Bürgermeisterin Sofya Alağaş abgesetzt
In der Türkei ist eine weitere Bürgermeisterin der DEM-Partei des Amtes entlassen worden. Sofya Alağaş, Ko-Bürgermeisterin der kurdischen Stadt Sêrt (tr. Siirt), wurde abgesetzt und durch den örtlichen Gouverneur ersetzt, teilte das Innenministerium am Mittwoch mit. Begründet wurde die Absetzung mit einem Urteil gegen die 34-jährige Politikerin wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“. Das Rathaus wurde daraufhin am frühen Morgen von zahlreichen Polizeieinheiten umstellt. Zwangsverwalter Kemal Kızılkaya verschaffte sich in Begleitung von bewaffneten Personenschützern Zutritt in das Gebäude und ließ als erste Amtshandlung eine große Türkei-Fahne am Eingang anbringen. Dort sammeln sich unterdessen immer mehr Menschen zum Protest an.
DEM: Angriff auf den Volkswillen
Die DEM reagierte empört auf die Entlassung von Alağaş. Die Regierung untergrabe weiter Schritt für Schritt den Volkswillen mit Hilfe „politisch motivierter Gerichtsurteile“, erklärte die Partei am Morgen in Ankara. Der Ko-Vorsitzende des Provinzverbands der DEM in Sêrt, Eşref Tekin, verurteilte den Schritt in einer Rede vor dem Rathaus als Versuch der Regierung, der kurdischen Bevölkerung die Lebensadern zu kappen. Die Kommunalverwaltungen seien für die kurdisch-demokratische Opposition nicht nur der Weg, nah am Volk zu sein, sondern eine alternative Politik zu derjenigen der Regierung zu praktizieren, die in vielen Bereichen wie etwa Sprache und Bildung, Frauen und Kultur ausschließlich auf Unterdrückung und Repression setze.
Sofya Alağaş © JinNews
Verurteilung wegen journalistischer Arbeit
Sofya Alağaş wurde am Dienstag von einem Strafgericht in Amed (Diyarbakır) zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Entscheidung geht auf eine Anklage aus dem Jahr 2022 zurück, die sich ursprünglich gegen 20 Medienschaffende verschiedener kurdischer Nachrichtenagenturen und Produktionsfirmen richtete und von Menschenrechtsorganisationen als Repression gegen die freie Presse kritisiert wurde. Mehrere der Betroffenen kamen damals in Untersuchungshaft. Sofya Alağaş saß rund ein Jahr lang in einem Gefängnis.
Die Argumentation des Verfahrens lautete ähnlich wie in anderen Prozessen gegen kurdische Journalist:innen. Den Angeklagten wurde unter anderem vorgeworfen, „Propaganda“ für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu betreiben, TV-Programme „zugunsten“ ihres Begründers Abdullah Öcalan zu produzieren, und zur Beeinflussung der Öffentlichkeit „Agitation“ zu praktizieren, indem der Eindruck erweckt würde, „Operationen türkischer Streitkräfte gegen die PKK würden sich gegen das kurdische Volk richten“. Außerdem sollen sie die PKK „mittels Nachrichtenbeiträgen und TV-Programmen über Operationen und Aktivitäten der Luftwaffe“ informiert haben.
Protest vor dem Rathaus in Sêrt am Mittwochmorgen © MA
Alağaş (damals lautete ihr Vorname noch Safiye) war zum Zeitpunkt der Verhaftungswelle Direktorin der Frauennachrichtenagentur JinNews. Nach ihrer Wahl zur Ko-Bürgermeisterin im März vergangenes Jahr mit 53 Prozent der Stimmen wurde das Verfahren gegen sie im Verlauf des Prozesses abgetrennt und mit einer weiteren Anklage, die in Sêrt im Zusammenhang mit politischen Reden während des Wahlkampfs erhoben wurde, zusammengelegt. Das Urteil gegen Alağaş ist noch nicht rechtskräftig und hätte daher laut der DEM-Partei nicht als Rechtfertigung für ihre Amtsenthebung herangezogen werden dürfen.
Zehn Gemeinden unter Zwangsverwaltung
Mit der Absetzung von Sofya Alağaş steigt die Zahl der seit den Kommunalwahlen 2024 unter staatliche Zwangsverwaltung gestellten Gemeinden auf zehn an. Erst im Januar war die aus Hoşyar Sarıyıldız und Nuriye Arslan bestehende Doppelspitze im Rathaus der südtürkischen DEM-Gemeinde Akdeniz in der Provinz Mersin abgesetzt und verhaftet worden. Zuvor wurden auch die DEM-Bürgermeister:innen von Colemêrg (tr. Hakkari), Êlih (Batman), Mêrdin (Mardin), Xelfetî (Halfeti), Dersim (Tunceli) und Miks (Bahçesaray) sowie die CHP-regierten Gemeinden Pulur (Ovacık) und Esenyurt vom Innenministerium wegen vermeintlicher Verbindungen zur PKK abgesetzt.