Die ausbleibende Ahndung von Kriegsverbrechen der Türkei ebnet den Weg für neue Verbrechen gegen die Menschlichkeit, erklärt das Gesundheitskomitee der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) zur Bombardierung eines Krankenhauses in Şengal und fordert auf internationaler Ebene ein aktives Handeln gegen das Regime in Ankara. Völkerrechtswidrige Besetzungen und Kriegsverbrechen dürften nicht tatenlos hingenommen werden, sondern müssten bestraft werden. „Schweigen tötet. Und Schweigen stiftet nur zu neuen Massakern an. Es ist Zeit, dem ein Ende zu bereiten“, so das KCK-Komitee.
Zehn Tote, sieben Verletzte
Bei mehreren aufeinanderfolgenden Luftangriffen der türkischen Armee auf das Krankenhaus im Dorf Sikêniyê sind am Dienstag vergangener Woche acht Menschen ums Leben gekommen, vier weitere wurden verletzt. Bei den Todesopfern handelt es sich um Kämpfer der ezidischen Widerstandseinheiten YBŞ und Gesundheitsbedienstete. Die Verwundeten sind ebenfalls Angestellte der medizinischen Einrichtung. Einen Tag zuvor wurde das Fahrzeug einer diplomatischen Delegation bombardiert. Der gezielte Anschlag richtete sich gegen den YBŞ-Kommandanten Seîd Hesen (Saeed Hassan) und dessen Neffen Îsa Xwedêda, die auf dem Weg zu einem persönlichen Treffen mit dem irakischen Ministerpräsidenten Mustafa al-Kadhimi waren. Beide Männer kamen ums Leben, drei weitere Delegierte wurden verletzt.
Kriegsverbrechen vor den Augen der Welt
„Nach internationalem Kriegsrecht stellt es ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar, Gesundheitseinrichtungen und Krankenhäuser zu bombardieren oder zu beschädigen. Dies gilt auch für die Ermordung von medizinischem Personal“, hält das KCK-Gesundheitskomitee in seiner Stellungnahme fest. „Durch den Angriff auf die Dorfklinik als einem Ort, der eindeutig kein militärisches Ziel darstellt, sowie auf ein ziviles Fahrzeug wurden vor den Augen der gesamten Welt Kriegsverbrechen begangen. Dabei handelt es sich nicht um die ersten Schandtaten der Türkei. In der Vergangenheit hatten die Bombardements des türkischen Staates überall in Kurdistan, hauptsächlich im Norden, Süden und Westen, in Şengal und in Mexmûr etliche Male Massaker an der Zivilbevölkerung zur Folge und führten zu einer überdimensionalen Zerstörung der Natur und zur Vertreibung ganzer Gemeinschaften, wie etwa in Efrîn.“
Trümmer der zerbombten Klinik in Şengal
Qendîl seit Jahrzehnten von türkischen Kriegsverbrechen betroffen
Die südkurdische Region Qendîl etwa wird seit Jahrzehnten immer wieder zum Ziel von Kampfflugzeugen des türkischen Staates. Das Dorf Zergelê ist eines der unzähligen Ortschaften, die gezeichnet sind von den Kriegsverbrechen des NATO-Mitglieds. Am 1. August 2015 wurde Zergelê zum Schauplatz eines Massakers, als F-16-Kampfflugzeuge in drei Angriffswellen neun Bomben auf den Ort abwarfen und alle sechs Häuser des Dorfes sowie eine Schule zerstörten. Acht Bewohner:innen wurden bei den Angriffen getötet, 15 weitere Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt, unter ihnen auch Kinder.
Gut vier Jahre zuvor bombardierte die türkische Luftwaffe am 21. August 2011 in Kortek ein ziviles Fahrzeug, in dem sich sieben Mitglieder einer Familie aufhielten. Alle Insassen, darunter auch ein Baby, wurden bei dem Angriff getötet. Diese und andere Bombardierungen führten neben menschlichen Verlusten und der Beschädigung des Eigentums der Bevölkerung auch zum Verlust der Tierbestände und damit einer wichtigen und oftmals der einzigen Einnahmequelle. Keines dieser Kriegsverbrechen ist geahndet worden.
Systematische Vernichtungs- und Völkermordpolitik gegen Kurden
Bei einer genaueren Untersuchung all dieser von der Türkei begangenen Kriegsverbrechen werde deutlich, dass es sich dabei um eine „systematische Vernichtungs- und Völkermordpolitik“ gegen die kurdische Gesellschaft handele, die allerdings nicht nur auf die jüngste Geschichte begrenzt sei, hält das KCK-Gesundheitskomitee fest. „Weil der türkische Staat auf internationaler Ebene bisher nicht zur Verantwortung gezogen wurde, hat er nun am 17. August 2021 in Şengal erneut ein Verbrechen begangen.“ Das Leben, die Rechte und die Freiheit von Menschen seien aber wichtiger als politische Interessen. „Alle internationalen Institutionen sind daher eingeladen, so schnell wie möglich ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Zugleich rufen wir die internationale Öffentlichkeit dazu auf, nicht zu den Kriegsverbrechen des faschistischen türkischen Staates zu schweigen. Solange dieses schreckliche Schweigen andauert, werden auch die Massaker weiter gehen.“
Schweigen führt zu Missachtung internationalen Rechts
Das Schweigen zivilrechtlicher Institutionen und die Verwicklung internationaler Mächte, insbesondere den USA, schafften die Grundlage für die „Fortsetzung des vom faschistischen türkischen Staat zu verantwortendem Grauens“ und für die Missachtung internationalen Rechts. Es sei die Aufgabe eines jeden Menschen, dieser unmoralischen Politik ein Ende zu bereiten. „Die vom türkischen Staat begangenen Kriegsverbrechen stellen einen klaren Bruch der Genfer Konvention dar. Wir fordern daher alle internationalen Institutionen und Organisationen dazu auf, umgehend aktiv zu werden. Die Stimmen der Gesundheitsbediensteten, die bei dem Angriff auf das Krankenhaus in Şengal gefallen sind, sind nun die Stimmen unseres Gewissens. Um die Erinnerungen an sie lebendig zu halten und Rechenschaft für dieses Massaker einzufordern, fordern wir alle dazu auf, sich unter der Losung ‚Schluss mit den türkischen Kriegsverbrechen‘ zu vereinen und gemeinsam für Freiheit und das Ende des Faschismus zu kämpfen.“ Den Verwundeten wünscht die KCK eine schnelle Genesung, den Angehörigen der Toten spricht das Komitee sein Mitgefühl aus.