zivilen Verteidigungseinheiten (YPS) das Feuer auf zwei Polizisten, die später starben. Die Täter rannten in die Gasse, in der Elçi, Beamte der Stelle für polizeiliche Kameraüberwachung und zahlreiche Pressevertreter standen. Deren Aufnahmen zeigten, wie Zivilpolizisten auf die fliehenden Männer schießen. Zum Ende der Schießerei war nur Elçi tot, ihn traf ein Kopfschuss von hinten.
Fallrekonstruktion von Forensic Architecture
Die Regierung behaupte umgehend, die YPS „und damit die PKK“ habe den Anwalt erschossen. Doch Spezialist:innen für Fallrekonstruktion der Kunst- und Rechercheagentur „Forensic Architecture”, einer an das Institut für Architektur der Goldsmiths-Universität in London angeschlossenen Initiative, stellten durch eine im Februar 2019 fertiggestellte Videorekonstruktion fest, dass nur drei Polizisten als Täter in Frage kommen. Einer von ihnen sei „mit Sicherheit“ der Täter.
Weitere anderthalb Jahre mussten vergehen, bis gegen die Polizisten Sinan Tabur, Fuat Tan und Mesut Sevgi im Oktober 2020 Anklage erhoben wurde – wegen „fahrlässiger Tötung“. Die Beamten blieben trotz der Anklage weiter im Dienst. Im selben Verfahren wurde das flüchtige YPS-Mitglied Uğur Yakışır wegen Mordes an Tahir Elçi und zwei Polizisten und der versuchten Zerstörung der Einheit und Integrität des Staates angeklagt.
Zeugen widerrufen erpresste Aussagen
Die letzte Verhandlung in dem Prozess fand am 6. März statt, und es gab viele neue Entwicklungen. Zeugen, die während der Ermittlungsphase ausgesagt hatten, dass der Mord an Tahir Elçi von der PKK geplant wurde und der tödliche Schuss von den YPS-Mitgliedern Mahsum Gürkan oder Uğur Yakışır abgefeuert worden sei, bestritten ihre Aussagen vor Gericht. Der Zeuge Recep Özbek sagte: „Ich war am Tag des Mordes im Gefängnis und über Mahsum Gürkan wegen einiger seiner Verhaltensweisen verärgert. Deshalb habe ich ausgesagt, dass er ihn getötet hat.
Ein weiterer Zeuge, Deniz Ataş, hat nach eigenen Angaben aus Angst eine vorgefertigte Aussage unterzeichnet. Er sei gefoltert worden und ein Staatsanwalt habe ihm die Freilassung versprochen, andernfalls werde er getötet: „Ich hatte Angst und habe die Erklärung unterschrieben, ohne sie zu lesen. Ich weiß nicht einmal, wer Tahir Elçi ist.“ Der Widerruf beider Zeugenaussagen wurde vom Gericht ignoriert.