Cizîr: Zwangsverwalter enteignet abgesetzten Bürgermeister

Der Zwangsverwalter der kurdischen Stadt Cizîr hat den Privatbesitz des abgesetzten Bürgermeisters Mehmet Zırığ verstaatlicht. Zırığ bezeichnet die Maßnahme, für die keine Rechtsgrundlage existiert, als Feindstrafrecht.

Der staatlich eingesetzte Treuhänder in der Kommunalverwaltung der nordkurdischen Stadt Cizîr (türk. Cizre, Provinz Şirnex/Şırnak) hat Privateigentum des abgesetzten Ko-Bürgermeisters Mehmet Zırığ (HDP) verstaatlicht. Das Haus, zu dessen Eigentümern auch zwei Onkel des Politikers gehören, befindet sich nun in „kommunalem“ Besitz. Zırığ bezeichnet die Maßnahme als „Sprechung von Feindrecht“, zudem sei sie durchaus auch als eine Drohung zu verstehen. „Die Botschaft dahinter ist im Prinzip eindeutig: wir werden euch nicht hier beherbergen und euch den Boden unter euren Füßen wegziehen. In Cizîr ist es mittlerweile Tradition, dass Regierungsbeamte keine Möglichkeit auslassen, ihrer Aggression gegenüber dieser Stadt freien Lauf zu lassen. Denn dieser Angriff richtet sich in meiner Person gegen ganz Cizîr“, sagt Zırığ.

„Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit“

Zutiefst empört ist der Politiker auch über die Begründung der Verstaatlichung des Hauses, für die keine Rechtsgrundlage existiert: „In dem Bescheid, den uns die Schlichtungsstelle der Stadtverwaltung zukommen ließ, steht tatsächlich, dass die Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit erfolgt sei – auf Grundlage einer Abstimmung des Stadtrats. In Cizîr gibt es allerdings seit der Ernennung eines Treuhänders im Amt des Bürgermeisters das Entscheidungsgremium ‚Stadtrat‘ nicht mehr. Somit finden auch keine Sitzungen statt. Demzufolge ist die Überschreibung unseres Hauses in kommunalen Besitz nicht rechtmäßig. Im Übrigen haben meine Onkel und ich das Wohnhaus im Vorfeld meiner Wahl zum Ko-Bürgermeister im März 2019 erworben. Dies wurde bei meiner Kandidatur ordnungsgemäß deklariert.“ Zırığ hat juristische Schritte angekündigt.

Kommunaler Besitz an staatliche Einrichtungen verschenkt

Der kurdische Politiker Mehmet Zırığ wurde am 31. März 2019 für die Demokratische Partei der Völker (HDP) zum Ko-Bürgermeister der Widerstandshochburg Cizîr gewählt. Sofort wurden Untersuchungen über die in der Zeit der Zwangsverwaltung zwischen 2016 und 2019 getätigten Ausgaben eingeleitet. Denn als der aus Ankara eingesetzte Treuhänder die Verwaltung Ende 2016 übernahm, befanden sich 32 Millionen Türkische Lira in der kommunalen Kasse. Die vor einem Jahr gewählten Ko-Bürgermeister*innen übernahmen ihr Amt mit einem während der Zwangsverwaltung entstandenen Schuldenberg von 260 Millionen TL.

Kommunalverwaltung soll handlungsunfähig gemacht werden

Über die Verschuldung hinaus wurde bewegliches und unbewegliches Eigentum der Kommune in Milliardenhöhe unentgeltlich an staatliche Einrichtungen überschrieben. Schon damals bezeichnete Mehmet Zırığ die Überschreibungen als ungesetzlich. Das gesamte Vorgehen des Treuhänders sei darauf ausgelegt gewesen, die Kommunalverwaltung handlungsunfähig zu machen oder gleich ganz abzuschaffen.

Mehmet Zırığ wurde Ende Oktober seines Amtes enthoben. Der nachgerückte Zwangsverwalter ist der frühere Landrat des Kreises. Zudem ist gegen Zırığ im Zusammenhang mit seiner Teilnahme an Protesten gegen den Raub der Kommunalverwaltung ein sogenanntes Terrorverfahren anhängig. Ihm und zehn weiteren HDP-Politiker*innen drohen im Fall einer Verurteilung langjährige Freiheitsstrafen.