HRW wirft Ankara illegale Rückführungen nach Nordsyrien vor

Human Rights Watch hat der Türkei erneut illegale Rückführungen von Geflüchteten nach Nordsyrien vorgeworfen. Seit mindestens 2017 wurden „Tausende syrische Flüchtlinge festgenommen, inhaftiert und kurzerhand abgeschoben“.

Abschiebungen in Besatzungszone

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat der Türkei ein weiteres Mal illegale Rückführungen von Geflüchteten in die Besatzungszone in Nordsyrien vorgeworfen. Trotz katastrophaler Bedingungen in der Region habe der türkische Staat seit mindestens 2017 „Tausende syrische Flüchtlinge festgenommen, inhaftiert und kurzerhand abgeschoben“, teilte die Organisation am Donnerstag in einem Bericht mit. Die Geflüchteten seien dabei oft dazu gezwungen worden, zu unterschreiben, dass sie „freiwillig“ nach Syrien zurückkehrten. HRW berief sich auf Interviews mit Flüchtlingen, Menschenrechtsgruppen und einem Grenzbeamten.

Mehr als drei Millionen Menschen mit syrischer Staatsbürgerschaft leben aktuell in der Türkei unter temporärem Schutz, der sie rechtlich zwar vor einer erzwungenen Rückkehr nach Syrien schützt. In der Praxis aber werden syrische Geflüchtete bereits seit Jahren mittels Abschiebungen zurückgebracht, die gegen das Verbot von Kollektivausweisungen und gegen das Non-Refoulement-Gebot verstoßen, wie Menschenrechtsgruppen und Flüchtlingshilfsorganisationen regelmäßig kritisieren. Oftmals sind fingierte Einverständniserklärungen gar nicht nötig, da das Land teilweise aufgehört hat, Flüchtlinge zu registrieren, was Abschiebungen erleichtert.

Glaubt man den Angaben der Regierung, hätten bisher etwa 600.000 Syrerinnen und Syrer „freiwillig“ die Türkei verlassen. Dabei finden Rückführungen und Abschiebungen nach Syrien grundsätzlich in die Besatzungszone statt, in der unter Einbeziehung des von Recep Tayyip Erdoğan aufgebauten und finanzierten Milizverbands „Syrische Nationalarmee” (SNA) ein Terrorregime etabliert wurde – und bis heute umgesetzt wird. Diese Koalition islamistischer Milizen „kontrolliert“ unter anderem auch das bis 2019 selbstverwaltete Girê Spî (Tall Aybad). Laut HRW habe Ankara syrische Geflüchtete im vergangenen Jahr hauptsächlich über diesen Grenzübergang zurückgeschickt.

Die Türkei gebe zwar an, so HRW, sie wolle die von ihr besetzten Gebiete in Nordsyrien in eine sogenannte „Sicherheitszone“ verwandeln. In Wahrheit gebe es dort aber immer wieder Menschenrechtsverletzungen, hält die Organisation fest. Erst Anfang März hatte Human Rights Watch der Türkei vorgeworfen, für Misshandlungen in der türkischen Besatzungszone in Nordsyrien verantwortlich zu sein. 2022 bezeichnete die Organisation das nördliche Syrien als türkische „Deponie für Flüchtlinge“.

EU-Türkei-Deal Freifahrtschein für Abschiebungen in Besatzungszone

Die Türkei ist in den vergangenen Jahren mehrfach in den Norden Syriens bzw. Rojava eingedrungen und hat Gebiete entlang der Grenze besetzt. Auf Invasionen in Cerablus (Dscharablus) und Idlib in den Jahren 2016 und 2017 folgten Angriffskriege in Efrîn (2018) sowie Serêkaniyê (Ras al-Ain) und Girê Spî (2019). Der Plan, Millionen syrischer Geflüchteter in Gebieten anzusiedeln, in die die Türkei zuvor völkerrechtswidrig einmarschiert ist, ist allerdings schon älter – und findet sich bereits im EU-Türkei-Deal von 2016. In der EU-Erklärung vom 18. März 2016 heißt es wörtlich unter Punkt 9: „Die EU und ihre Mitgliedstaaten werden mit der Türkei bei allen gemeinsamen Anstrengungen zur Verbesserung der humanitären Bedingungen in Syrien, hier insbesondere in bestimmten Zonen nahe der türkischen Grenze, zusammenarbeiten, damit die ansässige Bevölkerung und die Flüchtlinge in sichereren Zonen leben können.“