Diwan im Gedenken an Dengbêj Salihe Şirnexî

In Şirnex haben Bardensänger*innen ihrem Freund und Kollegen Dengbêj Salihe Şirnexî gedacht. Der 75-Jährige starb vor vier Jahren während der Ausgangssperre nach einem Schwächeanfall in Silopiya.

Mit Gesängen in der Tradition der Dengbêj-Kunst, einem spezifischen Sprechgesangsstil der kurdischen Barden, ist in Şirnex (Şırnak) dem Sänger Dengbêj Salihe Şirnexî gedacht worden. Der 75-Jährige, der fast jeder Person in der Botan-Region und darüber hinaus ein Begriff ist, kam vor vier Jahren in Silopiya (Silopi) im Zuge der türkischen Militärbelagerung kurdischer Städte ums Leben. Am 25. Dezember 2015 erlitt er infolge der Auseinandersetzungen einen Schwächeanfall. Weil die türkische Armee die Durchfahrt eines Krankenwagens verweigerte, starb Dengbêj Salihe Şirnexî.

Die Gedenkveranstaltung fand in den Räumlichkeiten des Provinzverbands der Demokratischen Partei der Völker (HDP) statt. Zunächst wurde über eine große Leinwand eine Dokumentation über das Leben des Bardensängers eingespielt. Anschließend lauschte die kleine Menschenmenge dem Gesang, den Freund*innen und Kolleg*innen von Dengbêj Salihe Şirnexî anstimmten. Viele der Zuhörer*innen mussten mit den Tränen kämpfen.

Die HDP-Abgeordnete Nuran Imir war ebenfalls unter den Anwesenden. Mit einer Rede würdigte sie Dengbêj Salihe Şirnexî und erinnerte daran, dass er heute möglicherweise noch am Leben wäre, hätte er rechtzeitig in ein Krankenhaus gekonnt. Danach stimmte die Politikerin selbst ein Lied an und überraschte die Gäste.

Dengbêj Salihe Şirnexî

In den Liedern der kurdischen Dengbêjs geht es neben historischen Begebenheiten und die Muttersprache meistens um Schmerz, Sehnsucht, Freude, Liebe und Krieg. Insbesondere in Nordkurdistan haben Barden kurdisches Kulturgut geschützt und weitergegeben und damit einen unermesslichen Beitrag dafür geleistet, dass die Umbrüche in Kurdistan, Massaker, Aufstände und individuelle Heldentaten bis in die Gegenwart getragen werden konnten.

Am 25. März 1992 wurden in Şirnex Dutzende Minderjährige von türkischen Sicherheitskräften festgenommen. Offiziell sollten sie lediglich zu den „Unruhen“ nach dem Newroz-Fest befragt werden. In dem Jahr wurde das traditionelle Frühlingsfest der kurdischen Bevölkerung blutig niedergeschlagen. Allein in Şirnex starben bis zu 400 Menschen durch Kugeln von Militärs und Polizei.

Unter den Festgenommenen war auch die 16-jährige Schülerin Bişeng Anık. Vier Tage nachdem sie bei einer Razzia in ihrem elterlichen Haus in Gewahrsam genommen worden war, wurden ihre Eltern von der Militärpolizei aufgefordert, ihren Leichnam abzuholen. Behördenangaben zufolge hatte Bişeng mit einem Gewehr, das sie in ihrer Zelle unter einem Kissen vorgefunden haben soll, Selbstmord begangen. In Wahrheit wurde sie getötet: ihr zierlicher Körper wies unzählige Spuren schwerer Folter auf.

Dass Bişeng Anık bis heute nicht vergessen wurde, ist Dengbêj Salihe Şirnexî zu verdanken. Nach ihrem Tod dichtete er das Stück „Bişenga min“, und versprach ihr darin, „ihren Namen in die Welt zu tragen“. In der Botan-Region gibt es heute kein einziges Kind, das Bişeng Anık nicht kennt.