Die Zivilen Verteidigungseinheiten YPS (Yekîneyên Parastina Sivîl) und die autonomen Frauenstrukturen YPS-Jin haben anlässlich des fünfjährigen Bestehens ihrer Hauptkoordination eine Grußbotschaft veröffentlicht und den Gefallenen des Kampfes um Selbstverwaltung in Nordkurdistan gedacht. In der Stellungnahme wird eine Ausweitung des Widerstands für Autonomie und Selbstverteidigung des kurdischen Volkes angekündigt.
Seit den territorialen Grenzziehungen, die nach dem Ersten Weltkrieg im Vorderen Orient das Entstehen eines kurdischen Nationalstaats verhinderten, wurde die Existenz der Kurdinnen und Kurden geleugnet, heißt es in der YPS-Erklärung. Die Grenzziehung zwischen den Nachfolgestaaten des Osmanischen Reichs folgte primär den Machtinteressen der damaligen Kolonialmächte. Die kurdischen Siedlungsgebiete wurden so unter vier neugeschaffenen Staaten – Türkei, Syrien, Iran und Irak – aufgeteilt und den Kurd*innen das Selbstbestimmungsrecht abgesprochen. „Unser Freiheitskampf, der als Rebellion gegen diese Kolonialisierung, Verleugnung und dem damit einhergehenden Völkermord zum Vorschein kam, hat unter der Federführung Abdullah Öcalans eine epische Tradition des Widerstands hervorgebracht.“
Im Süden und Westen der IS, im Norden der Zersetzungsplan
Um diesen Freiheitskampf zu vernichten, hat der türkische Faschismus im Schulterschluss mit internationalen Akteuren auf verschiedene Methoden und Henkersgehilfen zurückgegriffen, um ein umfassendes Vernichtungskonzept umzusetzen, unterstreicht die YPS-Koordination. Im Westen und Süden Kurdistans sei die „Barbarei“ in der jüngeren Vergangenheit in Form der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Erscheinung getreten: „Doch ob Kobanê oder Şengal – den Barbaren des IS wurde dank des Widerstands tausender selbstloser Gefallener ein Schild vorgehalten, um den totalen Genozid zu verhindern. In Nordkurdistan leitete der staatliche Faschismus zur gleichen Zeit seinen Zersetzungsplan (tr. „Çöktürme Planı“, sinngemäß: „In die Knie zwingen“, ANF) ein. Mit dieser wichtigen Komponente des Vernichtungskonzepts sollte in erster Linie unsere Freiheitsbewegung liquidiert und die Bevölkerung in Städten und Landkreisen, in denen es eine hohe Zustimmung für die Befreiungsbewegung gibt, in die Knie gezwungen werden. Das entschlossene Volk Kurdistans – untrennbar mit seinem Selbstverständnis ‚Die freie Gesellschaft ist eine organisierte Gesellschaft, eine organisierte Gesellschaft ist eine Gesellschaft, die sich selbst verteidigt‘ verflochten – setzte dem Vernichtungsplan mit dem Ausheben von Gräben entgegen und ging als Reaktion auf die brutalen Angriffe zum Widerstand über. Die Jugendlichen und Frauen, die Bevölkerung jeder Stadt traten hinter die Barrikaden, um sich zu verteidigen.“
Erst YDG-H, dann YPS
Der Widerstand gegen die türkische Militärbelagerung kurdischer Städte und die damit einhergehenden Ausgangssperren im August 2015 war zunächst von der Jugendorganisation YDG-H getragen worden, die organisatorisch autonom agierte, aber ideologisch im Sinne des „Projekts der demokratischen Selbstverwaltung“ ausgerichtet war. Da die bewaffnete Selbstverteidigung im Verlauf der Militärbelagerung eine große gesellschaftliche Breite erlangte, wurden die Kräfte den neuen Verhältnissen entsprechend angepasst und einer allgemein gesellschaftlichen Kontrolle unterstellt. So gründeten sich jeweils lokal die YPS und YPS-Jin.
Mit Pistolen in der Hand und Entschlossenheit im Herzen
„In Gimgim, Farqîn, Sûr, Rêzan, Bismîl, Dêrîka Çiyayê Mazî, Kerboran, Nisêbîn, Cizîr, Silopiya, Hezex, Gever, Wan und Şirnex wurden historische Kämpfe geleistet. Die Kinder des kurdischen Volkes wurden unter dem Dach der YPS/YPS-Jin zu Pionieren eines epischen Widerstands und hinterließen der Geschichte binnen kurzer Zeit ein Erbe von unschätzbarem Wert.” Die Koordination der Zivilen Verteidigungseinheiten erinnert an Asya Yüksel und Mehmet Tunç, die beiden Ko-Vorsitzenden des Volksrates von Cizîr, die in den berüchtigten „Todeskellern“ von türkischen Sicherheitskräften ermordet wurden, an den Schauspieler Hacı Lokman Birlik, dessen Körper in Şirnex mit 28 Kugeln von Polizisten durchsiebt und von einem Panzerfahrzeug durch die Stadt geschleift wurde, an Sêvê Demir, Pakize Nayır und Fatma Uyar, die in Silopiya gezielt exekutiert wurden, an Çiyager Hêvî (Cihat Türkan), der als Kommandant den Widerstand gegen die türkische Belagerung in Sûr anführte und an Nûcan Malatya – auch bekannt unter dem Nom de Guerre „Kanasçı -Scharfschützin- Roza”, die ebenda fiel, „und die vielen anderen Gefallenen, die sich dem Faschismus des türkischen Staates, seinen Panzern und Granaten, seinen tausenden Soldaten entgegenstellten. Mit Pistolen in der Hand und Entschlossenheit im Herzen widersetzten sie sich dem Verlangen des Feindes, in die Knie zu gehen, und vereitelten somit den Zersetzungsplan.“
Vergeltung für die Gefallenen
Schon die auf organisierte Selbstverteidigung fußende Existenz der Hauptkoordination der YPS/YPS-Jin stelle an sich einen „Akt der Rache“ dar, hält die Organisation in ihrer Erklärung weiter fest: „Denn Vergeltung ist unsere Pflicht. In diesem Sinne gratulieren wir zu unserem fünfjährigen Bestehen und richten das Wort an unsere Kämpferinnen und Kämpfer: Im sechsten Jahr unseres Widerstands werden wir mit dem Geist des Städtekriegs die Selbstverteidigung in allen gesellschaftlichen Bereichen ausweiten. Unsere Verbundenheit gilt der von den Gefallenen an uns übergebene Fahne, die wir Rache übend ins Ziel tragen werden.“