Briefe aus dem Knast: Hüseyin Çelebi / Christa Eckes – Lesung in Nürnberg

Zum 28. Mal findet in Nürnberg die Linke Literaturmesse statt. Gisela Dutzi stellte dort den 2021 von ihr sowie Sieglinde Hoffmann und Brigitte Mohnhaupt herausgegebenen „Briefwechsel Hüseyin Çelebi - Christa Eckes, April 1988 - Dezember 1989“ vor.

1996 startete in Nürnberg das Experiment, linke Literatur für ein Wochende nach Nürnberg zu holen. Mittlerweile ist die Linke Literaturmesse die größte politische Buchmesse im deutschsprachigen Raum und gilt vielen als Pfllichtermin. Dieses Wochenende ist es wieder soweit: Zum 28. Mal präsentieren über 50 Verlage und Zeitschriftenredaktionen ihr Programm. Auf 61 Veranstaltungen haben Besucher:innen die Gelegenheit, mit Autor:innen zu diskutieren und im Messebereich ihre Bücherregale füllen.

Mit dabei war auch Gisela Dutzi, die den 2021 erschienenen „Briefwechsel Hüseyin Çelebi - Christa Eckes, April 1988 - Dezember 1989“ gemeinsam mit Sieglinde Hoffmann und Brigitte Mohnhaupt herausgab und heute vorstellte. Zusammen mit Hzrwan A. las sie Ausschnitte vor aus der Gefängniskorrespondenz zwischen der RAF-Gefangenen Christa Eckes und dem kurdischen Aktivisten Hüseyin Çelebi.

Christa Eckes schloss sich im Sommer 1973 der RAF an, wurde 1974 mit sechs weiteren Mitgliedern festgenommen und zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Nach ihrer Entlassung ging sie erneut zur der RAF, wurde wieder verhaftet und für acht weitere Jahre eingesperrt. 2012 verstarb sie an einer schweren Krankheit. Ihre Freundinnen fanden in ihrem Nachlass die Korrespondenz mit Hüseyin Çelebi und beschlossen, daraus ein Buch zu machen.

Gisela Dutzi (l.) und der kurdisch-ezidische Aktivist Hzrwan A.

Christa Eckes hörte im Gefängnis vom sogenannten „Düsseldorfer Prozess“ (1989-1994) gegen 19 kurdische Aktivisten, der mit mit dem Betätigungsverbot der PKK endete. Einer der Angeklagten war Hüseyin Çelebi. Er wuchs in Hamburg auf und war einer der wenigen inhaftierten Kurden, die Deutsch sprachen. Eckes kannte ihn nicht, schrieb ihm aber 1988 einen ersten Brief, in dem sie sich erkundigte nach den Haftbedingungen und seinem Hintergrund erkundigte. Damit begann ein Briefwechsel, der heute als wichtiges Zeitdokument gilt.

In ihren Briefen tauschten sich die beiden aus über das, was im Leben von politischen Gefangen wichtig ist. Es ging um Zensur, um die alltäglichen Schikanen, um die in Deutschland schon eingeführte Isolationshaft und das Kontaktverbot – beides für die Kurden eine neue Erfahrung. Eckes wusste noch nicht viel über den kurdischen Freiheitskampf und Çelebi klärte sie auf, erzählte von der Kolonialisierung Kurdistans und der PKK. Immer wieder Thema war auch, wie sich die Kämpfe in Europa und die der kurdischen Bewegung und der türkischen Linken verbinden ließen. Beide waren interessiert daran, den Internationalismus voranzutreiben.

Hüseyin Çelebi blieb nach seiner Haftentlassung noch kurze Zeit in der Bundesrepublik, war Mitbegründer des kurdischen Studierendenverbandes YXK und der Zeitschrift Kurdistan Report. Im Sommer 1991 hatte er genug von Deutschland und schloss er sich der Guerilla in Kurdistan an. Am 23. Oktober 1992 kam er bei einem Angriff von kurdischen Kollaborateuren und der türkischen Armee in Heftanîn ums Leben. Er wurde 25 Jahre alt.

Gisela Dutzi schloss die Lesung mit Zitaten aus dem Nachwort des PKK-Mitbegründers Duran Kalkan, der selbst einer der Mitangeklagten im „Düsseldorfer Prozess“ war und Hüseyin Çelebi als bedeutenden Revolutionär würdigte. Die Besucher:innen der Lesung verfolgten aufmerksam die vorgetragenen Textpassagen, die einen Einblick geben, wie sich Gefangene aus ganz unterschiedlichen politischen Kontexten einander näher kamen und wie wichtig in einer Situation der Isolation Kontakt und Austausch auf Augenhöhe sind.

Am Ende der Veranstaltung wurde daran erinnert, dass auch mehr als 30 Jahre danach noch immer kurdische Aktivist:innen in Deutschland verfolgt werden und dass derzeit neun Gefangene nach §129a/b StGB inhaftiert sind. Ihre Adressen werden jeweils im Infodienst des Rechtshilfefonds Azadî e.V. veröffentlicht. Die Haftbedingungen haben sich seitdem kaum verändert: Isolation, Kontaktverbot, Zensur, Zurückhalten von Briefen, Beschränkung bei Zeitungs- und Buchversand, Verhängung von Disziplinarstrafen, Sonderbehandlung aufgrund des „Terrorismus“-Verdachts, etc. Besser klappt heute die Bereitstellung von Gerichtsdolmetscher:innen – auch für die kurdischen Dialekte. Eine bitterere Verbesserung, die zeigt, wie „professionell“ die deutsche Justiz mittlerweile im Umgang mit kurdischen Gefangenen wurde.