Überlebende aus Wan hilft Erdbebenopfern in Semsûr

Havin Kiye hat 2011 das schwere Erdbeben in Wan überlebt. Die heute in Istanbul lebende junge Frau beteiligt sich an der zivilen Hilfskampagne in Semsûr und sagt: „Damals wie heute werden die Menschen vom Staat im Stich gelassen.“

Bei den aufeinander folgenden Erdbeben am 6. Februar im türkisch-syrischen Grenzgebiet mit Epizentrum in Kurdistan haben Zehntausende Menschen ihr Leben verloren. Die Zahl der bestätigten Todesopfer stieg zuletzt auf mehr als 46.000, allein in der Türkei wurden am Samstagabend 40.642 Tote gemeldet. Zehntausende Menschen wurden zudem verletzt, Tausende gelten noch als vermisst.

Unmittelbar nach den Erdbeben sind Tausende Freiwillige in das Katastrophengebiet gefahren, um sich an den Rettungsarbeiten zu beteiligen und die Überlebenden zu versorgen. Eine dieser Freiwilligen ist Havin Kiye, die 2011 das schwere Erdbeben in der Provinz Wan (tr. Van) überlebt hat. Die junge Frau wohnt inzwischen in Istanbul und ist in die stark zerstörte Stadt Semsûr (Adiyaman) gekommen, um sich an der Arbeit zu beteiligen.

Über ihre eigene Erfahrung aus Wan berichtet sie: „Ich war zu Hause, als das Erdbeben geschah. Ich wusste nicht, ob es ein Erdbeben war oder nicht, bis ich das Haus verließ. Ich wusste nur, dass das Haus, in dem wir uns befanden, einstürzen würde. Ich warf mich hinaus, da wurde mir klar, dass es ein Erdbeben war. Eigentlich hatte ich das gleiche Gefühl wie die Erdbebenopfer hier heute. Nur eines hat sich damals wie heute nicht geändert: Den Erdbebenopfern wird nicht geholfen. Im Vergleich zu den Erdbebenopfern von heute ging es uns sogar gut.“ In Semsûr gebe es keine staatliche Hilfe, nur die Bevölkerung und die Freiwilligen seien da.

Havin Kiye ist davon überzeugt, dass die offiziellen Angaben zum Erdbeben nicht der Wahrheit entsprechen: „Ich glaube absolut nicht an diese Zahlen. Das wirkliche Ausmaß wird verheimlicht. Ich bin hier, weil ich einen Bezug zu den Erdbebenopfern von heute habe. Ich versuche, den Erdbebenopfern hier zu helfen, so gut ich kann. Denn denselben Mangel an staatlicher Hilfe haben wir ihn auch bei dem Erdbeben in Wan erlebt."

Semsûr habe sich in eine zerstörte Stadt verwandelt, für eine Wegstrecke von zwanzig Minuten sei man heute stundenlang unterwegs, berichtet Havin Kiye: „Ich kann sagen, dass es Semsûr nicht mehr gibt. Ich spreche nicht nur von einem Viertel, die Stadt selbst ist nicht mehr da, sie ist völlig zerstört. Die Bezirke Gölbaşı und Besni befinden sich in der gleichen Situation. Es gibt kein Gebäude, das nicht beschädigt ist. Dies ist keine Angelegenheit, die man nur den Bauunternehmern anlasten kann. Die Folgen dieser großen Katastrophe sind unmenschlich.“