HPG-Bericht zum Krieg in Nord- und Südkurdistan

Die Guerillakämpfer:innen Zîn Amed und Mahsum Herekol sind in Amed gefallen. Die HPG berichten von ununterbrochenen Angriffen und Operationen der türkischen Armee im Norden und Süden Kurdistans.

Das Pressezentrum der Volksverteidigungskräfte (HPG) berichtet in einer aktuellen Mitteilung zum Krieg in Kurdistan: „Die türkische Besatzerarmee setzt die Angriffe und Operationen gegen die Freiheitsguerilla Kurdistans in Bakur [Nordkurdistan] und den Medya-Verteidigungsgebieten fort. Seit einem Monat finden ununterbrochen Angriffsoperationen in Amed [Diyarbakir] statt. In Folge dieser Operationen sind am 2. und 3. Juni drei unserer Weggefährt:innen in der Region Amed gefallen. In den Medya-Verteidigungsgebieten wurden innerhalb der letzten drei Tage 13 Mal verbotene Bomben eingesetzt, die Gebiete wurden 28 Mal von Kampfjets, vier Mal von Angriffshubschraubern und 226 Mal von Haubitzen und Panzern bombardiert. Vormärsche der Besatzer in den Widerstandsgebieten wurden durch Interventionen unserer Kräfte gestoppt, zwei Besatzer wurden bestraft. Parallel dazu greifen die Besatzer weiterhin unsere Widerstandsstellungen mit Schaufelbaggern an, um sie einzureißen.“

Operation in Licê

Zur Situation in Amed teilen die HPG mit: „Im Gebiet Licê in Amed hat die türkische Armee am 2. Juni eine umfangreiche Operation eingeleitet. Im Zuge dieser Operation und der Angriffe der Armee ist es am 2. Juni zu einem Kontakt zwischen einer Gruppe unserer Weggefährt:innen und dem Feind gekommen, es fanden heftige Gefechte statt. Unsere Weggefährt:innen haben bei den bis zum 3. Juni andauernden Gefechten opferbereit gekämpft. Drei unserer Weggefährt:innen sind bei den Gefechten gefallen. Die Identität von Zîn Amed und Mahsum Herekol konnte inzwischen geklärt werden. Die Identität des/der dritten Gefallenen wird veröffentlicht, sobald sie eindeutig feststeht.“

Die HPG sprechen den Angehörigen und dem kurdischen Volk ihr Mitgefühl aus und erklären, dass sie den Kampf im Gedenken an die Gefallenen verstärken werden.

Zur Identität von Zîn Amed und Mahsum Herekol machen die HPG folgende Angaben:

                                 

Codename: Zîn Amed
Vor- und Nachname: Dîlan Gökalp
Geburtsort: Amed
Namen von Mutter und Vater: Naciye – Genco
Todestag und -ort: 3. Juni 2023 / Amed

 

Codename: Mahsum Herekol
Vor- und Nachname: Vedat Ayhan
Geburtsort: Sêrt
Namen von Mutter und Vater: Remziye – Ahmet
Todestag und -ort: 3. Juni 2023 / Amed

Zîn Amed

Zîn Amed ist in Bismil geboren und in einer patriotischen Familie aufgewachsen. Ihre Sozialisation wurde vor allem von ihrer Mutter beeinflusst, die ihr gesellschaftliche Werte und die ursprüngliche Kultur der Mutter-Göttin vermittelte. Durch ihre Erziehung wuchs Zîn zu einer jungen Frau heran, die sich ihrer selbst bewusst war und ein reines Wesen, starke Wertvorstellungen und einen festen Charakter hatte. Nach dem Abitur machte sie einen Abschluss als Informatikerin an der Universität in Semsûr. Die Möglichkeiten, die sich ihr dadurch innerhalb des Systems boten, lehnte sie ab. Stattdessen wurde sie in der kurdischen Jugendbewegung aktiv und übernahm vier Jahre lang verantwortliche Aufgaben in Amed, Êlih und anderen Orten in Nordkurdistan.


2014 schloss sich Zîn in den Bergen von Amed der Guerilla an und machte eine Grundausbildung für neue Kämpfer:innen in der Zap-Region. Danach war sie zwei Jahre in Geliyê Zap, in ständiger unmittelbarer Nähe zum Feind. Den Winter 2014/2015 verbrachte sie an der nach Rojîn Gewda benannten Operationsschule, die für die Weiterentwicklung des Frauenguerillakampfes eingerichtet wurde. Das Zusammensein an einer Militärakademie ausschließlich mit Frauen war eine wichtige Erfahrung, die ihren weiteren Werdegang prägen sollte. Die HPG beschreiben sie als einsatzbereit in der Praxis, aufrichtig in genossenschaftlichen Beziehungen, enthusiastisch bei ihrer Beteiligung am Kampf, mutig auf militärischem Gebiet und kreativ in der Taktik. Sie las die Schriften von Abdullah Öcalan, setzte sich mit der Frauenbefreiungsideologie auseinander und entwickelte ein Bewusstsein über die Geschichte von Frauen. Wie sie selbst sagte, wurde ihr Horizont größer und sie merkte, wie die apoistische Ideologie sie veränderte und befreite. Ihre eigene Stärke als Frau wurde ihr bewusst und sie lernte, dass die Frauengeschichte ebenso Schmerz wie leidenschaftlichen Freiheitsdrang beinhaltet.

2016 wurde Zîn bei einem Unfall am Fuß verletzt, später arbeitete sie bei den zivilen Verteidigungseinheiten YPS (Yekîneyên Parastina Sîvîl), basierend auf der Strategie des Revolutionären Volkskrieges. Sie organisierte die Selbstverteidigung der Bevölkerung und entwickelte neue Taktiken, übernahm wichtige Aufgaben und große Verantwortung, und sie zeigte sich dieser Arbeit gewachsen. In der Zeit des Widerstands für Selbstbestimmung in Nordkurdistan wurde ihr durch die Massaker in Cizîr, Nisêbîn, Sûr und Gever erneut das brutale und grausame Gesicht des türkischen Staates deutlich. Sie wurde Zeugin eines Völkermords, und ihre Kampfentschlossenheit wuchs dadurch.

Den Winter 2017/2018 verbrachte Zîn mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung über den revolutionären Volkskrieg und entsprechende Selbstverteidigungstaktiken und Führungsrollen an der Şehîd-Ibrahim-Akademie. Danach kehrte sie als inzwischen erfahrene Kämpferin und bewusste YJA-Star-Militante zurück in ihre Heimat Amed, die sie fünf Jahre zuvor verlassen hatte.

Zîn Amed wusste mit in der Praxis auftretenden Schwierigkeiten umzugehen und kritierte Fehler, die sie im Guerillaleben wahrnahm. Sie sagte, was sie dachte, und sie kämpfte bis zuletzt mutig, entschlossen und opferbereit für das, an was sie glaubte.

Mahsum Herekol

Mahsum Herekol stammte aus Botan, dem Ausgangsgebiet des bewaffneten Kampfes der PKK, der auf einer gesellschaftlichen Widerstandskultur in der Region aufbauen konnte. Mahsum kam im Dorf Hêşet an den Ausläufern des Herekol in Sêrt-Perwarî zur Welt und wuchs mit der kurdischen Kultur und dem traditionellen Widerstand der Bevölkerung auf. Viele seiner Verwandten und Bekannten waren bei der Guerilla, und er selbst ging 2011 in die Berge, um sich dem bewaffneten Kampf anzuschließen. In dieser Zeit stand der revolutionäre Volkskrieg im Vordergrund, und Mahsum reifte im Krieg zu einem erfahrenen Kämpfer heran. Sein erstes Praxisgebiet war Kato Jîrka.


Mit seiner konstruktiven und mutigen Persönlichkeit war Mahsum immer in der ersten Reihe, er konnte mit schwierigen Bedingungen umgehen und arbeitete hart für seine Ziele. Auch als er im Krieg verletzt wurde, blieb er an der Widerstandsfront. Er entwickelte sich schnell und übernahm Verantwortung. Nach seiner erfolgreichen Anfangszeit im Guerillaleben kam er in die Medya-Verteidigungsgebiete und ließ sich als Sanitäter ausbilden. Er behandelte jahrelang verletzte Mitkämpfer:innen und ließ sie seine genossenschaftliche Liebe und seinen Respekt spüren. Im Zap wurde er inzwischen Doktor Mahsum genannt, er war bekannt und wurde für seine Arbeit sehr geachtet. 2016 war er an der Mahsum-Korkmaz-Akademie, 2017 ging er auf eigenen Wunsch nach Amed und kämpfte bis zuletzt als Kommandant an der Front gegen die türkische Armee.

Angriffe auf die Medya-Verteidigungsgebiete

Zu den einzelnen Angriffen der türkischen Armee auf die Medya-Verteidigungsgebiete teilen die HPG mit, dass in der westlichen Zap-Region am 8. Juni jeweils ein Vormarsch der Besatzungstruppen am Girê FM und am Girê Şehîd Munzur von der Guerilla gestoppt wurde, zwei Soldaten kamen dabei ums Leben. Im Widerstandsgebiet Girê FM setzte die türkische Armee am 7. und 9. Juni 13 Mal verbotene Kampfmittel ein.

Die 28 Luftangriffe mit Kampfjets in den vergangenen drei Tagen erfolgten auf Girê Bîstûsisêyan, Gundê Sinê und Zînê Wertê in Qendîl, Girê Çarçel und Gundê Şêlazê in Metîna, Kanî Sarkê, Gundê Sêdarê, Gundê Dêreşê, Gundê Bilindbazê, Gundê Baxêrê und Deriyê Hirçê in Gare sowie Girê Cûdî, Girê Bahar und Girê Amêdî im Westen des Zap. Der Girê Hêkarî in Metîna wurde viermal von Hubschraubern bombardiert. Bei den Stellungen, die die türkische Armee aktuell mit Baumaschinen einzureißen versucht, handelt es sich um Sîda und Girê FM.