Am 15. August 2018 drangen Verbände der türkischen Luftwaffe in den irakischen Luftraum ein und töteten bei einem gezielten Anschlag den ezidisch-kurdischen Revolutionär Ismail Özden, Kampfname „Zekî Şengalî“. Die Hauspresse des türkischen Faschismus jubelte. Denn Zekî Şengalî war über vier Jahrzehnte der Sache der kurdischen Befreiungsbewegung verbunden gewesen, gehörte der ezidischen Koordination in der Şengal-Region und dem Exekutivrat der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) an.
Symbolische Bedeutung
Der feige Mord an Heval Zekî hatte und hat eine symbolische Bedeutung. Zum einen, weil er das Zusammenspiel des US-Imperialismus, der den Luftraum über diesem Gebiet kontrolliert, und dem NATO-Partner Türkei zeigt. Zum anderen, weil er den Furor veranschaulicht, mit dem die Türkei Jagd auf diejenigen macht, die den Terror des Islamischen Staates zurückgedrängt und den Aufbau eines demokratischen, sozialistischen Gemeinwesens im Mittleren Osten vorangetrieben haben.
Auch der Tag wurde nicht zufällig gewählt, denn am 15. August 1984 schoss die PKK die erste Kugel nicht nur auf die Kolonialisten, sondern eine Kugel auf die kurdische Denkweise, die den Kolonialismus akzeptierte.
Die damaligen Verhältnisse in Kurdistan (insbesondere Nordkurdistan) waren durch Selbstverleugnung gekennzeichnet. Sie war das Ergebnis einer jahrzehntelangen kolonialistischen Assimilationspolitik, die auf die vollständige Auslöschung der kurdischen Identität abzielte. Unter diesen Umständen erwies sich der bewaffnete Kampf als ein zutiefst emanzipierender und befreiender Prozess. Deshalb feiert die Bevölkerung Kurdistans den 15. August als Tag der Auferstehung.
Genosse auf Augenhöhe
Der tödliche Anschlag auf Mam Zekî ist aber auch noch mehr als das. Er war ein Angriff auf das historische Gedächtnis der revolutionären Bewegung. Denn Genossinnen und Genossen wie Zekî sind es, in denen die Geschichte einer ganzen Region, ihrer Menschen, ihrer Kämpfe lebendig bleiben. 1952 im vor allem von Eziden bewohnten Dorf Oguz in Nordkurdistan geboren, zog Ismail Özden 1969 nach Deutschland. 1979, ein Jahr nach der Gründung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), schloss er sich der kurdischen Befreiungsbewegung an, verbrachte Zeit mit Abdullah Öcalan an der Partei-Akademie und arbeitete als Chefredakteur der Zeitschrift Serxwebûn. 40 Jahre seines Lebens gab er dem Kampf. Er kannte die Realitäten der kurdischen Gastarbeiter in Deutschland genauso wie die der dörflichen Landbevölkerung in den ruralen Gegenden Nordkurdistans. Er kannte den Krieg und die Bemühungen um Frieden. Er war ein Diplomat und ein Krieger, ein Praktiker und ein Philosoph. Wer mit Zekî sprach, fand einen geduldigen Lehrer, einen Genossen auf Augenhöhe, aber doch mit der natürlichen Autorität der Erfahrung des Älteren.
Ein Militanter im Sinne Abdullah Öcalans
Kader sind diejenigen Militanten, schreibt Abdullah Öcalan, „die die Mentalität und programmatischen Grundlagen der Partei am besten verinnerlichen und begeistert versuchen, sie in die Praxis umzusetzen“. Jene Militante vereinigen „in ihrer Persönlichkeit kunstvoll die gesellschaftliche Moral und die Kreativität der Politik“. „Feste Überzeugung“ und „Entschlossenheit“ gehören zu ihren Eigenschaften genauso wie „den Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis herzustellen“ und „Leitungsfunktionen bei der Massenorganisation effektiv auszufüllen“.
Mam Zekî war ein Militanter in diesem von Abdullah Öcalan beschriebenen Sinne. Und Öcalan fügt hinzu: „Viele Gruppen, die keine Kader besitzen, verschwinden unweigerlich in den Tiefen der Geschichte und geraten in Vergessenheit.“
Dass die türkischen Faschisten und ihre Waffenbrüder in Washington unendlich viele Anstrengungen unternehmen, genau diese Genossinnen und Genossen auszulöschen, liegt daran, dass sie wissen, dass eine Bewegung nicht zu schlagen ist, solange sie Genossen wie Heval Zekî hat. Deshalb verfolgen sie sie mit solchem Hass.
Gefallene sterben nicht
Die gezielten Mordanschläge auf Kader, insbesondere auf diejenigen, die persönlich von Abdullah Öcalan ausgebildet wurden, dienen dazu, die Revolution „in den Tiefen der Geschichte“ verschwinden und in Vergessenheit geraten zu lassen. Doch das Andenken Mam Zekîs zeigt auch: Dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt. Zehntausende Menschen – Frauen, Männer, Kinder und ältere Menschen – gingen nach dem 15. August 2018 auf die Straße, nahmen an Gedenkfeierlichkeiten teil und teilten miteinander die Geschichten über das Leben des Revolutionärs. Abertausende riefen „Şehid namirin“, Gefallene sterben nicht.
„Du kannst einen Revolutionär töten, aber nicht die Revolution“, sagte der Black-Panthers-Aktivist Fred Hampton einst. Das Erinnern an Heval Zekî und die Gefallenen des Kampfes um demokratischen Sozialismus im Mittleren Osten zeigt die Wahrheit dieses Satzes. Denn für jeden Heval Zekî, der im Kampf fällt, machen sich dutzende andere auf jenen Weg, den er vorangegangen ist.