Cizîrê: Festival der demokratischen Nation

Trotz permanenter Angriffe geht die kulturelle Arbeit am Aufbau des pluralen Zusammenlebens in Nord- und Ostsyrien weiter. Auf dem Festival der demokratischen Nation in Tell Brak stellen die verschiedenen Identitäten ihre Kunst und Kultur gemeinsam vor.

Das Konzept der demokratischen Nation ist kein nationalstaatliches Konzept, sondern die Idee eines multiidentitären, geschlechterbefreiten und basisdemokratischen Konzepts des Zusammenlebens, wie es seit der Revolution von Rojava versucht wird, in Nord- und Ostsyrien zu leben. Auf dem historischen Gipfel des Tell Brak im Kanton Hesekê fand nun das „Festival der demokratischen Nation“ oder „Kunst und Kulturfestival der Region Cizîrê“ statt. Der Tell Brak wurde bewusst ausgewählt, denn er ist ein seit mindestens 8.000 Jahren besiedelter Hügel, der von der akkadischen, hurritischen und schließlich mitannischen Kultur geprägt wurde. Er gilt als einer der ältesten sesshaften Siedlungsorte der Welt, in dem städtische Strukturen auf ein Alter von 7.000 Jahren zurückgehen. So ist dieser historische Ort der perfekte Ort für ein Festival, auf in dem die alternative zu 5.000 Jahren Patriarchat und Herrschaft gefeiert wird.

Das Festival fand vom 10. bis 11. November unter dem Motto „Wir werden Nord- und Ostsyrien im Geiste der demokratischen Nation verteidigen und die physische Freiheit von Abdullah Öcalan erkämpfen“ statt. Die Teilnehmer:innen präsentierten sich in ihren traditionellen Trachten und präsentierten ihre alte und moderne Kunst und Kultur.


Seite an Seite präsentierten Araber:innen, Suryoye und Assyrer:innen, Armenier:innen und Kurd:innen ihre Kulturen und stellten ihre tiefe historische Verbundenheit, die viel tiefer reicht als moderne Nationalismus und Konfessionalismus, in den Mittelpunkt. So gelang es mit dem Festival eine Botschaft des Zusammenlebens der verschiedenen Communities in Rojava auszusenden. Die eigene Geschichte wurde damit auch zum Medium, die Verbundenheit zwischen den Gesellschaften zu stärken. Dabei tauchten auch immer wieder Bilder von Abdullah Öcalan als Ideengeber des Konzepts der demokratischen Nation und des demokratischen Konföderalismus in den Ausstellungen auf und erinnerten dessen aktive Rolle für das Zusammenleben der Menschen in Nord- und Ostsyrien. So wurden beispielsweise im armenischen Kulturzelt Bilder des armenischen Musikers Aram Tigran gemeinsam mit Öcalan gezeigt. Im Zelt der Suryoye wurden Bilder des Erzbischofs von Aleppo Gregorios Yohanna Ibrahim gemeinsam mit Öcalan gezeigt. Der Erzbischof war 2013 verschleppt worden und ist seitdem verschwunden. Am arabischen Zelt wurden Bilder von Abdullah Öcalan in arabischer und kurdischer Tracht gezeigt.


In jedem Zelt eine andere Kultur

Auf dem Festival gab es ein kurdisches, ein arabisches, ein armenisches und ein Suryoye-Zelt. Im kurdischen Zelt wurden alte Werkzeuge zum Weizendreschen, Kunsthandwerk und Dekorationen sowie landwirtschaftliche Geräte ausgestellt. Ezîze Yunis sagte gegenüber der Nachrichtenagentur ANHA dazu: „Unsere alte Kultur ist sehr schön. Die in diesem Zelt ausgestellten Werkzeuge erinnern uns an unser Erbe. Wir wollen dieses Erbe der Welt zeigen und es bekannt machen.“

In einem anderen Zelt, das die Kultur der Suryoye widerspiegelte, wurden lokale Trachten, Küchen, antike Kunst und landwirtschaftliche Geräte aber auch Bilder von Massakern, die in der Geschichte an den christlichen Bevölkerungsgruppen verübt wurden, ausgestellt.

Armin Mardo vom Kulturverein der Suryoye erklärte zu der Ausstellung, dass man einerseits die tragische Geschichte, aber auch die Schönheit darstellen wolle: „Das Fest ist von großer Bedeutung. Auf diese Weise wollten wir die Schönheit und Einheit der Völker der Region zeigen und eine Art Museum der Geschwisterlichkeit der Völker errichten.“

Auch im armenischen Zelt wurden sowohl Aufnahmen des Genozids als auch Werkzeuge, Trachten, Handarbeit und Schmuck gezeigt. Imad Teteriyan, Ko-Vorsitzender des armenischen Gesellschaftsrat, erklärte dazu: „In dem Zelt präsentieren wir armenische Spezialitäten, Kunsthandwerk und eine über 100 Jahre alte armenische Wiege.“ Teteriyan weiter: „Wir wollten die Botschaft übermitteln, dass die Völker der Region geeint und solidarisch sind. Wenn auch nur eine Komponente dazu nicht bereit wäre, dann kann das Mosaik der Geschwisterlichkeit der Völker in der demokratischen Nation nicht vollendet werden.“


Das arabische Zelt war in der Tradition der nomadischen Stämme geschmückt. Es wurden Teppiche und Holzarbeiten, sowie ein Wasserbrunnen neben dem Zelt präsentiert. Um das Zelt wurden Pferde und Maultiere gezeigt.

Ahmad al-Awad kommentierte das Festival mit den Worten: „Wenn wir über Kultur sprechen, sprechen wir über dieses Zelt und assoziieren es mit Pferden, Maultieren, freien Vögeln und Kaffee. Dieses Zelt repräsentiert die arabische Stammesbevölkerung und ist der Ort des Dialogs zwischen den Stämmen.“ Er fuhr fort: „Das Nebeneinander der Zelte der unterschiedlichen Gemeinschaften zeigt die Geschwisterlichkeit der Völker hier, ihr Leben in der Vergangenheit und ihre Verbundenheit zueinander. Die Region Cizîrê in Nord- und Ostsyrien mit ihrer tief verwurzelten Geschichte ist eine Symbiose zwischen der verschiedenen Gemeinschaften. Mit unserer Teilnahme an dem Festival lassen wir diese Geschichte wieder aufleben.“

Theater zeigt den kulturellen Reichtum

Auf dem Festival spielte die siebenköpfige Theatergruppe Şehîd Darsin ebenfalls Theater. Das Theaterstück befasste sich mit dem Zusammenleben der unterschiedlichen Gesellschaften der Region. Die Autorin des Stücks, Fatme Ehmed, erklärte, das Stück berichte über der friedliche Zusammenleben der Völker und sagte: „Wir wollten die dunklen Kräfte, die Zwietracht zwischen den Gemeinschaft zu stiften versuchen, mit Hilfe des Theaters demaskieren.“