Mêrdîn: Protest gegen ein Jahr Zwangsverwaltung

Zum Jahrestag der Einsetzung eines Zwangsverwalters an Stelle der HDP-Bürgermeister hat in Mêrdîn eine Protestaktion stattgefunden. In Redebeiträgen wurde auf die Korruption und Straftaten der Zwangsverwalter hingewiesen und zum Widerstand aufgerufen.

Am 19. August 2019 wurden in den kurdischen Großstädten Amed (türk. Diyarbakır), Wan (Van) und Mêrdîn (Mardin) Zwangsverwalter ernannt und die gewählten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Demokratischen Partei der Völker (HDP) abgesetzt. Diese Machtergreifung der AKP auf kommunaler Ebene stellte den Auftakt zur Ernennung von 48 Zwangsverwaltern in HDP-regierten Kommunen dar. 17 der abgesetzten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister befinden sich im Gefängnis, viele sind bereits zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden.

In Mêrdîn hat aus diesem Anlass eine Protestaktion stattgefunden. An der Kundgebung nahmen die HDP-Abgeordneten Nimetullah Erdoğmuş, Ebru Günay, Meral Danış Beştaş, Pero Dündar, İmam Taşçıer, Dersim Dağ, Hişyar Özsoy und Ömer Faruk Gergerlioğlu, der Ko-Bürgermeister von Qers (Kars), Ayhan Bilgen, und die Ko-Vorsitzende der Partei der Demokratischen Regionen (DBP) Saliha Aydeniz teil. Darüber hinaus beteiligten sich Mitglieder der Friedensmütter, der Frauenbewegung TJA, HDP-Bürgermeister*innen und viele Einzelpersonen an der Protestkundgebung vor dem Gebäude des HDP-Provinzverbands in Mêrdîn.

Bilgen: „Lokale Demokratisierung bedeutet Befreiung“

Der HDP-Politiker Ayhan Bilgen, der als Ko-Bürgermeister von Qers weiterhin im Amt ist, wies in seiner Rede darauf hin, dass mittlerweile insgesamt 48 Stadtverwaltungen unter Zwangsverwaltung stehen und 17 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister inhaftiert sind. Er sagte: „Die Befreiung der Menschheit liegt in der lokalen Demokratisierung. Sich gegen die lokale Demokratie, gegen demokratische Kommunalverwaltungen zu stellen und zu zentralisieren, bedeutet nichts anderes als die Durchsetzung von Autoritarismus. Der Autoritarismus erkennt den Willen des Volkes nicht an.“

Beştaş: „Willensbezeugung von Millionen Menschen“

Die stellvertretende HDP-Fraktionsvorsitzende Meral Danış-Beştaş erklärte, dass das Zwangsverwaltungsregime am Ende sei. Sie erinnerte daran, dass die Ko-Bürgermeisterin von Gever (Yüksekova), Remziye Yaşar, allein wegen des Teilens eines Tolstoi-Zitats gegen den Krieg inhaftiert worden ist: „In dieser Zeit wurden nicht nur Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, sondern auch Mitglieder der Kommunalräte abgesetzt. Die Willensbezeugung von vier Millionen Menschen, die in den zwangsverwalteten Städten und Kommunen leben, wurde für nichtig erklärt. Wenn sich jemand fragt, warum Zwangsverwalter eingesetzt werden, sollte er in die Entscheidung des Nationalen Sicherheitsrats von 2014 schauen. Dort wurde Wort für Wort ein ‚Zersetzungsplan‘ vorbereitet.“

Größter Raub in der Geschichte der Türkei“

Beştaş wies in ihrer Rede auf die Vergehen der Zwangsverwalter hin. So seien die okkupierten Rathäuser wie in Mêrdîn systematisch ausgeplündert worden. Sie bezeichnete dieses Vorgehen als „größten Raub in der Geschichte der Türkei“. Weiter erklärte Beştaş: „Alles, was der Stadt gehörte, wurde zum Mittel der Bestechung und der Korruption von Gouverneur Mustafa Yaman. Das ist mittlerweile bewiesen. Wir haben das Unrecht, die Korruption und Bestechung unter dem als Zwangsverwalter eingesetzten Gouverneur Mustafa Yaman dokumentiert und veröffentlicht. Die wegen Korruption nach den Wahlen vom 31. März 2019 entlassenen städtischen Beschäftigten sind vom Zwangsverwalter wieder eingestellt worden. Der Zwangsverwalter setzte sein schmutziges Werk an dem Punkt fort, an dem er stehen geblieben war. Der Bericht der Immobilieninspektoren des Innenministeriums war dennoch voll des Lobes für Yaman und beschreibt sein Vorgehen als ‚gutes Modell‘. Die Stadtverwaltung ist in einen Zuhälterring verwandelt worden, die städtischen Immobilien wurden an Verwandte verteilt. Wenn wir uns anschauen wollen, was Zwangsverwaltung bedeutet, dann müssen wir auf Mêrdîn blicken. “

Musa Orhan muss bestraft werden“

Beştaş ging auch auf die Vergewaltigung von I.E. in Êlih (Batman) durch den türkischen Stabsunteroffizier und bekennenden Rechtsextremisten Musa Orhan ein. Das Vergewaltigungsopfer I.E. hatte sich aufgrund des Verbrechens das Leben genommen. Beştas sagte: „Der Täter Musa Orhan wird nicht inhaftiert. Er wird nicht inhaftiert, weil er Tarnkleidung trägt und den Wolfsgruß macht. Er muss verhaftet werden. Wir werden dem nachgehen, bis er die Strafe bekommt, die er verdient.“