Bürgermeister von Êlih verhaftet

Der HDP-Politiker Mehmet Demir ist in Amed verhaftet worden. Dem abgesetzten Ko-Bürgermeister von Êlih wird Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen.

Der im März vom türkischen Innenministerium abgesetzte Ko-Bürgermeister von Êlih (türk. Batman), Mehmet Demir, ist in Amed (Diyarbakir) verhaftet worden. Der HDP-Politiker war am Dienstag nach einem Besuch beim Provinzverband seiner Partei in Êlih festgenommen und nach Amed gebracht worden. Dort wurde vom zuständigen Gericht Haftbefehl wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation erlassen. Demir wurde ins D-Typ-Gefängnis Diyarbakir überführt.

Die Verhaftung steht im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren gegen den Demokratischen Gesellschaftskongress (kurd. Kongreya Civaka Demokratîk - KCD, türk. Demokratik Toplum Kongresi - DTK), mit dem die zivilgesellschaftliche Organisierung in Nordkurdistan zerschlagen werden soll.

Mehmet Demir ist im März 2019 zusammen mit Songül Korkmaz zum Ko-Bürgermeister der nordkurdischen Provinzhauptstadt Êlih gewählt und ein Jahr später abgesetzt worden. Nach seiner Absetzung wurde ein Auslandsverbot verhängt.

Im Zuge des Ermittlungsverfahrens gegen den KCD sind im Juni Dutzende Politiker*innen, Journalist*innen, Rechtsanwält*innen, Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen bei landesweiten Razzien festgenommen worden. Mittlerweile befinden sich 25 der Festgenommenen wegen Terrorvorwürfen im Gefängnis.

Was will die Regierung vom KCD/DTK?

Der Demokratische Gesellschaftskongress fungiert als Dachverband politischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen, religiöser Gemeinden sowie Frauen- und Jugendorganisationen. Er versteht sich als gesellschaftlicher Gegenentwurf zu staatlichen Strukturen, der – gestützt auf Räte- und Basisdemokratie –Konzepte zur Selbstorganisierung der Bevölkerung und Alternativen der kommunalen Selbstverwaltung erarbeitet. Der KCD besteht aus etwa 1000 Delegierten, von denen 60 Prozent durch die Bevölkerung direkt gewählt und 40 Prozent aus zivilgesellschaftlichen Organisationen benannt werden, und ist in Kommissionen gegliedert. Sowohl innerhalb des Dachverbands wie auch in den Stadtteilräten und Stadträten gibt es keine Frauenquote, sondern eine Geschlechterquote. Das bedeutet, dass der Anteil von Frauen beziehungsweise Männern 40 Prozent nicht unterschreiten darf.

Von Öcalan für demokratische Gesellschaftsorganisierung vorgeschlagen

Bereits im Jahr 2005 von Abdullah Öcalan als Projekt für die demokratische Organisierung der Gesellschaft vorgeschlagen, wurden zunächst große Diskussionsveranstaltungen durchgeführt, bis im Folgejahr die erste Vollversammlung organisiert wurde. Am 14. Juli 2011 fand in Amed ein Kongress mit über 800 Teilnehmenden aller ethnischen, politischen und religiösen Strukturen in Kurdistan statt. An die gemeinsame Erklärung der Versammlung anschließend wurde die Demokratische Autonomie ausgerufen. In dem veröffentlichten Modellentwurf werden acht Dimensionen aufgeführt: die politische, die juristische, die der Selbstverteidigung, die kulturelle, die soziale, die wirtschaftliche, die ökologische und die diplomatische. Die Satzung richtet sich nicht nach den Gesetzen der Türkei, sondern nimmt die demokratische Teilhabe der Bevölkerung als Grundlage.

Langjährige Zusammenarbeit der Regierung mit KCD beim Lösungsprozess

Obwohl der KCD als höchstes Gremium der Demokratischen Autonomie unmittelbar nach seinem Gründungskongress kriminalisiert und mit Ermittlungsverfahren überzogen wurde, arbeitete die türkische Regierung zwischen 2005 und 2014 intensiv mit dem Dachverband zusammen, um gemeinsam den damals möglichen Friedensprozess zu verhandeln. Der KCD wurde von der AKP sogar gebeten, an einer neuen Verfassung für die Türkei mitzuarbeiten. Der damalige Ko-Vorsitzende Hatip Dicle gehörte zudem zur sogenannten „Imrali-Delegation“, die im Rahmen des Lösungsprozesses eine Vermittlerrolle zwischen Abdullah Öcalan und der türkischen Regierung eingenommen hatte. Auch nachdem der damalige Ministerpräsident und heutige Staatschef Recep Tayyip Erdoğan im Sommer 2015 die Friedensverhandlungen einseitig abbrach, wurde der KCD nicht verboten. Ein entsprechendes Verfahren scheint nun jedoch in Vorbereitung zu sein.