129b-Gefangener Abdullah Öcalan im Krankenhaus

Der kurdische Aktivist Abdullah Öcalan, Angeklagter im PKK-Prozess, ist nach tagelangen Schmerzen wegen einer akuten Gallenblasenentzündung in Frankfurt operiert worden. Im Krankenhaus und in Haft ist er den Behörden hilflos ausgeliefert.

Am 11. April dieses Jahres begann vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/M. der Prozess gegen den 58-jährigen kurdischen Aktivisten Abdullah Öcalan, dem die Anklage vorwirft, Mitglied der PKK gewesen zu sein und seit August 2019 verschiedene „PKK-Gebiete“ verantwortlich geleitet zu haben. Seit seiner Verhaftung im Mai 2021 befindet er sich in Untersuchungshaft in der JVA Frankfurt/M.

Abdullah Öcalan wollte an den kommenden Verhandlungstagen mit dem Vortrag seiner Prozesserklärung fortführen. Doch es kam anders. Über die Gründe sprach Monika Morres vom Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. mit Rechtsanwältin Antonia v.d. Behrens und ihrem Kollegen Stephan Kuhn. Beide vertreten Abdullah Öcalan in dessen 129b-Verfahren.

Was ist im Augenblick der Stand?

Herr Öcalan wurde am 12. Mai 2022 wegen einer akuten und sehr schmerzhaften Gallenblasenentzündung in einem Frankfurter Krankenhaus operiert. Bis das geschehen ist, hatte er mehrere Tage massive Schmerzen. Auf Grundlage der uns bekannten Tatsachen haben wir den Eindruck, dass diese im Gefängnis nicht genügend ernst genommen worden waren. Möglicherweise hat sich so eine angemessene medizinische Behandlung vermeidbar verzögert. Nach dem, was wir bisher wissen, soll die Operation gut verlaufen sein; medizinische Einzelheiten kennen wir aber noch nicht.

Wie ist es dazu gekommen?

Herr Öcalan hatte sich bereits am Morgen des letzten Hauptverhandlungstages, dem 6. Mai 2022, beim Arzt im Gefängnis gemeldet, weil es ihm schlecht ging und er sich nicht in der Lage fühlte, zum Gericht zu fahren. Er hatte Schmerzen im Bauchraum und es war ihm übel. Diese Schmerzen hatte er in der Nacht plötzlich bekommen. Der Arzt glaubte jedoch, er könne durchaus zum Gericht. Im Transporter, in der Zelle und im Gerichtssaal musste er lange sitzen, obwohl das seine Schmerzen und die Übelkeit verstärkte. Wenigstens wurde er noch im Gericht von zwei Ärztinnen des Gesundheitsamtes so gründlich, wie dies möglich war, untersucht. Diese entschieden, die Schmerzen sollten weiter medizinisch abgeklärt werden, weshalb die Verhandlung unterbrochen wurde. Die Ärztinnen hatten Herrn Öcalan für den Gefängnisarzt noch ein Schreiben zu den erhobenen Beschwerden mitgegeben.

Was dann geschah, wissen wir noch nicht genau. Sicher ist nur, dass es vier Tage gedauert hat, bis Herr Öcalan endlich in ein Krankenhaus gebracht wurde. Bis dahin war er auf der Krankenstation des Gefängnisses. Er hatte unerträgliche Schmerzen und sogar das Gefühl, vor Schmerzen ohnmächtig zu werden. Er war total hilflos und fühlte sich ausgeliefert. Er spricht kein Deutsch, weshalb er sich nicht richtig verständigen konnte. Er verstand auch nicht, warum trotz seiner Beschwerden nicht schneller eingriffen wurde und er mit diesen Schmerzen alleine gelassen wurde. Erst im Krankenhaus, in das er endlich am 10. Mai 2022 kam, wurde eine Gallenblasenentzündung diagnostiziert und in einer Eiloperation die Gallenblase bereits am nächsten Tag entfernt.

Wie geht es jetzt mit ihm gesundheitlich weiter?

Das wissen wir leider noch nicht, weil uns die Informationen fehlen. Der Chefarzt weigerte sich heute, trotz bestehender Schweigepflichtentbindung mit der Verteidigung zu sprechen. Aber aus Laiensicht würde ich sagen, dass es sehr unklar ist, wie es weitergeht. Abdullah Öcalan ist 58 Jahre alt und leidet seit mehreren Jahren an Diabetes Typ II. Im Gefängnis hatte er schon vorher gesundheitliche Schwierigkeiten, weil das dortige Essen ihm bei seiner Erkrankung nicht gut tut und er viel zu wenig Bewegung hatte. Wie sich diese gesundheitlichen Grundprobleme auf die aktuelle Erkrankung und das Fehlen der Gallenblase auswirken, wissen wir nicht.

Sie und Ihr Kollege Stephan Kuhn haben heute, am 13. Mai, Ihren Mandanten im Krankenhaus der JVA besucht. Wie ist Ihr Mandant behandelt worden und wie geht es ihm?

Er ist von dem Krankenhauspersonal sehr gut behandelt worden und hatte endlich das Gefühl, dass er und seine Beschwerden ernst genommen werden. Aber natürlich geht es ihm schlecht. Er hat schlimme Tage mit großen Schmerzen und Unsicherheit hinter sich. Hinzu kommt die Ohnmacht, die er fühlte, weil er sich nicht verständigen kann, weder im Gefängnis noch im Krankenhaus. Es gab im Krankenhaus zum Glück einen Arzt, der türkisch gesprochen hat, aber der war nur selten da. Er war in dieser vulnerablen Situation also ganz alleine und von Kommunikation abgeschnitten.

Wird er im Krankenhaus bewacht?

Ja, das macht natürlich alles noch schlimmer für ihn. Er ist krank, muss operiert werden und liegt dabei mit Fußfesseln gefesselt im Bett und es sind ständig zwei Beamte bei ihm im Zimmer. Nicht nur, dass er sich nicht verständigen kann, es gibt dort auch keinerlei Privatsphäre für ihn. Auch kann er sich nicht einfach im Bett so drehen, wie es für ihn halbwegs angenehm ist. Auch für uns war es schon schwierig, ihn so zu sehen.

Welche Erfahrungen haben Sie rund um diesen Besuch mit dem Gefängnispersonal gemacht?

Es hat leider sehr lange gedauert, bis wir erfahren haben, dass er auf der Krankenstation liegt. Danach wurden wir gut von der JVA informiert und uns wurden Besuche im Krankenhaus ermöglicht. Die JVA-Bediensteten, die bei Herrn Öcalan waren, haben sich diesem gegenüber fair und anständig verhalten.

Ansonsten sind die Erfahrungen mit der JVA zum Teil nicht so gut. Auch wenn dies im Verhältnis zur Erkrankung belanglos ist, war es für Herrn Öcalan sehr belastend, dass er gut fünf Monate lang keine Bücher erhalten hat, obwohl wir uns deshalb die Finger wundgeschrieben haben. Hier wurde aus unerfindlichen Gründen einfach gemauert. Gerade in Zeiten der Pandemie und seiner sprachlichen Isolation war es für Herrn Öcalan sehr belastend, keine Bücher zu erhalten, vor allem weil es schlicht keinen Grund gab, dass das nicht klappte.

Ihre Kollegen Dr. Peer Stolle und Dr. Lukas Theune haben in dieser Woche auf einer Pressekonferenz in Berlin einen Antrag auf Aufhebung des PKK-Betätigungsverbots vorgestellt und beim Bundesinnenministerium eingereicht. Der aktuelle Vorfall um Ihren Mandanten zeigt doch nur wieder einmal, dass diese Bemühungen verstärkt werden müssen. Auch wenn die Bundesregierung keine Änderung ihrer Politik signalisiert, sind Sie – wie viele – dennoch der Auffassung, dass der Druck der Öffentlichkeit größer werden muss, um diese Kriminalisierungs- und Diffamierungspolitik gegenüber Kurdinnen und Kurden in Deutschland zu beenden?

Ja, auf jeden Fall. Sein Fall zeigt nicht nur die politischen und menschlichen Konsequenzen, sondern auch die Widersprüchlichkeit im Umgang mit der PKK: Die Strafverfolgungsbehörden, die gegen unseren Mandanten ermittelt haben, behaupten, dass sie ihn während der gesamten Zeit, in der er sich angeblich terroristisch betätigt haben soll, auf Schritt und Tritt überwacht hätten. Es heißt in der Anklage, sie hätten ihn seit August 2019 beobachtet, observiert, seine angeblichen Telefone und den Innenraum eines Pkw abgehört, um angebliche Bewegungsprofile von ihm zu erstellen. Aber sie haben offenkundig fast zwei Jahre lang keinen Grund gesehen einzuschreiten, was wohl bei „echten“ terroristischen Aktivitäten angezeigt gewesen wäre. Zu einem willkürlichen Zeitpunkt im April 2021 haben sie sich dann entscheiden, ihn festzunehmen. Nach der Verhaftung dürfen nun selbst seine Verteidiger:innen nur mit Trennscheibe mit ihm sprechen, seine Verteidigerpost wird gelesen, man fesselt ihn sogar im Krankenhaus an ein Bett und setzt zwei Beamte in sein Zimmer. Widersprüchlicher kann doch das Verhalten von Strafverfolgungsbehörden nicht sein.

Wir danken für das Gespräch.