Im Gedenken an Xalid Abdurrahman

Was sagt die Geschichte von Xalid Abdurrahman aus Behdînan einem Menschen aus Südkurdistan? Welche Botschaft beinhaltet diese Geschichte für die Dorfschützer aus dem Norden, die sich als Jagdhunde der Besatzer an der Operation beteiligen?

Xalid Abdurrahman war Angehöriger des Stammes der Berwarî und arbeitete als Lehrer im Dorf Kanî Mezin in der südkurdischen Region Kanî Masî. Bis vor wenigen Tagen lebte er in dem von Obstbäumen gesäumten Dorf mit seiner Frau und seinen fünf Kindern zusammen. Jetzt ist er ein Volksheld und unvergesslicher Gefallener seines Landes.

Sein Leben erfuhr eine plötzliche Wendung, als am 20. August um 10.30 Uhr Explosionen zu hören waren. Dabei hätte er gar nichts tun müssen. Er hätte dem Grauen in unmittelbarer Nähe einfach zugucken können. Er hätte zur Besatzung seines Landes schweigen können. Er hätte sich nur um sich und seine Familie kümmern können.

Aber das tat er nicht, denn er war ein Mensch, der sein Land wirklich liebte, ein gebildeter Kurde, der wusste, wofür es sich zu leben lohnt.

Als er ahnungslos in seinem Garten arbeitete, zerfetzten die Druckwellen explodierender Granaten die Luft. Bevor er überhaupt begriffen hatte, was vor sich geht, traf er auf einen verletzten Guerillakämpfer, der ihn um Hilfe bat. Vermutlich war es das erste Mal, dass er einen verletzten Guerillakämpfer sah. Er zögerte nicht und rettete den Verletzten, indem er ihn aus einem kurdischen Reflex heraus aus dem Gebiet half. Die Luftangriffe gingen weiter, aber er fühlte die Verantwortung, weitere Verletzte zu bergen. Seine Frau und der Guerillakämpfer forderten ihn auf, das Ende der Angriffe abzuwarten, aber er lief sofort zurück an den Ort des Geschehens.

Wer weiß, vielleicht hat er noch einen Verletzten gefunden. Vielleicht hat ihn auch auf der Suche nach weiteren Verwundeten eine Rakete getroffen. Er ist dort gestorben.

Ich weiß nicht, wovon moderne Romane handeln und was die Begriffe Tugend, Stolz und Heldenmut noch bedeuten. Ich weiß jedoch, dass sich Xalid unter der Besatzung in Kurdistan wie ein Kurde verhalten hat, der sich in dem seit Hunderten Jahren andauernden brutalen Krieg seine Würde bewahrt hat.

Ich schreibe diesen Text nicht in unserer gemeinsamen Muttersprache Kurdisch. Das geschieht aus Absicht, denn die türkischsprachigen faschistischen Besatzer und ihre armseligen Anhänger sollen wissen, was uns Kurdinnen und Kurden eint und wie stark die Bindung unter uns ist. Sie sollen Xalid Abdurrahmans Geschichte kennen.

Diejenigen, die davon ausgehen, dass wir uns als Befreiungsbewegung nur mit Gewalt in Başûrê Kurdistan [Südkurdistan] halten können, dass die Bevölkerung von Behdînan nicht hinter der PKK, sondern unter dem Einfluss anderer kurdischer Organisationen steht, sollen die Realität sehen. Wer behauptet, dass sich die Kämpferinnen und Kämpfer des Volkes Kurdistans nur vorübergehend im Süden aufhalten und keine Verbindung zu den Menschen hier haben, soll die Wirklichkeit sehen, die sich hinter dem eisernen Vorhang seines Denkens verbirgt.

Ich frage: Wie viele Väter sind in der Lage, ihren Kindern unter einem Bombenhagel zur Hilfe zu eilen? Wie viele große Brüder würden unter den einschlagenden Granaten zu ihren Geschwistern laufen? Oder wie viele Menschen würden ihre Familie zurücklassen, um unter den Kampfbombern anderen Menschen zu helfen?

Ein Kurde, der sein Land wirklich liebt und daran glaubt, dass die Guerilla für seine Freiheit und Würde kämpft, kann das. Vor allem, wenn er weiß, dass man ohne Würde nicht leben kann. Dann kann es sein, dass er in den Tod läuft, weil er das Leben einer Kämpferin oder eines Kämpfers als noch wertvoller als sein eigenes betrachtet.

Ich frage weiter: Was sagt die Geschichte von Xalid Abdurrahman aus Behdînan einem Menschen aus Südkurdistan? Welche Botschaft beinhaltet diese Geschichte für die Dorfschützer aus Bakur [Norden], die sich als Jagdhunde der Besatzer an der Operation beteiligen? An welches Paradies hat der Lehrer Xalid geglaubt, als er in die Hölle der todbringenden Kampfbomber gelaufen ist? Und was sagt seine Haltung den Intellektuellen, Frauen und Jugendlichen in Kurdistan? Was sagt sie den profitgierigen Anhängern einer Familie, eines Stammes oder einer Partei, die sich beharrlich einer innerkurdischen Einheit verweigern?

Ich bin eine Kurdin, die auf dem besetzten Boden von Bakur zu ihrer Identität gefunden hat. Ich bin eine Guerillakämpferin in Başûr, die sich mit Xalid Abdurrahman und Tausenden weiteren Kurdinnen und Kurden in Behdînan in ihrer Liebe zu ihrem Land verbunden fühlt. Ich bin eine Freiheitskämpferin aus Kurdistan. Als Guerilla haben wir es uns zu unserer Lebensaufgabe gemacht, die Träume von Freiheit aller würdevollen Menschen in allen Teilen Kurdistans, in allen Städten und Dörfern zu verwirklichen. Mögen Xalid und alle, die die Würde, den Stolz und die Liebe zum Land repräsentieren, in Frieden ruhen. Mögen die Zehntausenden, die dem Boden Kurdistans mit ihrem Blut Leben verleihen, in Frieden ruhen...