Mehr als drei Monate sind inzwischen vergangen, seit sich am Feminizid an der in iranischer Polizeihaft zu Tode gekommenen Kurdin Jina Mahsa Amini der Funken einer Revolution entzündete. Schnell wurde das Flämmchen zu einem großen Feuer, das die wohl größte Bedrohung des klerikalfaschistischen Regimes seit dessen Bestehen darstellt. Mindestens 480 Demonstrierende, darunter fast 100 Frauen und Kinder, sind Menschenrechtsorganisationen zufolge seit Beginn der Revolution von staatlichen Kräften ermordet worden. Fast ein Drittel aller Opfer starben in Rojhilat (Kurdisch: „Osten“ - bezeichnet alle Gebiete Kurdistans, die im westlichen und nordwestlichen Teil des iranischen Staates liegen). Unter den Toten in Ostkurdistan befinden sich auch mindestens zehn Personen, die an den Folgen schwerer Folterhaft gestorben sind. Das jüngste dieser Opfer ist Mohammad Haji Rasulpour.
Zweimal wurde der 57-jährige Basari Mohammad Haji Rasulpour in seiner Heimatstadt Bokan im Verlauf der Iran-Revolution verhaftet. Das erste Mal setzten ihn Schergen des Regimes am 1. Oktober für rund drei Wochen fest. Kurdische Menschenrechtsgruppen berichteten zu dem Zeitpunkt, dass er massiver Folter ausgesetzt werde, Angehörige fürchteten um sein Leben. Am 23. November geriet Rasulpour erneut ins Visier der sogenannten Revolutionsgarden. Mitten am Tag wurde er aus seinem Geschäft in der Innenstadt Bokans verschleppt und erneut in das örtliche Gefängnis gesteckt. Tagelang gab es kein Lebenszeichen von ihm.
Am 13. Dezember wurde Rasulpour dann nach Zahlung einer Kaution in Höhe von mehr als 11.000 Euro vorübergehend aus der Haft entlassen, da sich sein Gesundheitszustand zuletzt aufgrund der erlebten Folter rapide verschlechtert hatte. Umgehend wurde er in ein Krankenhaus eingeliefert, wo er in der Notaufnahme zunächst noch wiederbelebt wurde. Danach lag der Kurde im Koma. Heute ist Mohammad Haji Rasul auf der Intensivstation des Gholipour-Krankenhauses in Bokan gestorben. Auf der Beerdigung in Ali Kand, dem Geburtsdorf Mohammad Haji Rasuls, riefen Menschen bei seiner Verabschiedung: „Mohammad, du ist unsterblich, denn Gefallene leben ewig.“
Mohammad Haji Rasul privat | Quelle: Social Media
Mohammad Haji Rasul saß bereits früher in einem Gefängnis des iranischen Regimes. Er wird in der Liste der ehemaligen politischen Gefangenen des Kurdistan Human Rights Network (KHRN) geführt. Hintergrund ist eine Verurteilung zu einer fünfmonatigen Freiheitsstrafe wegen „Propaganda zugunsten einer der staatsfeindlichen Partei“ – gemeint ist die Demokratische Partei Kurdistans-Iran (PDK-I) Die Haftstrafe saß Rasul von Dezember 2021 bis April 2022 ab.
KHRN warnt vor weiteren Todesfällen in Haft sowie Hinrichtungen
Indes hat das KHRN die internationale Öffentlichkeit und Staatengemeinschaft zum wiederholten aufgefordert, angesichts der dramatischen Lage in den Gefängnissen Irans zu handeln. Mindestens 18.200 Demonstrierende wurden seit Beginn der Iran-Revolution vor drei Monaten festgenommen. Sowohl das KHRN als auch andere Menschenrechtsgruppen wiesen immer wieder darauf hin, dass Angehörige der Protestbewegung auch hinter Gittern weiter rechtswidrigen Tötungen sowie Folter und anderer Misshandlungen wie etwa Vergewaltigungen ausgesetzt sind. Das KHRN geht von einer hohen Dunkelziffer von Todesfällen unter inhaftierten Demonstrierenden aus. Außerdem erklärte die Gruppe, dass aktuell dutzenden Menschen im Zusammenhang mit den Protesten die Hinrichtung beziehungsweise Todesstrafe drohe.
Zwei Demonstranten hingerichtet
Mit Mohsen Shekari und Majidreza Rahnavard, beide erst 23 Jahre alt, wurden bereits zwei Demonstranten vor wenigen Tagen vom iranischen Regime hingerichtet. Der Vorwurf gegen sie lautete „Kriegsführung gegen Gott“. Als Reaktion auf die Hinrichtungen wurden überall in Iran neue Streiks und Proteste angekündigt, die diesen Montag angefangen haben. An den Protesten sind auch Arbeitende der Öl- und Stromindustrie sowie LKW-Fahrer beteiligt. Auch die Basaris haben wieder ihre Arbeit niedergelegt.