HPG-Pressesprecher: Die Initiative liegt bei der Guerilla

Derzeit fliegen mehr türkische Kampf- und Aufklärungsflugzeuge über Kurdistan als russische Kampfjets über der Ukraine, erklärt der HPG-Pressesprecher Serdar Yektaş.

Mit dem Frühling nimmt auch die Intensität der türkischen Angriffe zu. Es ist die Rede von einem neuen türkischen Großangriff auf die südkurdischen Medya-Verteidigungsgebiete im Windschatten des Ukraine-Konflikts. Der Sprecher des Pressezentrums der Volksverteidigungskräfte (HPG), Serdar Yektaş, erklärt im Rückblick auf die Misserfolge des türkischen Staates im vergangenen Jahr: „Was ist also das Ergebnis all dieser Operationen? Ein großartiges Nichts für den türkischen Staat. Als sich unsere Freundinnen und Freunde 2021 im Winter in Dersim und Mêrdîn in befestigte Stellungen zurückzogen, gab es einige Gefallene. Das haben wir unserem Volk bereits mitgeteilt. Trotzdem sind die Operationen im Frühling und Winter erfolglos verlaufen. Wir hatten keine Verluste. Die Initiative und Überlegenheit liegt bei uns.“

Im ANF-Interview gibt Serdar Yektaş eine Perspektive für das Kampfjahr 2022.

Vor Newroz wurde von der Versammlung des Kommandorats der HPG berichtet. Es hieß, der türkische Staat bereite für den Frühling neue Operationen vor. Wie ist die aktuelle Lage in den Guerillagebieten?

Die Guerilla feiert das Newrozfest jedes Jahr mit den gleichen Gefühlen. Der Unterschied dieses Jahr war jedoch, dass die die Newrozfeiern sichtbarer waren und in den Medien dargestellt wurden. Das Newrozfest war für unser Volk in diesem Jahr noch prächtiger und enthusiastischer. Die Guerilla feierte Newroz im Geiste des Sieges und geht entschlossen in das neue Kampfjahr. Newroz ist für uns das Fest der Wiederauferstehung und des Widerstands sowie der Beginn des neuen Kampfjahres.

Mit Beginn des Frühjahrs sind Informationen eingegangen, die besagen, dass der türkische Staat einen Invasionsangriff auf die Medya-Verteidigungsgebiete oder, wenn er kann, auf verschiedene weitere Teile Kurdistans starten könnte. Aber das bedeutet nicht, dass es im Moment keinen Krieg oder Angriffe gibt. Wer das denkt, der liegt vollkommen falsch. Es gab seit dem Herbst pausenlos intensive Operationen und Angriffe in Nordkurdistan und auf die Medya-Verteidigungsgebiete. Der umfassende Kriegszustand dauert unvermindert an.

Das türkische Innenministerium sagt, dass allein in den letzten drei Monaten mehr als 8.000 militärische Operationen in Nordkurdistan durchgeführt wurden. Die Armee hat sich aus einigen Gebieten in den südkurdischen Regionen Zap, Metîna und Avaşîn zurückgezogen, weil sie nicht weiterkommen konnte. Die Medya-Verteidigungsgebiete werden allerdings permanent von bewaffneten Drohnen und Kampfflugzeugen angegriffen. Fast jeden Tag kommt es zu Luftangriffen. Das teilen wir ja auch über unsere Erklärungen mit. Derzeit fliegen mehr türkische Kampf- und Aufklärungsflugzeuge über Nordkurdistan und die Medya-Verteidigungsgebiete als Kampfflugzeuge über der Ukraine. Manche mögen diese Feststellung für übertrieben halten, aber wenn man die zivilen und militärischen Radardienste betrachtet, dann kann man sehen, dass das stimmt. Derzeit gibt es permanente Angriffe und Operationen gegen die Guerillagebiete. Die Guerilla hat jedoch das Niveau erreicht, all das zu neutralisieren. Da der türkische Staat keine Ergebnisse erzielt, scheint es so, als gäbe es keine Angriffe oder Operationen, aber das entspricht nicht der Realität.

Wie betrachten Sie die Wahrscheinlichkeit einer türkischen Invasion mit Bodentruppen?

Natürlich ist das sehr wahrscheinlich. Wir haben es mit einem Feind zu tun, der einen Völkermord begehen will. Die Frage ist, warum er so lange warten musste, bis er vom Boden aus angriff. Im vergangenen Jahr wurde der Feind an vielen Orten, von Bakur bis in die Medya-Verteidigungsgebiete, hart getroffen. Die Invasionstruppen konnten das, was sie angekündigt hatten, nicht umsetzen; sie konnten ihre Ziele nicht erreichen. Ausgehend von Gare erlebten sie eine Reihe von Niederlagen, von Avaşîn über Zap bis Metîna wiederholten sich diese. Der türkische Staat will angreifen, aber er muss, um die Kraft dazu aufzubringen, seine Streitkräfte darauf vorbereiten. All das zeigt, in was für einer schlechten Lage er sich befindet. Schauen Sie, der türkische Staat bereitet sich seit Wochen darauf vor, einen Angriff auf unsere Bewegung und unser Volk zu beginnen, er führt intensive Gespräche mit externen Kräften und bittet sie um Hilfe. Er versucht innerhalb der Kurden, eine eigene verräterische Kolonne aufzubauen und neue Waffentechnologie zu erhalten. Wenn er auch nur etwas davon erreichen kann, wird der türkische Staat natürlich angreifen. Wenn der türkische Staat die Invasionsoffensive, die am 23. April letzten Jahres begann, nicht fortsetzen konnte, wenn er Offensive auf Offensive begann, aber nicht vorwärts kam, dann deshalb, weil er hilflos und schwach gegenüber dem Widerstand der Guerilla war.

Wie sind die Vorbereitungen der Guerilla gegen eine bevorstehende Bodenoperation?

Die Erklärung nach der Versammlung unseres Kommandorats hat diese Frage ausreichend beantwortet. Die Restrukturierung der HPG und die neuen Guerillataktiken wurden in einem wichtigen Ausmaß umgesetzt. Dies ist jedoch ein Prozess, der sich ständig in der Weiterentwicklung befindet. Die Guerilla ist eine Kraft, die sich jeden Tag weiterbildet, ihre Praxis hinterfragt, aus ihren Unzulänglichkeiten lernt und sich dementsprechend erneuert. Angesichts dieser Realität wurden wichtige Lehren aus dem Krieg 2021 gezogen und ideologische und militärische Vorbereitungen getroffen. Die Guerilla ist sowohl bereit als auch bereits aktiv im Krieg. Sie befindet sich nicht in einer Warteposition, wie der Feind meint. Der Feind sagt, dass er in den letzten drei Monaten Tausende von Operationen allein in Bakur durchgeführt habe. Wenn wir den Herbst mit einbeziehen, dann liegt die Zahl der Operationen bei Zehntausenden. Was ist also das Ergebnis all dieser Operationen? Ein großartiges Nichts für den türkischen Staat. Als sich unsere Freundinnen und Freunde 2021 im Winter in Dersim und Mêrdîn in befestigte Stellungen zurückzogen, gab es einige Gefallene. Das haben wir unserem Volk bereits mitgeteilt. Allerdings sind die zehntausenden Operationen, die im Frühling und Winter stattfanden, erfolglos verlaufen. Wir hatten keine Verluste. Die Initiative und Überlegenheit liegt bei uns.

Im Gegensatz zu dem, was Sie sagen, macht der türkische Staat übertriebene Angaben zu Verlusten der Guerilla. Was können Sie dazu sagen?

In einem Wort gesagt: es ist gelogen. Der türkische Staat nennt übertriebene Zahlen über unsere Verluste. Er möge sagen, wo und wann wie viele Kämpferinnen und Kämpfer von uns gefallen sind. Der Innenminister, der sich selbst zu den wichtigsten Elementen des Spezialkriegs zählt, hat so viele Lügen verbreitet und wurde so oft widerlegt, dass er sich im Moment nicht einmal traut, selbst aufzutreten. Daher wurde die Institution eines Sprechers des Innenministeriums geschaffen. Man lässt nun einen Bürokraten auf Befehl diese Erklärungen verbreiten. Ich denke, diese Lösung soll bewirken, nicht selbst als Lügner dazustehen. Der Feind prahlt damit, wie viele Kurden er abgeschlachtet habe. Die Vertreter des Staates konkurrieren in der Verbreitung ihrer Erfolgsgeschichten. Als das türkische Verteidigungsministerium eine Erklärung über gefallene Guerillakämpfer veröffentlichte, gab das Innenministerium sofort ebenfalls eine solche Erklärung ab, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Diese Erklärungen richten sich meist nicht nur gegen uns, sie spiegeln gleichzeitig ihre Konkurrenz und inneren Widersprüche wider. Wir können konkret sagen, dass uns seit Anfang 2022 die Nachricht von sieben Gefallenen in den Medya-Verteidigungsgebieten erreicht hat. Am 23. Januar sind, wie wir bereits erklärt haben, drei Freund:innen gefallen, in den vergangenen Tagen sind an zwei verschiedenen Orten vier Freund:innen gefallen. In Nordkurdistan haben wir gar keine Verluste. Daher ist das, was der türkische Staat über unsere Gefallenen sowohl in Bakur als auch in den Medya-Verteidigungsgebieten erklärt, vollkommen fernab von der Realität.

Die Guerilla scheint seit Anfang des Jahres in Aktion zu sein. Was können Sie uns über diese Aktionen und die Verluste des türkischen Staates berichten?

Das Tempo der Guerillaaktionen variiert manchmal je nach saisonalen Bedingungen, aber es finden ununterbrochen Aktionen statt. Wie Sie bereits festgestellt haben, hat die Guerilla ihre Aktionen trotz der harten Winterbedingungen von Beginn dieses Jahres an fortgesetzt. Die Guerilla hat im Januar ebenso wie im Februar zugeschlagen. Die Aktionen haben am 8. März, an Newroz und in der Woche der Gefallenen zugenommen. Wir sind davon überzeugt, dass sie innerhalb des Jahres noch weiter zunehmen werden. Seit Anfang 2022 hat der türkische Staat 312 Luftangriffe aus Kampfflugzeugen und 30 Mal aus Hubschraubern durchgeführt. Insgesamt sind es also 342 Luftangriffe. Es gab zehn Angriffe mit Haubitzen und Mörsern. Bei diesen Angriffen handelt es sich um die Attacken, welche unsere Kämpferinnen und Kämpfer gesehen haben und bestätigen konnten. Da meistens einfach ziellos das Gelände bombardiert wird, gibt es auch Angriffe, die wir gar nicht mitbekommen. Demgegenüber hat die Guerilla zwanzig Aktionen durchgeführt. Bei diesen Aktionen konnte festgestellt werden, dass mindestens 23 Besatzer getötet und zwei verletzt wurden. Abgesehen von diesen kann es Besatzer geben, die bei Aktionen getötet oder verletzt wurden, deren Tod aber nicht sicher von unseren Kräften festgestellt werden konnte. Wir veröffentlichen nur gesicherte Informationen. Der türkische Staat verbreitet Spezialkriegslügen, um seine eigene Schwäche zu verbergen und die Wirkung der Aktionen der Guerilla zu verschleiern. Da unsere Einheiten, die die Aktionen ausführen, diese Tatsache gut kennen, zeichnen sie alle ihre Aktionen soweit möglich auf und lassen sie uns zukommen. Wir bringen diese Aufnahmen dann auf Gerîla TV. Wir sagen, was wir machen, nicht mehr und nicht weniger.

Die Aufnahmen auf Gerîla TV werden mit großem Interesse verfolgt. Was für eine Rolle spielt Gerîla TV Ihrer Meinung nach?

Das System der kapitalistischen Moderne und die Kolonialisten setzen alles daran, alle Kanäle zu schließen, durch die sich die Freiheitsbewegung und die Guerilla ausdrücken und die Gesellschaft erreichen können. Gerîla TV ist eine Form, mit der diese Bemühungen des Feindes durchbrochen werden und die Realität der Guerilla die Gesellschaft erreicht. Gerîla TV beantwortet auf effektive Weise die Bemühungen des türkischen Staats, Spezialkriegslügen zu verbreiten und so zu tun, als gäbe es keine Guerillaaktionen, keine Initiative oder Präsenz. Im Moment ist uns der Zugang zu allen digitalen Medien unter der Kontrolle der hegemonialen Kräfte verschlossen, Gerîla TV ist verboten. Aber Gerîla TV wurde auf Grundlage eigener Bemühungen der Guerilla eröffnet und ist der Bereich, in dem sie sich selbst ausdrückt. Diejenigen, die die Wahrheit über die Guerilla und den Krieg in Kurdistan wissen wollen, wenden ihren Blick Gerîla TV zu.

Der türkische Staat kann so viele Lügen verbreiten, wie er will. Soll er die Gesellschaft einem Bombardement von Lügen aussetzen. Wenn wir unsere Aktionen aufzeichnen und an die Öffentlichkeit bringen, haben seine Lügen keine Bedeutung mehr. Wenn eine Guerillaeinheit eine Aktion in einem Gebiet durchführt, trifft sie den Feind einmal. Wenn wir diese Aktion über Gerîla TV übertragen, trifft es den Feind aber tausendmal. Denn die Gesichter der Chefs der türkischen Spezialkriegsführung, die mit ihren Medien die Welle des Faschismus anfachen und die Wahrheit verdrehen, werden davon wie von einer Ohrfeige getroffen. Deshalb gibt es viele Versuche, Gerîla TV zu blockieren oder einzuschränken. Aber all diese Angriffe, so intensiv sie sein mögen, bleiben ergebnislos.

Wir sind die Guerilla und wir befinden uns im Krieg. Wir machen Gerîla TV nicht, um uns selbst darzustellen. Es ist aber deutlich geworden, dass Gerîla TV eine Notwendigkeit der Revolution und unseres Kampfes ist. Gerîla TV spielt im Moment eine wichtige Rolle und hat eine bedeutende Funktion. Natürlich ist es unsere Hauptaufgabe, unsere Realität besser zu vermitteln und mehr davon zu unserem Volk, zu den Völkern und zu all denen zu tragen, die sich an unserem Guerillakampf ein Beispiel nehmen wollen. Die gesamte Guerilla hat dabei viel geleistet und große Mühen auf sich genommen, und sie wird es auch weiterhin tun. Denn Gerîla TV ist nicht nur ein Medium, durch das Guerillaaktionen ausgestrahlt werden. Gleichzeitig teilen wir mit, wie die Freiheitsguerilla Kurdistans lebt, was sie tut, was sie denkt, wie sie sich selbst bildet, was sie empfindet und wie sie ihre Gefühle in welchen Liedern ausdrückt. Es ist also ein umfassendes Archiv, ein Spiegel der Guerilla, der Versuch, ein Gesamtbild wiederzugeben.

Apropos, ich möchte darauf hinweisen, dass, während unsere Freundinnen und Freunde solche Anstrengungen für Gerîla TV unternommen haben und es ein großes Interesse von unserem Volk gibt, andere Organe dem nicht ausreichend Bedeutung beimessen. Die Guerilla ist in der Lage, ihre eigenen Aktionen und Aktivitäten in wenigen Minuten Filmmaterial zu dokumentieren und der Öffentlichkeit zu präsentieren. Damit diese wenigen Minuten der Aktion jedoch stattfinden können, braucht es Tage der Planung, Anstrengung über Anstrengung und große Beharrlichkeit. Die Grundlage dieser wenigen Minuten Filmmaterial ist auf Blut und Schweiß und größter Opferbereitschaft aufgebaut. Deshalb wünschen wir uns, dass die Filme nicht einfach nur kurz angeschaut und vergessen werden. Die Menschen sollen wissen, mit welcher Anstrengung sie geschaffen wurden und dass alles dafür getan werden sollte, die Realität der Guerilla weiterzuverbreiten.

Das KCK-Außenarbeitskomitee hat berichtet, die südkurdische PDK werde sich an der Seite der Türkei am Krieg beteiligen. Was sagen Sie dazu? Wie ist die Situation vor Ort?

Unsere Bewegung hat bereits ausreichend Vorwarnungen abgegeben, damit es zu keiner Katastrophe kommt. In dieser Hinsicht erreichen uns aus lokalen Quellen viele Informationen. Aber wir wissen nicht, wie viel davon wahr ist, wie viel davon Desinformation ist und darauf abzielt, einen Krieg zu provozieren. Deshalb sind wir vorsichtig mit allen Informationen. Wichtig ist, wie die praktische Situation im Feld ist. Die PDK hat vergangenes Jahr Position im Guerillagebiet bezogen, und dort ist sie noch immer. Ihre Hand ist am Abzug gegen die Guerilla. Es gibt keinerlei Rückzug, stattdessen befestigt sie ihre Stellungen weiter. Es ist bekannt, was das bedeutet. Es handelt sich um eine sehr gefährliche Situation und es besteht die Möglichkeit, dass es schlimme Konsequenzen geben könnte. Im letzten Monat hat die PDK an einigen Orten in der Gegend von Heftanîn Stellung bezogen. Danach in Kela Qumriyê in Metîna. Wir erhalten auch Informationen, dass PDK-Kräfte die Bevölkerung in Metîna, Şîladizê und den Dörfern um Amêdî unter Druck setzen und ernsthaft bedrohen, damit sie keine Beziehungen zur Guerilla aufnehmen. Es ist bereits bekannt, welche Position die PDK im vergangenen Jahr gegen die Guerilla eingenommen hat und was sie getan hat. Wir wünschen uns, dass das Gleiche in diesem Jahr nicht noch einmal passiert. Denn während unser Volk entschlossen ist, den Freiheitskampf als ein Ganzes zu gewinnen, finden von innen und von außen alle möglichen Provokationen statt, um diesen Kampf zu schwächen. Das Volk stellt sich gegen diese Versuche und hat mittlerweile genug davon. Wir handeln in diesem Bewusstsein und dieser Verantwortung.