Şengal: Autonomie bedeutet keine Abspaltung vom Irak

In Şengal protestieren Ezidinnen und Eziden weiter gegen das Abkommen der irakischen Regierung und der PDK zur Auflösung der selbstverwalteten Strukturen. Sie fordern Selbstbestimmung und das Recht auf Selbstverteidigung.

Die Proteste gegen das Abkommen der irakischen Regierung und der PDK zur Aufteilung der Region Şengal dauern an. Seit einer Woche wird vor den Zentralen des Asayîşa Êzîdxanê Wache geschoben, um die geplante Auflösung der ezidischen Sicherheitskräfte zu verhindern.

Die Ezidinnen Neam Bedel und Xezal Reşo haben sich gegenüber ANF zu den laufenden Protesten gegen das Abkommen geäußert. Xezal Reşo ist Ko-Vorsitzende des Demokratischen Autonomierates von Şengal (MXDŞ) und sagt, dass das ezidische Volk wie alle anderen Völker im Irak das Recht auf Selbstbestimmung hat. Das gelte gerade für die Ezidinnen und Eziden, weil sie immer wieder von Massakern betroffen und bisher nicht vom Irak geschützt worden sind. Aus diesem Grund seien eigene Selbstverteidigungskräfte aufgebaut worden, so Xezal Reşo:

„Wir wollen uns autonom selbst regieren und eigene Entscheidungen treffen. Das ist unser Recht. Stattdessen treffen zwei Regierungen im Irak Entscheidungen über uns. Die Regierungen in Bagdad und Hewlêr lehnen unsere gerechtfertigten Forderungen ab. Damit wird dem ezidischen Volk ein weiteres Mal Unrecht angetan. Nach unzähligen Massakern regiert sich unser Volk seit sechs Jahren selbst. Der Staat hat uns in keiner Weise dabei geholfen. Immer noch sind zahlreiche Ezidinnen und Eziden nicht in ihre Heimat zurückgekehrt. Durch das Abkommen sind die noch hier lebenden Menschen von einem weiteren Massaker bedroht. Wenn ihnen etwas zustößt, sind die Regierungen dafür verantwortlich, die dieses Abkommen getroffen haben. Jede Entscheidung, die ohne ezidische Mitwirkung gefällt wird, richtet sich gegen das ezidische Volk. Wir lehnen das Abkommen ab. Die Eziden sind nicht mehr die Eziden von früher. Wie jedes andere Volk auf der Erde und wie alle anderen Glaubensgemeinschaften wollen wir unsere Rechte frei ausleben können.“

 

Autonomie bedeutet keine Abkehr vom Irak

Xezal Reşo weist darauf hin, dass viele Eziden aufgrund ständiger Verfolgung fern ihrer Heimat in verschiedenen Teilen der Welt leben. Die internationale Öffentlichkeit müsse sich der Forderungen des ezidischen Volkes annehmen:

„Unsere Forderungen sind menschliche Forderungen. Wir wollen im internationalen und im irakischen Recht anerkannt werden. Beide Rechtssysteme sehen ein Selbstbestimmungsrecht der Völker vor. Unsere Forderungen richten sich nicht gegen die irakische Regierung. Es geht nicht um eine Absonderung vom Irak. Wir leben und arbeiten in diesem Land, wir sind irakische Staatsangehörige. Ein autonomes Leben bedeutet keine Separation. Wir wollen uns gebunden an die Zentralregierung in unserem Lebensbereich aus eigener Kraft selbst regieren.

Unsere zentrale Forderung ist eine regionale Selbstverwaltung, die eigene Entscheidungen treffen kann. Dabei wollen wir weiter an die irakische Regierung gebunden sein. Wenn diese Forderung anerkannt wird, können die geflohenen Menschen auf ihr eigenes Land zurückkehren und frei leben. Damit würden auch weitere Massaker verhindert. Welche Schuld trifft dieses Volk? Es hat zahlreiche Massaker erlebt und ist vertrieben worden, sein Hab und Gut wurde geplündert. Wir wollen einfach nur in Frieden leben.“

Jeanine Hennis-Plasschaert sollte den Frauen in Şengal zuhören“

Neam Bedel, eine der Verantwortlichen des Şengal-Rats, macht darauf aufmerksam, dass die Menschen in der Region seit neun Tagen ununterbrochen auf den Beinen sind, um gegen das Abkommen zu protestieren. Ohne die Mitbestimmung der Bevölkerung könne ein solches Abkommen nicht getroffen werden. Sie erinnert daran, dass immer noch Tausende Frauen und Kinder vermisst werden, die bei dem IS-Angriff 2014 spurlos verschwunden sind. Die UN-Sonderbeauftragte Jeanine Hennis-Plasschaert, unter deren Aufsicht das Abkommen in Bagdad unterzeichnet wurde, lädt sie nach Şengal ein:

„Sie soll kommen und den in Şengal lebenden Frauen zuhören. Sie soll den Frauenrat sehen und sich mit den Frauen verbünden. Mit Kazimi und dem Erdogan-Sprecher Barzanî lassen sich die Probleme der Bevölkerung von Şengal nicht lösen. Das sagen wir allen Staaten: Wenn ihr etwas für das ezidische Volk tun wollt, dann kommt nach Şengal, hört die Menschen an, macht es zusammen mit der Bevölkerung. Seht euch die Massengräber an, hört euch die Geschichten über den erlebten Schmerz an. Dann erst könnt ihr wissen, was in Şengal los ist.

Mit dem Abkommen soll das ezidische Volk ein weiteres Mal versklavt werden, alle seine Errungenschaften sollen zerstört werden. Das werden wir nicht zulassen, wir werden uns wehren. Anstatt mit Verrätern zusammenzusitzen und Bündnisse zu schließen, sollte Jeanine Hennis-Plasschaert etwas unternehmen, um die vom IS verschleppten ezidischen Frauen und Kinder zu retten.“