Human Rights Watch hat einen Bericht über die exzessive Gewalt iranischer Sicherheitskräfte in der kurdischen Provinzhauptstadt Sine (Sanandadsch) vorgelegt. In dem am Mittwoch veröffentlichten Bericht wird festgehalten, dass sowohl die seit September stattfindenden Straßenproteste als auch die brutale Reaktion des iranischen Regimes „die langjährige Unterdrückung der kulturellen und politischen Freiheiten des kurdischen Volkes durch die Regierung widerspiegeln“.
„Die iranischen Behörden haben seit September alarmierende Gewalt gegen Demonstrant:innen in Sanandadsch entfesselt", so Tara Sepehri Far, Iran-Expertin bei Human Rights Watch. Die Menschenrechtsorganisation fordert die neu eingerichtete Untersuchungskommission der Vereinten Nationen für den Iran auf, „diese schwerwiegenden Übergriffe als Teil ihrer umfassenderen Berichterstattung über die Menschenrechtsverletzungen der iranischen Regierung gegen weitgehend friedliche Demonstranten im ganzen Land“ zu untersuchen.
„Übermäßige und ungesetzliche tödliche Gewaltanwendung“
Für den Bericht hat Human Rights Watch 14 Gewaltopfer und Zeug:innen in Sine befragt, darunter drei ehemalige Gefangene und drei Familienangehörige von Inhaftierten, sowie Videos und Fotos analysiert. „Die iranischen Sicherheitskräfte gingen im September, Oktober und November in Sanandadsch unter Verletzung der internationalen Menschenrechtsnormen mit übermäßiger und tödlicher Gewalt gegen Regierungsgegner und andere Personen vor. Besonders gewaltsam wurde am 8. Oktober und am 17. November vorgegangen. Die Sicherheitskräfte setzten Schrotflinten und Sturmgewehre mit Kalaschnikow-Muster ein und feuerten mit scharfer Munition, Schrot und Tränengas auf die Demonstranten. Sie feuerten auch Tränengas in Häuser und zerstörten Privateigentum. Ein Beamter in Zivilkleidung feuerte mit einem Sturmgewehr auf Wohnungen“, heißt es in dem Bericht. Am 8. Oktober und am 17. November seien mindestens sechs Menschen von Sicherheitskräften getötet worden.
Misshandlung von Gefangenen
Human Rights Watch dokumentiert in dem Bericht schwerwiegende Übergriffe gegen Inhaftierte, darunter auch Frauen und Kinder. Zu den Verstößen gehörten willkürliche Verhaftungen, die Verweigerung medizinischer Versorgung sowie Folter und andere Misshandlungen, darunter Drohungen, Schläge, sexuelle Belästigung und Übergriffe. Die Behörden versäumten es routinemäßig, die Familien über die Umstände und den Verbleib der inhaftierten Personen zu informieren.
Zwei Frauen, die während der ersten Protestwoche im September gemeinsam verhaftet wurden, gaben an, dass die Sicherheitskräfte sie während der Verhaftung und auf dem Polizeirevier geschlagen, sexuell belästigt und mit Vergewaltigung bedroht hätten. Ein Familienmitglied eines 17-jährigen Mädchens, das im Oktober verhaftet wurde, sagte, die Polizei habe ihr mit sexuellen Übergriffen gedroht und sie auf der Polizeiwache sexuell belästigt. Eine der Frauen berichtete, dass ein Sicherheitsbeamter sie bei ihrer Festnahme im September an den Hals schlug, sie zu Boden warf und an den Haaren zog, bevor sechs oder sieben Beamte sie schlugen. Einer trat und schlug sie dann mit einem Schlagstock, während er sie in ein Auto zwang. Sie sagte, sie habe innere Blutungen und Knochenbrüche erlitten.
Die beiden Frauen berichteten, dass sie nach ihrer Inhaftierung auf der Polizeiwache zusammen mit anderen weiblichen Gefangenen in das Jugendgefängnis von Sine gebracht wurden. Dort seien sie gezwungen gewesen, abwechselnd auf dem Boden zu schlafen, da nicht genügend Platz und Decken vorhanden gewesen seien. Sie sagten, die Polizei habe ihre Familien nicht über ihre Verhaftung informiert und auch nicht zugegeben, dass sie sie festhielten, als ihre Familien nach ihnen suchten.
„Die iranischen Behörden haben die Misshandlungen von Demonstranten in Gewahrsam dramatisch verschärft", sagt Sepehri Far von Human Rights Watch und fordert: „Regierungen, die den Iran für Rechtsverletzungen zur Rechenschaft ziehen wollen, sollten den schweren Misshandlungen von Inhaftierten besondere Aufmerksamkeit schenken."