Wan: Türkische Armee schießt auf Fahrzeug mit Flüchtlingen - UPDATE

Die türkische Armee hat in Wan auf einen Kleinbus mit afghanischen Flüchtlingen geschossen und dabei ein vierjähriges Kind getötet. Dreizehn weitere Menschen wurden verletzt.

Die türkische Armee hat in der nordkurdischen Provinz Wan auf einen Kleinbus mit Flüchtlingen geschossen und ein vierjähriges Kind getötet. Mindestens dreizehn weitere Schutzsuchende wurden verletzt, einige von ihnen schwer. Unter ihnen seien auch eine schwangere Frau und mehrere Minderjährige, heißt es.

Das Fahrzeug soll nach Angaben von Zeug:innen am Sonntagnachmittag über die Grenze zu Iran gekommen und im Kreis Mehmûdî (tr. Saray) ins Schussfeld türkischer Sicherheitskräfte geraten sein. Die Gendarmerie (Militärpolizei) hätte den Wagen anhalten wollen, doch der Fahrer sei weitergefahren und habe eine Straßensperre durchbrochen. Daraufhin eröffneten neben Soldaten auch sogenannte Dorfschützer das Feuer auf den Kleinbus. Das äußerten Bewohner:innen des Wohnviertels Karahisar, die den Vorfall beobachteten und Videoaufnahmen anfertigten. 

Insgesamt befanden sich 22 Geflüchtete in dem Wagen, eigenen Angaben nach kommen sie aus Afghanistan. Die Verletzten wurden am Ort des Geschehens erstversorgt und anschließend in das staatliche Krankenhaus im Kreis Qerqelî (Özalp) gebracht, auch der Leichnam des getöteten Kindes wird dort aufbewahrt. Der von der Regierung ernannte Gouverneur für Wan gab am späten Sonntagabend eine erste Stellungnahme heraus und teilte mit, dass Ermittlungen zum Tathergang eingeleitet worden seien. Außerdem laufe eine provinzweite Fahndung nach dem flüchtigen Fahrer und dem Schlepper der Geflüchteten. 

Zunächst hatte es noch geheißen, dass drei Geflüchtete durch Schüsse des Militärs bei dem Vorfall getötet worden seien. Offiziellen Angaben zufolge handele es sich bei zwei der zunächt als tot gegoltenen Opfer um Schwerverletzte.

IHD: Mindestens 160 Geflüchtete in drei Jahren in Wan gestorben

Wan grenzt direkt an Ostkurdistan (Iran) und ist der erste Anlaufpunkt auf türkischem Staatsgebiet für Menschen, die vor Kriegen, Hunger sowie Armut im Mittleren Osten und Asien nach Europa fliehen wollen. Im Durchschnitt kommen täglich zwischen 1000 und 1500 Menschen aus Afghanistan, Iran, Irak und Mittelasien nach Wan.

Um die „illegale Einwanderung“ zu verhindern, hat die Türkei mit EU-Mitteln eine hochmilitarisierte Mauer an ihrer Grenze zu Iran hochziehen lassen, die Migrant:innen auf immer gefährlichere Routen durchs Hochgebirge treibt. In der Provinz spielen sich laufend Flüchtlingsdramen ab: Menschen auf der Flucht erfrieren im Grenzgebiet, andere kommen bei Verkehrsunfällen in überfüllten Fahrzeugen ums Leben. Nach der Schneeschmelze im Frühjahr kommen die Leichen Erfrorener zum Vorschein.

Nach Angaben der Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD sind zwischen 2019 und 2021 mindestens 160 Flüchtlinge in Wan ums Leben gekommen. Rund ein Drittel der Opfer sei im Grenzgebiet erfroren, weitere 68 Menschen sind im Wan-See ertrunken. Außerdem kamen 42 Schutzsuchende bei Verkehrsunfällen ums Leben  - in der Regel infolge von Hetzjagden mit türkischen Sicherheitskräften. In einem Fall war ein Schuss aus der Waffe eines Soldaten verantwortlich für den Tod eines Geflüchteten.

3. Juli 2022, 20:49​ Diese Meldung wird aktualisiert, sobald weitere Informationen vorliegen