Öcalans „Zivilisation und Wahrheit“ auf Armenisch erschienen

Im Jerewaner Lusakn-Verlag ist der erste Band von Abdullah Öcalans „Manifest der demokratischen Zivilisation“ erschienen. An einer Buchpräsentation bei der Union der Schriftsteller Armeniens nahmen namhafte Persönlichkeiten teil.

In Armenien ist mit „Zivilisation und Wahrheit – Maskierte Götter und verhüllte Könige“ der erste Band von Abdullah Öcalans „Manifest der demokratischen Zivilisation“ erschienen. Herausgegeben wurde das von Zabel Martikian ins Armenische übersetzte und von Poghos Poghosyan lektorierte Werk im Jerewaner Lusakn-Verlag. Anlässlich der Veröffentlichung des Buches lud das Kurdistan-Komitee am Montag zu einer Präsentation und Lesung in die Räumlichkeiten der Union der Schriftsteller Armeniens ein.

In etwas mehr als drei Jahren (2007–2010) hat Abdullah Öcalan mit dem „Manifest der demokratischen Zivilisation“ ein 5-bändiges Opus Magnum geschrieben, in dem er seine Erfahrungen und Erkenntnisse aus 35 Jahren radikaler Theorie und revolutionärer Praxis zusammenfügt. Im ersten Band „Zivilisation und Wahrheit“ kritisiert Öcalan nicht nur die Kapitalistische Moderne als selbsterklärtes Ende der Geschichte, sondern weitet den Blick auf die ihr zugrunde liegenden Strukturen der Zivilisation aus. Es steht für ihn außer Frage, dass die Kapitalistische Moderne nur eine Zivilisationsform unter vielen möglichen darstellt. Ohne die wesentlichen Stränge der zivilisatorischen Entwicklung zu verstehen, ohne ihre jeweiligen revolutionären wie reaktionären Phasen zu untersuchen (z.B. des Christentums oder des Islam), kann die Kapitalistische Moderne aber weder erklärt noch überwunden werden. Indem Öcalan die Methoden zum Verständnis von Gesellschaft, Wissen und Macht hinterfragt, scheinbar unterschiedliche geschichtliche Entwicklungen in der Welt aufeinander bezieht und sie zu einem Hauptstrom der Zivilisation zusammenführt, bereitet er einer Soziologie der Freiheit den Boden.

Anwesend bei der Buchvorstellung waren auch Kinyas Hasanov, kurdischer Abgeordneter im armenischen Parlament, der zugleich auch der Präsident von Şewra Gelê Kurd (Kurdische Gemeinde in Armenien) ist, und Silo Dirboyan, Ko-Vorsitzender des Kurdistan-Komitees in Armenien.


Auf der Buchvorstellung waren bedeutende Persönlichkeiten aus der Szene anwesend. Seyran Celad vom Verband kurdischer Literaturschaffender, die die Präsentation moderierte, erklärte, dass das „Manifest der demokratischen Zivilisation“ eine neue allgemeine politischer Theorie darstelle und Öcalan als Ideengeber eine Perspektive für ein freies Leben anstoße. „Er entwickelt in seinen Schriften, die er in der Form einer Eingabe an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verfasste, theoretische und praktische Konzepte, die er zwar auf Kurdistan und die Nahostregion anwendet. Seine Ideen und Methoden sind aber nicht auf eine bestimmte Geografie beschränkt, da er Vorschläge für Formen der Organisierung und Verwaltung weltweit macht. Er stellt Fragen und bietet Lösungen – und zwar totalisoliert in einem Inselgefängnis und im Angesicht all jener, die ihn und seine Gedanken vernichten wollen.“

Der armenische Historiker Gevorg Xudinyan knüpfte ebenfalls an den „Mut“ Öcalans an. „Er führt einen großen und äußerst bedeutsamen Widerstand auf der Gefängnisinsel Imrali und bietet allen die Stirn, die ihn als Gefahr für den Erhalt des Status quo im Nahen Osten sehen.“ Deshalb sei es zunächst notwendig, diesen Widerstand zu verstehen und ihm einen Sinn zu verleihen. „Das derzeitige kapitalistisch-imperialistische System steht kurz vor dem Zusammenbruch. Anstelle dieses Systems entwickelt sich eine neue Weltordnung. Zweifellos werden die unterdrückten und ausgebeuteten Völker bei der Schaffung dieser neuen Weltordnung die Führung übernehmen.“ Xundinyan betonte, dass die Bücher und Ideen von Abdullah Öcalan einen wichtigen Platz sowohl bei der Emanzipation der Menschen als auch für die Einheit und Solidarität der Völker einnehmen. „Dass die Schriften Öcalans und damit die Konzepte der kurdischen Befreiungsbewegung nun auch der armenischen Gesellschaft zugänglich gemacht werden, ist eine wichtige Basis, damit auch wir Veränderung schaffen können.“

Der Kurdologe Karen Hovhannisyan beschäftigt sich seit Jahren mit Abdullah Öcalan und seinen Schriften. „Seine Ideen sind Methoden, kein bloßes Dogma, und bieten einen Ausweg aus den aktuellen Krisen der Welt“, sagte er. Öcalan sei ein bedeutender Theoretiker, der nicht nur den Grundstein für den kurdischen Befreiungskampf gelegt habe. „Er bewältigte die Reorganisation einer Gesellschaft, die durch die Assimilierungsversuche des türkischen Staates und durch feudale und kleinbürgerliche Strukturen von ihrer Identität entfremdet worden war, und verhalf seinem Volk zu einem demokratischen Nationalbewusstsein, das weltweit Beachtung und Solidarität findet.“ Auch in Armenien bestehe infolge der Solidarität mit dem Befreiungskampf in Kurdistan viel Interesse an den theoretischen und praktischen Konzepten, die dahinter stehen. „Deshalb freut es mich umso mehr, dass es die Schriften Öcalans auch auf Armenisch gibt.“ Den verschiedenen Akteuren im viergeteilten Kurdistan legte Hovhannisyan nahe, ihre persönlichen Interessen beiseitezulegen, wenn sie eine gerechte Lösung für die kurdische Frage wollten. Öcalan sei der einzige unter den politischen Führungspersönlichkeiten, der die kurdische Frage und die Transformation des Nahen Ostens um Kurdistan gleichzeitig angehe. „Sie alle müssen sich um ihn herum scharen, wenn ihnen die Befreiung ihrer Heimat gelingen soll.“