Kurtulan: In Pazarcik gibt es nur Solidarität, aber keinen Staat

Die HDP-Abgeordnete Fatma Kurtulan berichtet aus der vom Erdbeben zerstörten Stadt Pazarcik: „Der Staat ist abwesend, er ist mit keinem Organ oder einer Institution vor Ort.“ Anstatt Menschen zu retten, werden die Hilfsarbeiten und die Medien blockiert.

Die gesamte Fraktion der Demokratischen Partei der Völker (HDP) ist seit einer Woche mit der Bewältigung der Erdbebenfolgen beschäftigt. Die Abgeordnete Fatma Kurtulan hat sich gegenüber ANF in der zerstörten Kreisstadt Markaz (tr. Pazarcik) zu ihren Eindrücken geäußert. „Wir wissen, dass an vielen Orten auf der Welt bei Erdbeben nicht einmal eine menschliche Nase blutet. In der Türkei warnen Experten, es werden dringende Maßnahmen gefordert, aber da es kein Managementsystem gibt, das den Menschen und das menschliche Leben in den Mittelpunkt stellt, wird das, was getan werden müsste, nicht getan und aufgeschoben", sagte die kurdische Politikerin und führte weiter aus:

„Der Bausektor in der Türkei ist willkürlich und unkontrolliert. Wir fragen, wohin das für das Erdbeben gespendete Geld fließt, aber es gibt keine Antwort. Die Regierung ergreift absichtlich keine Maßnahmen, weil ihre Art und Weise des Regierens nicht auf den Menschen ausgerichtet ist. Als HDP kämpfen wir seit dem ersten Tag. Alle Beteiligten an diesem Kampf sind mit ganzer Kraft dabei. Hier stapeln sich sowohl die Freiwilligen als auch die Hilfsgüter, aber es gibt keinen Staat. Die Menschen hier sagen, dass sie nichts vom Staat gesehen haben. Als wir ins Erdbebengebiet kamen, waren wir auch in Antep [ku. Dîlok], und obwohl wir zwei oder drei Polizisten und AFAD-Leute an den Trümmern sahen, waren sie nicht in der Lage, Leben zu retten. Selbst wenn die Menschen noch lebten, starben sie an der Kälte. Wir hörten nur Klagelieder vor den eingestürzten Gebäuden, sonst haben wir nichts gesehen. Es gab keine Rettungsarbeiten.

Wir haben mit jemandem gesprochen, der meinte, er habe seine Mutter lebend gesehen, aber der Staat ist abwesend, er ist mit keinem Organ oder einer Institution vor Ort. Die Überlebenden sind hungrig und durstig, alle standen bis zu den Knien im Schnee. Zum Zeitpunkt des Erdbebens haben alle geschlafen und der Staat hat die Menschen tagelang nicht mit Unterkunft, Schutz und Wärme versorgt. Die HDP-Gemeinde war die erste, die heiße Suppe verteilte. Dank der Solidarität der Kurden aus anderen Regionen und ihrer Freunde überleben die Menschen hier mit den weiterhin eintreffenden Hilfslieferungen. Dieser Staat konnte seine Bürgerinnen und Bürger nicht mit Wasser und Brot versorgen. Es ist eine Schande.

Wir sind ein Land, das von einer finsteren Ordnung regiert wird, ein Land ohne ein Rechtssystem. ,Recht und Gerechtigkeit werden uns folgen', pflegte der Staat zu sagen. Es war schon vorher so, und jetzt geht diese finstere Ordnung weiter. In Hatay wurde ein Mensch zu Tode gefoltert. Während der Staat die Wunden der Bevölkerung heilen sollte, tötet er Menschen. In einer solchen Ordnung leben wir.

Mit der Erdbebenkatastrophe manifestiert sich diese schwarze Ordnung auf eine noch kopflosere Weise. Warum sollte nach dem Erdbeben der Notstand ausgerufen werden? Anstatt sich darüber Gedanken zu machen, wie man die Bürger aus den Trümmern retten kann, blockiert man die Presse, blockiert uns, verbietet den Zugang, bringt die Opposition zum Schweigen und geht gegen diejenigen vor, die in den sozialen Medien posten. Es ist ein schändliches System."