Wie die kurdische Diaspora in Deutschland mundtot gemacht wird
Vor einem Jahr erschien unser Buch, mit dem wir breite Teile der Öffentlichkeit darüber aufklären wollen, in welch gravierendem Ausmaß die kurdische Bewegung seit Jahrzehnten durch den deutschen Staat kriminalisiert und mit Repression überzogen wird. Wichtig war und ist uns auch, die Geschichte und politischen Hintergründe dieser Haltung aufzuzeigen und warum das nicht nur Kurd:innen etwas angeht, sondern alle Menschen, denen die Grundrechte in Deutschland etwas bedeuten. Dabei war uns wichtig herauszuarbeiten, dass es sich bei der Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung um ein fundamentales deutsches Demokratiedefizit handelt, das sich nicht primär zwischen Kurd:innen und Türk:innen abspielt oder sich auf Internationalist:innen beschränkt, sondern eines, das eng mit der Geschichte der deutschen Migrationsgesellschaft verwoben ist. Ein Thema, das viel über den Zustand der Demokratie in Deutschland aussagt.
Wir wollten mit unserem Buch nicht nur aufklären, sondern auch die Leser:innen dazu bringen, starke Gedanken der Solidarität zu entwickeln und entsprechend zu handeln. Zwar wollen wir zuerst die deutsche Öffentlichkeit ansprechen, darunter diejenigen, die bislang keinen Kontakt mit Repression oder der kurdischen Bewegung hatten, aber auch insbesondere junge Kurd:innen, um ihnen die eigene Geschichte in Deutschland nahezubringen. Das alles wollten wir bei sehr kurzer Entstehungszeit mit dem ersten Buch, das sich schwerpunktmäßig mit der Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung in Deutschland befasst.
Ein Jahr danach können wir bilanzierend sagen, dass wir unsere Ziele erreicht haben: Nach recht kurzer Zeit konnte die zweite Auflage des Buches erscheinen und durch Dutzende Lesungen quer durch die Republik haben wir sehr viele Menschen erreichen und zahllose interessante, motivierende Diskussionen führen können. Daneben erschienen Berichte über die Veranstaltungen, Rezensionen oder Interviews mit uns in etlichen Medien, z.B. in der „jungen welt“, in der „tageszeitung“, dem „Freitag“, in diversen Lokalzeitungen, von mehreren unabhängigen Buchblogger:innen auf Social Media, dem êzidischen Fernsehsender Cira TV oder der kurdischen Nachrichtenagentur ANF. Einladungen erreichten uns auch von kurdischen und internationalistischen Strukturen, der Partei DIE LINKE, der Rosa-Luxemburg-Stiftung oder der VVN-BdA, Menschenrechtsorganisationen und der postautonomen Linken. Wir als Autorin und Autoren rechnen noch mit einer dritten Auflage des Buches. Damit wächst auch die Chance für eine Übersetzung und eine Hörbuch-Ausgabe.
Wir meinen, das alles ist ein erfreulicher Erfolg und wir sind überglücklich darüber, dass wir dieses Thema aus dem Nischendasein oder gar der Ignoranz herausholen konnten. Immer wieder hat uns in Veranstaltungen und Gesprächen berührt, dass sich Menschen bei uns offen und ehrlich für dieses Buch bedankt haben.
Wer nun denkt, dass für uns mit dem Erscheinen unseres Buches das Thema abgeschlossen ist, irrt gewaltig. Durch die zahlreichen Aktivitäten haben wir nicht nur viele neue politischen Freund:innen kennenlernen und gewinnen können, sondern auch eine Menge interessanter Anregungen erhalten, die sich bestens dazu eignen, in die Praxis umgesetzt zu werden und neue Aufmerksamkeit zu erreichen.
In unserem Buch haben wir die Befürchtung geäußert, dass auch die derzeitige Bundesregierung an der Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung festhalten wird. Das hat sich im Laufe dieses Jahres leider mehr als bewahrheitet. Die deutsch-türkischen Beziehungen sind toxischer denn je: verstärkte Waffenexporte in die Türkei, Unterstützung des Erdoḡan-Regimes bei völkerrechtswidrigen Militärangriffen auf Rojava/Nordostsyrien und Başûr/Nordirak sowie ein verantwortungsloses Abschiebeabkommen zur „Bekämpfung irregulärer Migration“, wie es Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nennt. Abgesehen davon, dass es aufgrund fehlender „regulärer“ Migration keine „irreguläre Migration“ gibt, bringt diese Bundesregierung ganz bewusst das Leben von Kurd:innen und Oppositionellen in höchste Gefahr, sollten sie in die Türkei abgeschoben werden. Die ständigen Beteuerungen der politisch Verantwortlichen, dass die Fluchtgründe in den Herkunftsländern beseitigt werden müssten, wird durch die Wirklichkeit ad absurdum geführt. Indem die Bundesregierung Rüstungsexporte in die Türkei in großem Stil genehmigt, trägt sie Verantwortung für die Fluchtgründe. Sie weiß sehr genau, dass deutsche Waffen auch gegen Kurdinnen und Kurden im eigenen Land und exterritorial eingesetzt werden. Sind die Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, um u.a. Schutz in Deutschland zu finden, werden ihre Asylanträge abgelehnt. Von Abschiebung bedroht sind zudem auch Kurd:innen, die seit vielen Jahren in Deutschland leben. Die Türkei war 2023 das zweitgrößte Herkunftsland von Asylsuchenden.
Die Situation für Kurdinnen und Kurden in Deutschland ist also alles andere als gesichert. Das sogenannte „Sicherheitspaket“, mit dem erneut massive Verschärfungen nicht nur auf dem asyl- und aufenthaltsrechtlichen Sektor verbunden sind, ist ein weiterer Stein im Mosaik des deutschen Demokratiedefizits, von dem letztlich alle betroffen sein werden.
Vor diesem Hintergrund kann es für uns kein Ende der Kämpfe um Demokratie, Recht, Gerechtigkeit, politische, kulturelle und soziale Partizipation und Emanzipation geben – für Kurd:innen und alle, die in diesem Land leben.
Das Buch „Geflohen. Verboten. Ausgeschlossen. Wie die kurdische Diaspora in Deutschland mundtot gemacht wird“ von Alexander Glasner-Hummel, Monika Morres und Kerem Schamberger ist im Westend Verlag erschienen und auf allen bekannten Plattformen für 24 Euro erhältlich.