Die türkische Armee kreist die Gemeinde Bajêrge (tr. Esendere) im kurdischen Landkreis Gever immer weiter ein und erweitert den Radius mehrerer Militäroperationen, die vor Wochen in der Region gestartet worden sind. Seit Anfang März befinden sich zahlreiche Dörfer und Weiler in dem Ort bereits im Belagerungszustand. Nun hat das Kreiskommando der Gendarmerie auch ein Zutrittsverbot zu mehreren Almen erteilt. Die Maßnahme stellt einen schweren Schlag für die regionale Weidewirtschaft dar – der Haupteinnahmequelle der lokalen Bevölkerung.
Unter dem Etikett der „Terrorismusbekämpfung“ führt das türkische Militär seit dem 3. März mehrere Operationen im Großraum von Gever durch – angeblich gegen die kurdische Guerilla. Die ortsansässige Bevölkerung ist dadurch faktisch von der Außenwelt abgeschnitten, da vielerorts auch Ausgangssperren in Kraft sind.
Der Belagerungsring des Militärs in Bajêrge erstreckte sich zuletzt vom Dorf Qesran über Şahê, Zêwe, Kawle Gund, Pagenk, Merdêsal und Êlê – Ortschaften, die im Sommer 2015, kurz nachdem Ankara den Friedensprozess mit der kurdischen Seite abrupt beendete und den totalen Vernichtungskrieg in Kurdistan einleitete, zur „Sondersicherheitszone“ deklariert. Inzwischen sind neben zahlreichen Weilern auch die Dörfer Soryan, Bilinbasan, Avyan und Golegîrî von der Maßnahme betroffen. Wie erst jetzt bekannt wurde, dürfen die Dorfalmen letzterer vier Ortschaften seit Dienstag nicht mehr betreten werden.
Auch reißen die Berichte von Anwohnenden über illegale Baumfällungen durch türkische Soldaten nicht ab. In Kawle Gund, Pagenk und Êlê haben Militärs Walnuss- und Apfelbäume gefällt und verbrannt und auf den dorfeigenen Weiden mehrere Lager aufgeschlagen. Die ehemalige armenische in Êlê fungiert seit Wochen als Militärkontrollpunkt.
Bevölkerung befürchtet Massenverenden von Tierherden
Die Gemeinde Bajêrge liegt im Nordosten des Landkreises Gever, dessen türkischer Name Yüksekova lautet, und grenzt an Ostkurdistan (iranisches Staatsgebiet). Im Süden stößt Gever an Südkurdistan – und hat damit eine strategische Position inne. Viehzucht gilt als eine der wichtigsten Einnahmequellen der Bevölkerung in Gever, aber auch anderen Teilen der Provinz Colemêrg. Das Zutrittsverbot in die Almen stellt daher einen besonders schweren Schlag für die regionale Dorfwirtschaft dar. Statt die Tiere ins Gebirge zu treiben, muss die Bevölkerung ihre Herden – vornehmlich Schafe – in den Dörfern halten und ernähren. Dies ist allerdings mit größten Schwierigkeiten verbunden, da es dort an Gras und teilweise auch sauberem Wasser fehlt. Die Bevölkerung in Bajêrge befürchtet daher ein Massenverenden ihrer Tierherden.