Buchmesse in Rojava setzt starkes Zeichen der kulturellen Blüte

Auf der „Şehîd Herekol“-Buchmesse in Qamişlo wurden unzählige neue Werke präsentiert. Trotz Angriffen und permanentem Kriegszustand wird deutlich, dass die Literatur in Rojava blüht.

„Şehîd Herekol“-Buchmesse in Qamişlo

Über 143.000 Bücher werden auf der 8. Buchmesse „Şehîd Herekol“ in Qamişlo präsentiert. Sie ist Ausdruck einer echten kulturellen Revolution, denn die Revolution von Rojava schuf einen tiefgreifenden sozialen Wandel, der seinen Niederschlag nicht nur im politischen und militärischen Kampf, sondern auch in der Literatur gefunden hat. Unter dem baathistischen Regime wurde jeglicher Ausdruck von Kreativität unerbittlich unterdrückt, und Schriftsteller:innen konnten nur unter größter Gefahr ihre Gedanken frei äußern. Der Sprachenschatz der Region wurde negiert und als Amts- und Bildungssprache ausschließlich Arabisch erlaubt. Auch Werke von Autor:innen, die in arabischer Sprache publizierten, aber nicht die Ideologie des Baath-Regimes vertraten, wurden nicht nur verboten, sondern auch verbrannt, beschlagnahmt und ihre Schöpfer:innen inhaftiert. Mit der Revolution von Rojava wurde dieses Regime des Schreckens jedoch durchbrochen. Es entstand ein neues Verständnis von Literatur, eine reiche Gedankenwelt und ein vielfältiges gesellschaftliches Bewusstsein. Es entwickelten sich neue, vielsprachige und multikulturelle Ausdrucksformen. Damit wurde auch die Grundlage für eine Renaissance der Sprachen und Erzählungen der verschiedenen Identitäten der Region geschaffen. Schriften, Gedichte und Werke wurden zu Symbolen der Solidarität, des Widerstands und der Hoffnung. Heute schreiben die Schriftsteller:innen ohne Angst und Repression über soziale Realitäten, Kämpfe und Träume. Die neue Literatur, die in Rojava entstanden ist, ist Ausdruck eines enormen kulturellen Reichtums, der Situation der Menschen und des kollektiven Gedächtnisses. Diese Literatur vereint historischen Schmerz, Geschichten des Widerstands und der Suche nach Freiheit und manifestiert gleichzeitig einen universellen Aufruf. Die Buchmesse ist ein Spiegelbild dieses Appells.

143.000 Bücher präsentiert

Die Buchmesse fand erstmals am 20. Juli 2017 statt und hat sich seitdem zu einem kulturellen Höhepunkt entwickelt. Nach viermonatiger Vorbereitung wurde sie am 15. Oktober unter dem Motto „Lasst uns das Lesen zum Lebensstil machen“ eröffnet. Insgesamt nahmen 54 Verlage und Institutionen teil und präsentierten den Leser:innen über 143.000 Bücher aus mehr als 15.000 Werken. Zahlreiche Verleger:innen und Schriftsteller:innen aus Nord-, Süd- und Ostkurdistan, Syrien, Libanon, Irak, Belgien, Großbritannien, Ägypten, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten nahmen an diesem Literaturfestival teil. Auf dem Messegelände wurde ein reichhaltiges, mehrsprachiges Programm in Kurdisch (Kurmancî und Soranî), Arabisch, Türkisch, Englisch, Russisch, Französisch, Aramäisch, Armenisch und Deutsch angeboten. In den Regalen fanden sich Werke verschiedener Genres wie Erzählungen, Romane, Gedichte, Märchen, Theaterstücke, wissenschaftliche Arbeiten, Philosophie, Sozialwissenschaften, Politik, Denken, Geschichte, Sprache, Grammatik, Wörterbücher und Kinderbücher.

Mehr Werke auf Kurdisch

Etwa die Hälfte der auf der diesjährigen Messe ausgestellten Bücher sind kurdischsprachige Werke. Die Tatsache, dass davon die Hälfte dieser Bücher in Nord- und Ostsyrien verfasst wurden, unterstreicht die kulturelle Produktivität der Region. 25 Prozent der ausgestellten Bücher stammen von Schriftstellerinnen. Die wachsende Bedeutung von Frauen als Autorinnen verdeutlicht den gesellschaftlichen Wandel in Rojava. Insbesondere den Schriften von Abdullah Öcalan wurde auf der Buchmesse ein besonderer Platz eingeräumt.

Frauenwiderstand in Romanen und Sachliteratur

Die Akademie für Jineolojî hat bedeutende literarische Beiträge geleistet und fördert die Frauenliteratur. Werke wie „Bildungsnotizen zur Jineolojî“ von Zozan Sima, „Asche“ von Nagihan Akarsel und „Der Widerstand der Zeris“ von Rojbîn Deniz spiegeln eindrucksvoll die Erfahrungen, Kämpfe und Träume von Frauen wider. Diese Bücher sind Ausdruck kollektiver Erinnerung, Widerstand und Transformation. Jedes Werk ist aus der Perspektive von Frauen geschrieben und behandelt zentrale Themen wie Geschlechterbefreiung, Freiheitskampf und gesellschaftlichen Wandel. Die vom Konzept der Jineolojî inspirierten Werke betonen die Bedeutung der Frau in der Gesellschaft, ihre historische Rolle und ihr Potenzial für die Zukunft. Sie verdeutlichen, dass Literatur ein wirksames Mittel des Kampfes sein kann. Durch die Kombination tiefgründiger philosophischer Betrachtungen in „Asche“ und der packenden Erzählung „Der Widerstand der Zeris“ tragen diese Werke dazu bei, die Stimmen der Frauen zu verstärken und ihre Sichtbarkeit zu erhöhen. Das regelmäßig erscheinende Magazin „Horizont der Frauen“ hat ebenfalls einen festen Platz auf den Buchmessenregalen und stellt die Perspektiven und Kämpfe von Frauen auf vielfältige Weise dar.

Kurdische Spracheinrichtungen nahmen an Buchmesse teil

Zum ersten Mal nahm auch die kurdische Sprachinstitution an der Buchmesse teil. Ihre elf präsentierten Werke leisten einen wichtigen Beitrag zur akademischen und kulturellen Stärkung der kurdischen Sprache und Literatur. Die Bemühungen der Saziya Zîmanê Kurdî (Kurdische Sprachinstitution) um die Entwicklung der Sprache und Literatur der Revolution, ihre Arbeit zur Sensibilisierung der Gesellschaft für die Sprache und ihr Ziel, gesellschaftliche Werte über die Sprache zu vermitteln, stießen bei den Leser:innen auf großes Interesse. Ebenso fanden die neuen Impulse, die sie der kurdischen Literatur gibt, viel Anklang. Darüber hinaus ist die Teilnahme der SZK an der Messe besonders wichtig für die Förderung der kurdischen Sprache und Kultur.

Gleichberechtigung und Demokratiebildung, Schwerpunkt im Kinderbereich

Der Kinderbereich zog große Aufmerksamkeit auf sich, da es hier insbesondere um die Wertevermittlung an die neue Generation ging. In diesem Bereich wurden Bücher, Zeitschriften, Comics und Erzählungen präsentiert. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Vermittlung eines kollektiven Lebens sowie von Frieden, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung.

Reger Austausch auf Seminaren und Podiumsdiskussionen

Die Buchmesse wurde von Podiumsdiskussionen und Seminaren begleitet, die Titel wie „Literatur und Literaturkritik in Rojava-Kurdistan“, „Die neue Welle des syrischen Romans und die Auswirkungen des Krieges“ und „Geschichte der kurdischen Literatur“ trugen. In diesen Seminaren diskutierten Schriftsteller:innen und Literaturinteressierte nicht nur über den Entstehungsprozess literarischer Werke, sondern auch über deren sozialen und historischen Kontext. Parallel dazu bot die Podiumsdiskussion „Situation, Vision und Zukunftshorizonte“ den Teilnehmer:innen die Möglichkeit, eine Vision der Zukunft der Literatur zu entwickeln. An diesem Tisch konnten Ideen aufeinanderprallen und neue Perspektiven entstehen. Intensive Diskussionen und Ideensammlungen auf der Messe gaben der Literatur neue Impulse und bereicherten die Gedankenwelten der Teilnehmer:innen.