Avesta: Die Angriffe sind das Ergebnis des Şengal-Abkommens

Sozdar Avesta (KCK) fordert die irakischen Behörden zur vollständigen Aufklärung der türkischen Luftangriffe auf Şengal auf. Die Angriffe richteten sich nicht nur gegen die Selbstbestimmung der Ezid:innen, sondern auch gegen die Souveränität des Irak.

Sozdar Avesta vom Präsidialrat der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) fordert die irakischen Behörden zur vollständigen Aufklärung der Luftangriffe auf das ezidische Siedlungsgebiet Şengal im Nordirak auf. Die gezielten Bombardierungen durch die türkische Luftwaffe seien nur mit Informanten vor Ort möglich gewesen und beinhalteten eine Botschaft sowohl an den Irak als auch an die ezidische Gemeinschaft, erklärte Avesta gegenüber ANF.

Am Dienstag sind bei einem Luftschlag der türkischen Luftwaffe auf ein Krankenhaus in Şengal acht Menschen ums Leben gekommen, vier weitere Personen erlitten Verletzungen. Bei den Todesopfern handelt es sich um vier Kämpfer der ezidischen Widerstandseinheiten YBŞ und vier Mitarbeiter:innen des Hospitals. Als Menschen aus der Umgebung den unter den Trümmern Verschütteten zur Hilfe eilen wollten, wurden auch sie aus der Luft attackiert.

In dem durch mehrere Bombardierungen völlig zerstörten Sikêniyê-Krankenhaus wurden unter anderem Verletzte behandelt, die bei dem gezielten Drohnenangriff vom Montag auf das Fahrzeug des YBŞ-Kommandanten Seîd Hesen (Saeed Hassan) verwundet worden waren. Hesen hatte sich auf dem Weg zu einem persönlichen Treffen mit dem irakischen Ministerpräsidenten Mustafa al-Kadhimi befunden, als sein Wagen in der Altstadt von Şengal bombardiert wurde. Bei dem Angriff starb auch sein Neffe Îsa Xwedêda, drei weitere Personen wurden verletzt.

Sêid Hesen: Sprachrohr, Anwalt, Politiker und Diplomat seines Volkes

Sozdar Avesta sagte, dass es sich weder um den ersten noch um den letzten Angriff des türkischen Staates auf das ezidische Volk gehandelt habe: „Um die Menschen aus Şengal zu vertreiben und die Rückkehr der geflüchteten Ezidinnen und Eziden zu verhindern, finden seit Jahren derartige Angriffe statt. Heval Sêid hat sich davon nicht einschüchtern lassen und ununterbrochen für sein Volk gearbeitet. Deshalb ist er ins Visier des türkischen Staates geraten. Als 2014 der IS in Şengal eingefallen ist, hat er Schulter an Schulter mit den zwölf HPG-Kämpfern Widerstand geleistet. Er hat gegen die Islamisten gekämpft, Leitungsaufgaben übernommen, Bildungsarbeit gemacht und damit ein Bewusstsein in seinem Volk geschaffen und 2015 den Demokratischen Rat Şengals mitbegründet. Bis zu seinem Tod war er das Sprachrohr, der Anwalt, Politiker und Diplomat seines Volkes. Dass die Ezidinnen und Eziden heute in Şengal für Demokratie, Freiheit und ein gleichberechtigtes Zusammenleben kämpfen, ist Heval Sêid und den anderen Gefallenen zu verdanken. Wenn er und der Stamm der Hebabiya nicht an dem Kampf teilgenommen hätten, hätte das gesamte ezidische Volk Şengal verlassen müssen. Es handelte sich also um einen gezielten Angriff und auch der Zeitpunkt war geplant. Es war der Tag, an dem der irakische Ministerpräsident zum ersten Mal Şengal besuchen wollte. Durchgeführt wurde der Angriff vom faschistischen türkischen Staat, aber die Verräter in der Region haben dabei eine große Rolle gespielt. Die irakischen Behörden müssen aufklären, wer daran beteiligt war. Es war gleichzeitig ein Angriff auf die irakische Souveränität.“

Ein Angriff auf das Zusammenleben der Völker im Irak

Sozdar Avesta sieht die Angriffe als ein Ergebnis des unter internationaler Aufsicht zwischen Bagdad und Hewlêr am 9. Oktober 2020 geschlossenen Abkommens zur Zukunft von Şengal: „Mit den Angriffen wird die Botschaft vermittelt: Entweder ihr akzeptiert das Abkommen oder es finden Massaker statt. Auf diese Weise soll das Abkommen umgesetzt werden. Und worum geht es bei diesem Abkommen? Şengal soll entvölkert werden, den Menschen soll ihr eigener Wille genommen werden, sie sollen aus Şengal vertrieben werden. Deshalb wird das ezidische Volk dieses Abkommen niemals akzeptieren und bis zum Äußersten Widerstand leisten.

Dem irakischen Staat sollte klar sein, dass sich diese letzten Angriffe auch gegen die Forderung nach einem friedlichen Zusammenleben der Völker im Irak gerichtet haben. In dem bombardierten Krankenhaus wurden ezidische und arabische Menschen behandelt und zwei der Gefallenen waren arabische YBŞ-Kämpfer.“

Die Reaktion aus der Bevölkerung auf die Angriffe sei eindeutig gewesen, sagte Avesta weiter: „Sie haben dem Irak, den USA, den UN und allen Kräften in der Region, die die Eziden auslöschen wollen, signalisiert, dass sie nichts mehr zu verlieren haben. In den letzten sieben Jahren hat sich das ezidische Volk organisiert und endlich die Ketten der Sklaverei zerstört. Es ist nicht mehr wie früher, es ist organisiert und stark, hat eigene Verteidigungskräfte und es gibt kämpfende Frauen in führenden Positionen.“