HRW: Ankara macht aus Nordsyrien „Deponie für Flüchtlinge“

Die Türkei hat zwischen Februar und Juli zahlreiche syrische Geflüchtete willkürlich inhaftiert und nach Nordsyrien abgeschoben – oftmals unter Einsatz von Gewalt und mit vorgehaltener Waffe. Darauf macht Human Rights Watch aufmerksam.

Die Türkei hat zwischen Februar und Juli zahlreiche syrische Geflüchtete willkürlich inhaftiert und nach Nordsyrien abgeschoben. In einem am Montag von Human Rights Watch (HRW) in Istanbul veröffentlichen Bericht heißt es unter Berufung auf Interviews mit abgeschobenen Syrern, dass türkische Beamte diese zur Unterzeichnung von Formularen für die „freiwillige Rückkehr“ zwangen und zum Teil misshandelten. Daraufhin seien die Flüchtlinge, darunter auch Minderjährige, zu Grenzübergängen nach Nordsyrien gefahren und mit vorgehaltener Waffe gezwungen worden, das türkische Staatsgebiet zu verlassen. Dieses Vorgehen ist seit Jahren gängige Praxis in der Türkei.

„Unter Verletzung des Völkerrechts haben die türkischen Behörden hunderte von syrischen Flüchtlingen, darunter auch unbegleitete Kinder, zusammengetrieben und zur Rückkehr nach Nordsyrien gezwungen“, sagte Nadia Hardman, Expertin für Flüchtlings- und Migrantenrechte bei HRW. Obwohl die Türkei 3,6 Millionen syrischen Flüchtlingen vorübergehend Schutz gewährt hat, „sieht es jetzt so aus, als ob Ankaras Regierung versucht, Nordsyrien zu einer Deponie für Flüchtlinge zu machen.“ HRW wies darauf hin, der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan habe wegen der Beherbergung der Flüchtlinge von der Europäischen Union mehrere Milliarden Euro für humanitäre Hilfe und Migrationsmanagement erhalten. Hardman rief die EU auf, anzuerkennen, dass die Türkei derzeit die Kriterien für ein sicheres Drittland nicht erfülle.

Im Mai hatte Erdogan angekündigt, eine Million Flüchtlinge in den „Schutzzonen“ Nordsyriens anzusiedeln. Man werde ihnen dort Wohnungen errichten und Infrastruktur schaffen. Der Erdogan argumentiert, das syrische Grenzgebiet zur Türkei werde von Gruppen kontrolliert, die von Ankara unterstützt würden. Die Zurückgeschickten – die meisten stammen aus syrischen Regimegebieten – seien somit in Sicherheit. Mit den sogenannten Schutzzonen sind Gebiete in der illegalen Besatzungszone in Nordsyrien gemeint, wo islamistische Milizen im Sold der Türkei ein Terrorregime installiert haben.

„Syrien ist für zurückkehrende Flüchtlinge weiterhin unsicher“, kritisierte auch HRW. Die Abschiebungen stünden in krassem Gegensatz zur demonstrierten Großzügigkeit der Türkei, die fast viermal so viele Flüchtlinge in den vergangenen Jahren aufgenommen habe wie die EU-Mitgliedsstaaten. Bis die Zwangsabschiebungen aufhörten, sollte die EU die finanzielle Hilfe für die Türkei aussetzen, fordert HRW.

Erdogan sorgt sich um Wiederwahl

Wirtschaft gut, alles gut – doch wehe, wenn nicht. Je schlechter es der türkischen Ökonomie geht, desto mehr nehmen Hetze und Hass gegen syrische Geflüchtete zu. Im Vorwahlkampf für die kombinierten Parlaments- und Präsidentenwahlen, die im Juni 2023 stattfinden sollen, hat sich wieder einmal erwiesen, dass harte Rhetorik gegen sie bei ihrer Wählerschaft äußerst beliebt ist. Erdogan und Konsorten befürchten, das Thema um die syrischen Flüchtlinge könnte die Wahlen dominieren. Gerade der AKP-Chef versucht seine schwindenden Hoffnungen auf eine Wiederwahl mit Anti-Flüchtlings-Plänen anzukurbeln.

Ankara weist Vorwürfe von HRW zurück

Die Anschuldigungen von Human Rights Watch wies die zuständige Behörde in der Türkei als unbegründet zurück. Das Migrationsmanagement erfolge in Übereinstimmung mit nationalem und internationalem Recht, hieß es aus Ankara.