Der Demokratische Autonomierat Şengals (MXDŞ) verlangt eine unabhängige und vollständige Untersuchung der tödlichen Luftangriffe der Türkei gegen das ezidische Hauptsiedlungsgebiet Şengal. Der MXDŞ sieht in dem Vorgehen des NATO-Partners Kriegsverbrechen, dessen Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssten, heißt es in einem am Samstag veröffentlichten Bericht. Anfang der Woche hatte die türkische Luftwaffe Şengal an zwei aufeinanderfolgenden Tagen bombardiert. Zuerst war das Fahrzeug einer diplomatischen Delegation getroffen worden, anschließend ein Krankenhaus. Zehn Menschen sind ums Leben gekommen, sieben weitere wurden verletzt. International finden diese Angriffe der Türkei kaum Beachtung.
Feindseligkeit der Türkei und anderer regionaler und internationaler Akteure
„Die jüngsten türkischen Angriffe und die Unfähigkeit der irakischen Behörden, uns zu schützen, haben einmal mehr gezeigt, wie dringend und notwendig die Stärkung unserer Selbstverwaltung und unserer Selbstverteidigungskräfte ist”, hält der MXDŞ in dem Bericht fest. Die ezidische Gemeinschaft sei sich der „Feindseligkeit der Türkei und anderer regionaler und internationaler Akteure” gegenüber ihrer legitimen Forderung nach Selbstverwaltung und Selbstverteidigung bewusst. „Seit 2014 und insbesondere in der jüngeren Vergangenheit haben viele internationale Institutionen, Parlamente und moralisch denkende Menschen unsere Forderung nach Autonomie und dem Recht auf Selbstverteidigung aktiv unterstützt und damit einen großen Beitrag zum Schutz des ezidischen Volkes geleistet. Angesichts der erneuten brutalen Angriffe der Türkei auf unsere Gemeinschaft fordern wir nun eine internationale Untersuchung der Angriffe auf unsere diplomatische Delegation und das Krankenhaus in Şengal. Wir erklären uns bereit, diese Delegation willkommen zu heißen und ihr jede notwendige Unterstützung zukommen zu lassen, um die von der Türkei begangenen Verbrechen gegen unsere Gemeinschaft aufzuklären. Dies wird ein wirksamer Schritt sein, um künftige Angriffe zu verhindern, und wird der internationalen Gemeinschaft die notwendigen Informationen liefern, um die türkischen Kriegsverbrechen offen zu verurteilen.”
Türkei hat ganz klar Kriegsverbrechen begangen
Die dem Bericht zu entnehmenden Informationen zeigten deutlich, dass die Türkei mit den Luftangriffen auf Şengal am 16. und 17. August 2021 Kriegsverbrechen begangen habe. Diese Attacken seien „Teil der Gesamtstrategie” der Türkei, alle ethnischen und religiösen Gruppen in der Region, die nicht mit dem Prinzip einer „homogenen Identitätskonstruktion” übereinstimmen. „Um ihr Ziel zu erreichen, hat die Türkei enge Beziehungen zu verschiedenen dschihadistischen Gruppen, darunter IS und al-Nusra, aufgebaut und nutzt diese Gruppen aktiv, um ihre Nachbarländer anzugreifen und zu besetzen - auch unsere ezidische Gemeinschaft”, so der MXDŞ. Das internationale Schweigen zu dieser „Politik des Krieges, der Destabilisierung, des demografischen Wandels und der Besetzung” sei äußerst gefährlich, da es Ankara ermutige, seine Angriffe im Nahen Osten, im Mittelmeerraum und im Kaukasus auszuweiten. „Als eine der Gemeinschaften, die am stärksten von den türkischen Aggressionen betroffen sind, rufen wir die internationale Gemeinschaft auf, ihr Schweigen zu brechen und wirksame Schritte zu unternehmen, um die gefährliche Politik der Türkei zu stoppen.”
Eine klare Haltung ist die Pflicht aller internationalen Institutionen
Es sei die Pflicht aller internationalen Institutionen und aller Regierungen, eine klare Haltung gegen die Angriffe, Massaker, Völkermorde und andere Verbrechen der Türkei einzunehmen, mahnt der MXDŞ. Auch internationale NGOs müssten die Dringlichkeit dieses Problems endlich anerkennen und Druck auf die Vereinten Nationen, die irakische Regierung und die Türkei ausüben. „Die Vernichtungsangriffe auf unsere ezidische Gemeinschaft zielen darauf ab, alle menschlichen Werte und Normen zu zerstören. Wir weigern uns jedoch, Opfer dieser unmenschlichen Politik zu werden. Um die gefährlichen Folgen dieser Politik verhindern zu können, halten wir es für notwendig, von unserem Recht Gebrauch zu machen, uns selbst zu verwalten und zu verteidigen. Nur so können wir das Überleben unserer Gemeinschaft garantieren.” Eine internationale Unterstützung würde einen wesentlichen Beitrag zum Schutz elementarster Rechte leisten und verhindern, dass antiezidische Aggressoren ihr Ziel erreichen, das politische, soziale und rechtliche Gleichgewicht in der Region zu zerstören. „Deshalb rufen wir zu einem gemeinsamen Kampf mit uns auf, um das Recht unserer Gemeinschaft auf Selbstverwaltung und Selbstschutz zu gewährleisten.”
MXDŞ: Şengal-Abkommen verurteilen!
Der MXDŞ hält es auch für wichtig, dass die internationale Gemeinschaft das sogenannte Şengal-Abkommen, das von der irakischen Regierung und der südkurdischen Regierungspartei PDK am 9. Oktober 2020 auf Betreiben der Türkei und USA unterzeichnet wurde, offen verurteilt. „Dieses Abkommen ignoriert die Bedürfnisse und Wünsche der ezidischen Bevölkerung von Şengal völlig und ebnet nur den Weg für türkische Angriffe auf unsere Gemeinschaft. Daher betrachten wir dieses Abkommen als eine klare Provokation. Wir fordern deshalb auch die internationale Gemeinschaft auf, alle Kräfte zu verurteilen, die mit der Türkei kollaborieren, z.B. die PDK und ihr nahestehende Gruppen.”
Der vollständige Bericht des Demokratischen Autonomierats von Şengal kann als PDF-Datei heruntergeladen werden.