Internationalistische und kurdische Jugend in Palästina

Nach einer corona-bedingten Pause findet mittlerweile zum 27. Mal das Farkha-Jugendfestival in Palästina statt. An dem Spektakel beteiligen sich auch kurdische und internationalistische Aktive, für ANF schildern sie ihre Eindrücke.

Nach einer corona-bedingten Pause von drei Jahren findet zum 27. Mal das Farkha-Jugendfestival in Palästina statt. Seit 1991 laden palästinensische Jugendorganisationen bereits allsommerlich in das kleine Dorf Farkha im nördlichen Westjordanland ein, um mit Gleichgesinnten aus der ganzen Welt zusammen zu kommen, gemeinsam zu arbeiten, zu feiern und Widerstand gegen die israelische Besatzung zu leisten. Das einwöchige Festival bietet eine einzigartige Gelegenheit, an Freiwilligenarbeit wie dem Pflanzen von Bäumen und dem Anlegen von Straßen, sowie an politischen Diskussionen und Workshops zum palästinensischen Befreiungskampf, zu den Kämpfen palästinensischer Frauen, zu linken Perspektiven und kulturellen Aktivitäten teilzunehmen. Die Idee dabei ist, mehr über die konkreten lokalen Kämpfe von politisch Aktiven und Organisationen vor Ort zu erfahren.

In diesem Jahr sind internationalistische und kurdische Mitglieder des Diplomatiekomitees der Jugend Kurdistans als Teil der 50-köpfigen Delegation von Jugendorganisationen aus verschiedenen Ländern nach Farkha gereist, um in Austausch mit den demokratischen Kräften Palästinas zu kommen und auf Basis des „internationalistischen Geistes“ die Solidarität der Völker praktisch werden zu lassen. Für ANF schildern sie ihre Eindrücke:


Die Dimensionen der staatlichen Repression

Bevor das eigentliche Festival losging, starteten wir eine dreitägige politische Rundreise durch mehrere Orte in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten. An jedem dieser Orte wurden uns verschiedene Dimensionen der staatlichen Repression vor Augen geführt. Die verschiedenen Gesichter der aggressiven Besatzungspolitik zeigen sich besonders in der Westbank schon durch die sogenannte „ABC-Einteilung“. Der C-Bereich beschreibt die Gebiete, welche komplett unter militärischer und politischer Kontrolle des israelischen Staates stehen, der B-Bereich jene, die militärisch von Israel, politisch jedoch von der Palästinensischen Autonomiebehörde verwaltet werden. Der A-Bereich steht militärisch wie auch politisch unter palästinensischer Kontrolle. Im Folgenden werden wir die Eindrücke der einzelnen Orte und ihre historische Einordnung beschreiben.

Am 28. Juli wurden wir herzlich in Yafa/Al-Nazareth von der Jugend der Kommunistischen Partei Israels (MAKI), welche aus Palästinenser:innen im israelisch besetzten Palästina besteht, willkommen geheißen. Mit den 50 Delegierten und der palästinensischen Jugend begannen wir den Abend mit revolutionären Liedern und wurden nach dem ersten Kennenlernen in Familien untergebracht. Die drei darauffolgenden Tage bestanden aus der politischen Rundreise durch die Orte: Ma'alul, Akka, Al-Quds (Jerusalem), Betlehem und Al-Khalil (Hebron).

Ma’alul

Ma´alul ist eines von hunderten, zu Beginn der Nakba (Katastrophe) im Jahr 1948 zerstörten Dörfer. Die Nakba beschreibt die Gründung des Staates Israels und die daraus folgenden Zwangsumsiedlungen, Vertreibungen und Ermordungen der indigenen palästinensischen Bevölkerung. Um die 750.000 Palästinenser:innen wurden 1948 vertrieben, doch für die Gesellschaft ist die Nakba kein einmaliges Ereignis. Durch die verschiedenen staatlichen Maßnahmen und das aufgebaute Repressions- und Apartheidregime finden Vertreibungen und direkte Gewalt bis heute statt.

Das Dorf Ma'alul war vor 1948 ein multikulturelles Dorf, in dem größtenteils Muslime und christliche Gläubige gemeinsam lebten. Zeugen dieser Ko-Existenz sind heute noch in Form der zerstörten Moschee und der erhaltenen Kirche zu sehen. Während der Wiederaufbau der Moschee vom Staat verboten wurde, wird die Kirche zumindest sporadisch wieder für Hochzeiten genutzt. Diese Wiederaneignung des Dorfes ist Teil des Widerstandes gegen die staatliche Besatzungspolitik. Auch jugendliche Gruppen kommen immer wieder in das zerstörte Dorf, um Müll zu sammeln und sich um den Erhalt der Kirche zu kümmern. Diese Bestreben werden regelmäßig von Siedlergruppen gestört und torpediert. Der christlichen Bevölkerung wurde nach der Vertreibung angeboten, in das Dorf zurückzukehren, doch weigerte sie sich, ohne ihre muslimischen Nachbarn das Dorfleben wieder aufzunehmen – und so Teil derer Vertreibung zu werden.

Al-Quds

In Al-Quds verbrachten wir den Tag hauptsächlich in der Altstadt, welche sich im Osten der Stadt befindet und von einer großen, historischen Stadtmauer umringt ist. Al-Quds ist in zwei Teile geteilt, dem besetzten Osten und dem annektierten Westen-

Die Folgen der Nakba sind auch hier leicht ersichtlich: 1948 wurden ca. 28.000 Palästinenser:innen vom Westen Al-Quds in den Osten gedrängt und somit zu Flüchtlingen in ihrer eigenen Stadt gemacht. Diese Politik wird heute weitergeführt, ganz nach der Devise „More Land, Less People“. Um dieses Ziel zu erreichen, werden verschiedene Mittel angewandt, wie beispielsweise die Errichtung einer Mauer Anfang der 2000er, welche der Trennung und Fragmentierung der palästinensischen Bevölkerung dient, oder der stetige Wachstum von illegalen Siedlungen in Ostjerusalem durch die Siedler:innen und die daraus folgende Zerstörung der Häuser.

Neben der nur allzu deutlichen Siedlungspolitik, die die Stadt charakterisiert, ist Al-Quds auch ein Zentrum von Geschichte und Kultur. Orte wie die Al-Aqsa-Moschee und die massive Stadtmauer sind nur zwei der Plätze, die diese Stadt zu einem immens wichtigen Kulturerbe der Menschheit machen. Umso niederträchtiger wirkt die stattfindende Entfremdung und Gentrifizierung, die aus einer historischen Begegnungsstätte der Kulturen, inmitten einer lebendigen Stadt, eine Tourismuswüste machen soll.

Ein besonderer Moment für uns war eine kurze Begegnung mit der kurdischen Bevölkerung der Stadt, die trotz jahrhundertelanger Existenz in Palästina immer noch ihre Sprache und Kultur erhalten hat.

Betlehem

Betlehem und Al-Quds trennt eine acht Meter hohe Apartheidmauer. Als Delegation sind wir in das Banksy-Museum gegangen, welches direkt an der Mauer liegt und neben Kunst die Verbrechen der IDF dokumentiert. Von M-16 versteckt in Kuscheltieren, über Tränengas, Splitterbomben und gepanzerten Räumungstrucks bis hin zu Erfahrungsberichten und damit Geständnissen von ehemaligen IDF Soldat:innen wurde in dem Museum das volle Ausmaß der Besetzung seit 1948 klar. Die ganz alltäglichen Schikanen und Angriffe, die sich von '48, bis zur 1. und 2. Intifada steigerten, wurden dargestellt. Etwa gelangweilte Soldat:innen, die auf die Wassertanks der palästinensischen Häuser schießen.

Al-Khalil

Der Siedlerkolonialismus in Al-Khalil steht symbolisch für die israelische Apartheid-Politik. Al-Khalil gilt eigentlich als A-Zone, also unter palästinensischer Selbstverwaltung, jedoch wird Stück für Stück das Stadtzentrum von den (orthodox-) jüdischen Siedler:innen besetzt. Sie gelten als „faschistische Apartheid-Zionisten“ Israels. Zum Zwecke angeblicher „Selbstverteidigung“ laufen sie mit Maschinengewehren vom Typ M-16 durch die Städte, bewerfen die palästinensische Bevölkerung und insbesondere die Jugend mit Steinen, Abfällen, Abwasser, Windeln und teilweise mit Eisenstangen. Einem Mann wurde vor einiger Zeit eine Eisenstange auf den Kopf geworfen, die vier cm tief in seinen Schädel eingedrungen ist. Diese faschistischen Verbrechen werden nicht bestraft. Die Siedler:innen terrorisieren die Bevölkerung so lange, bis diese gezwungen ist, ihre Häuser zu verlassen. Dann brechen sie ein und besetzen sie. Widersetzt sich die Jugend Palästinas diesem Terror, antwortet die IDF mit Kriegswaffen wie dem „Skunk truck“, von dem ein chemisches Gemisch über Wasserwerfer bis zu 100 Meter weit mit Hochdruck abgefeuert wird. Einige Spritzer reichen, um wochenlang den widerlichen Geruch mit sich zu tragen. Den Rest der Kanister kippen sie in Wohnungen, Geschäfte oder über Autos. Es gibt auch Kriegswaffen wie „The Scream“, ein Gerät, von dem ein so lauter Ton ausgeht, dass er physisch unerträgliche Schmerzen bereitet. Geschossen wird meist mit Gummikugeln, manchmal auch mit scharfer Munition. Die Schilderungen der Kriegspraxis dieser gigantischen und faschistischen Übermacht gegen die indigene Bevölkerung gingen den 50 Internationalist:innen sichtlich nahe.

All diese abscheulichen Praxen dienen der Politik Israels der vollständigen Zerschlagung des verbliebenden palästinensischen Widerstands und Terrorisierung der Gesellschaft.

Nachdem wir in diesen drei Tagen eine Menge neuer Eindrücke und neues Wissen über Palästina und seine Geschichte bekommen haben, wurde es Zeit, auch die Gesellschaft kennen zu lernen. Direkt nach der Ankunft in Farkha nahmen wir zusammen mit hunderten von Bewohner:innen des Dorfes an der Auftaktdemonstration des Festivals teil. Im Anschluss wurde eine Eröffnungszeremonie abgehalten, es gab Reden und Musik sowie Theater- und Tanzvorstellungen der Jugend Farkhas. Die so entstandene Moral und Begeisterung sprang sofort auf alle Teilnehmenden des Festivals über und bildete einen gelungenen Übergang für die kommenden Tage.

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