Wahlbeobachtung und britische Terrorismusbekämpfung

Vala Francis hat mit einer Delegation die Wahlen in der Türkei beobachtet. Bei der Rückkehr nach London wurde sie von der Anti-Terror-Polizei festgenommen und gefragt, ob sie PKK-Mitglieder getroffen habe und was sie von Abdullah Öcalan halte.

Als Mitglied einer internationalen Beobachtungsdelegation für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 14. und 28. Mai reiste ich in die südöstlichen Regionen der Türkei, nach Nordkurdistan. Ich beobachtete die Wahlen zusammen mit Parlamentarier:innen, Aktivist:innen, Anwält:innen, Akademiker:innen, Student:innen und Gewerkschaftsvertreter:innen aus Schottland, England, Deutschland und der Schweiz.

Auf dem Rückflug nach London wurde ich von der Anti-Terror-Polizei festgenommen und drei Stunden lang auf der Grundlage von Sondergesetzen verhört, die im Gegensatz zu allen anderen Verhörbedingungen kein Recht auf Schweigen vorsehen. Nach Schedule 7 des Terrorism Act 2000 hat die Polizei das Recht, Passwörter für jede Art von Technologie zu erhalten, andernfalls kann die festgenommene Person mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden. Mein Telefon und mein Laptop wurden zur Analyse beschlagnahmt. Nach dem Verhör tauchte der MI5 auf, um auf „freiwilliger Basis" Informationen zu sammeln.

Was also hat die britische Terrorismusbekämpfung mit der internationalen Beobachtung zu tun, ob die Wahlen in der Türkei frei und fair sind?

Wir haben wochenlang den Wahlkampf der Grünen Linkspartei (YSP - Yeşil Sol Parti) verfolgt, der neuen Parlamentspartei mit kurdischer Mehrheit, die die Demokratische Partei der Völker (HDP - Halkların Demokratik Partisi) abgelöst hat. Gegen die HDP läuft ein Verbotsverfahren vor der türkischen Justiz, und Tausende ihrer Mitglieder befinden sich im Gefängnis. Die YSP fordert Rechte für Frauen, eine Demokratisierung aller Gesellschaftsschichten, den Schutz von Minderheitensprachen und -kulturen sowie eine ökologische Schwerpunktsetzung. Ihre Politik ist kritisch gegenüber dem Rechtsruck der Regierung, der Durchsetzung des religiösen Konservatismus und der intensiven Kriegspolitik.

Wir fuhren in Konvois in ländliche Dörfer, nahmen an Hochzeiten teil und tanzten mit den Familien traditionellen Govend, nahmen an Veranstaltungen zu Sprach- und Kulturrechten teil und besuchten Fabriken und Geschäfte. Auf dem Land strömten die Kinder aus den Häusern, liefen neben den Autos her und bettelten um die bunten YSP-Fahnen. Männer saßen auf Traktoren und Frauen hoben von Balkonen aus ihre Hände, um das „Siegeszeichen" zu machen, das als regionales Symbol des Widerstands gegen den Kolonialismus berühmt ist.

Nichts war frei vor den Wahlen“

Ceylan Akça Cupolo, YSP-Abgeordnete im türkischen Parlament, sagte uns: „Wahlen sind nicht nur die Tage der Stimmabgabe, auch alles, was davor passiert, gehört dazu. Und davon war nichts frei." Es wurde eine intensive Propagandakampagne durchgeführt - laut der türkischen Medienbeobachtung hatte Erdoğan fast 33 Stunden Sendezeit im wichtigsten staatlichen Fernsehkanal, während Kılıçdaroğlu nur 32 Minuten zu sehen war. Hinzu kommen das Schließungsverfahren gegen die HDP - der zweitgrößten Oppositionspartei - und die Beschlagnahmung ihrer Gelder, die ständigen Verhaftungswellen und die permanente Einschüchterung durch das Militär.

Am Tag nach meiner Ankunft in Amed (tr. Diyarbakır) wurden bei bewaffneten Razzien im Morgengrauen landesweit mehr als 130 Menschen verhaftet. Es handelte sich vor allem um Anwält:innen, Journalist:innen, Akademiker:innen, Künstler:innen, die die kurdische Kultur verbreiten, und Wahlkampfhelfer:innen. Das Zentralbüro der Yeşil Sol Parti war voller Widerstandsenergie; das routinemäßige Programm von Wahlkampfveranstaltungen in Fabriken und Geschäften der Stadt wurde aufgrund der aktuellen Situation abgesagt. Für 13 Uhr war eine Kundgebung in der Nachbarschaft geplant, um die politisch motivierten Verhaftungen zu verurteilen.

Ich ging mit örtlichen Parteimitgliedern zum Kundgebungsplatz, der vorsorglich von Bereitschaftspolizei und Fahrzeugen der öffentlichen Ordnung umstellt war, die in den Seitenstraßen lauerten. Die Polizei versuchte, die Kundgebung zu verhindern, dann erlaubte sie sie; wir liefen los, dann wurden wir von den Reihen der Schutzschilde aufgehalten. Dann wurde uns wieder erlaubt zu marschieren, und dann wurden wir gestoppt; dies wiederholte sich alle paar Meter, wobei die Menge jedes Mal von Sicherheitskräften zersplittert und Gruppen von Menschen eingekreist wurden.

Medien sollen durch Repression handlungsunfähig gemacht werden

Gülşen Koçuk von dem unabhängigen Medienunternehmen JinNews, das ausschließlich von Frauen betrieben wird, sagte in Bezug auf die Kriminalisierung der kurdischen Medien und die Pressefreiheit: „Die herrschende Regierung hat nie unsere Nachrichten oder das, was wir gesagt haben, geleugnet - aber was sie ablehnen oder worauf sie reagieren, ist die Tatsache, dass wir die Nachrichten überhaupt machen. Sie sind gegen alle, die ihre Meinung sagen." Sie fuhr fort: „Sie nehmen alles mit - sogar die Mäuse für die Computer. Als meine Kolleginnen die Polizei fragten, warum sie das taten, antwortete ein Polizist: „Nun, wir versuchen nur, euch am Arbeiten zu hindern."

Eine ähnliche Art der polizeilichen Überwachung fand während einer Veranstaltung zum Tag der Sprache und Kultur der Frauen statt, an der wir teilnahmen. Dutzende von Frauen in traditioneller Kleidung wurden daran gehindert, Schilder und Plakate zu tragen, die den Schutz und die Achtung der kurdischen Sprache forderten, oder Slogans oder Wellenbewegungen zu machen, und sie wurden daran gehindert, die Straße entlang zu laufen.

Einheimische erzählten mir, dass einer der Hauptgründe, warum die Kurd:innen für Kılıçdaroğlu gestimmt haben, in der Hoffnung lag, dass seine Präsidentschaft den fast zehntausend kurdischen politischen Gefangenen etwas Gnade bringen würde. Eine Vereinbarung zwischen HDP und CHP vor den Wahlen versprach die Freilassung zumindest einiger der Gefangenen im Austausch für die Unterstützung von Kılıçdaroğlus Präsidentschaftskampagne. Ceylan Akça sagte, dass die Masseninhaftierung „nicht nur die Menschen im Gefängnis isoliert, sondern auch die politischen Ideen, an die sie glauben".

Von Grab zu Grab, von Geschichte zu Geschichte

Die britische Delegation reiste in die Provinz Colemêrg (Hakkari), ein Gebiet in Kurdistan, das von den schneebedeckten Bergen des südöstlichen Taurusgebirges an der Schnittstelle zwischen der Türkei, dem Iran und dem Irak umschlossen wird. Am Tag vor der ersten Wahl zog es mich zu einer Gruppe von Frauen im Büro der Yeşil Sol Parti in Gever (Yüksekova), einige der einzigen Frauen in dem Raum mit mindestens hundert Personen.

Eine Frau ergriff meine Hand und begann mir von ihrem Sohn zu erzählen, der von den türkischen Sicherheitskräften getötet wurde. Mir wurde klar, dass es sich bei diesen Frauen, deren Gesichter die Umrisse makelloser weißer Schals zierten, wahrscheinlich um Friedensmütter handelte - eine lokale Ortsgruppe einer landesweiten Organisation von Frauen und Familienmitgliedern, die sich für Frieden und eine gerichtliche Rechenschaftspflicht einsetzen, nachdem ihre Kinder, Ehemänner oder Geschwister von Sicherheitskräften oder konterrevolutionären Gruppen wie der Hizbullah getötet wurden.

Die Mütter nahmen den Vorschlag an, dass wir ihren Angehörigen die letzte Ehre erweisen. Nach einer kurzen Fahrt im Minibus zum Friedhof gingen wir von Grab zu Grab, von Geschichte zu Geschichte. Viele Grabsteine lagen in Scherben, eine Praxis zur „Bestrafung der Toten" - aber auch ihrer Familien. Die Frauen erzählten uns: „Die Polizei kommt hierher und zerstört alles, auf dem steht, wer die Verstorbenen sind. Wir ersetzen die Steine jedes Mal, aber sie kommen wieder und zertrümmern sie."

Einige der Begrabenen waren Guerillakämpfer:innen aus anderen Teilen Kurdistans, deren Leichen vom iranischen Staat nicht akzeptiert wurden oder die nicht mit ihren Familien in Syrien zusammengeführt werden konnten. Andere waren einfach unbewaffnete Zivilist:innen, die in Gever nach Hause gingen. Einige waren Jugendliche, die während der Städtekriege 2015-16 zu den Waffen griffen, als die städtische Revolte junger politischer Kurd:innen durch die militärische Belagerung mehrerer Städte und Ortschaften im Südosten der Türkei, darunter auch Gever, niedergeschlagen wurde. Viele von ihnen hatten vor ihrem Tod brutale Folter erlitten. Unabhängig von ihrer Herkunft „sind sie alle unsere Kinder, und wir sind alle ihre Mütter", sagte uns eine junge Frau. Wir waren feierlich gestimmt - nur einen Tag vor der Wahl wurde die Verantwortung, die das Ergebnis für die Eröffnung von Möglichkeiten der Gerechtigkeit hatte, deutlich herausgestellt.

Die Stimmung in der Region war düster

Nach dem ersten Wahltag trudelten die ganze Nacht lang die Ergebnisse ein, und die Tatsache, dass keiner der beiden Kandidaten die absolute Mehrheit erreicht hatte, hing wie eine Last über der Stadt. In der kühlen Nachtluft skandierte eine Menschenmenge auf den Straßen Slogans gegen staatliche Tyrannei.

Die Yeşil Sol Parti gewann drei der drei Parlamentssitze in Colemêrg, obwohl Hunderte von überzähligen und unbekannten Militärangehörigen die Wahllokale in den ländlichen Gebieten benutzten, was wir aus erster Hand miterlebten. Das dritte Mandat wurde angefochten und von der AKP beansprucht, es blieb jedoch schließlich bei der YSP.

Nach Erdoğans klarem Vorsprung vor Kılıçdaroğlu in der ersten Runde schien der Glaube an einen Wechsel des Präsidenten erloschen zu sein. Die Stimmung in der Region war düster. Während die Mitglieder der örtlichen Parteiverbände weiter Wahlkampf machten, sagte mir ein Taxifahrer: „Ich hoffe, dass Erdoğan besiegt wird, aber ich glaube nicht daran." Das sollte ich in den kommenden Wochen noch häufig hören.

Tausende von Stimmen wurden falschen Parteien zugeordnet, was zu einem enormen Nachzählungsprozess führte. In Amed wurden mehrere Beispiele dafür gefunden, dass Hunderte YSP-Stimmen der rechtsextremen, ultranationalistischen MHP zugeordnet wurden.

Fegefeuer vom 14. bis 28. Mai

Am 22. Mai sagte Innenminister Süleyman Soylu auf einer Konferenz der Sicherheitskräfte, dass „die Anwälte das Ziel sein sollten", weil sie „die ganze Aufwiegelung", insbesondere von den Gefängnissen nach draußen, tragen. Die Türkei ist nach wie vor einer der größten Gefangenenhalter von Journalist:innen weltweit. Weltweite Statistiken über die Inhaftierung von Anwält:innen sind nicht verfügbar, aber die Initiative für verhaftete oder angeklagte Jurist:innen und Menschenrechtsverteidiger:innen gibt an, dass „seit 2016 in der Türkei 551 Anwältinnen und Anwälte zu 3356 Jahren Gefängnis wegen terrorismusbezogener Anschuldigungen verurteilt wurden, meist wegen Mitgliedschaft in terroristischen Organisationen".

Zeki Baran, Ko-Vertreter des Solidaritätsbündnisses TUHAD-FED für politische Gefangene, bezeichnete die Repression als „ein ernstes Problem im Hinblick auf die demokratische Meinungsäußerung - sie schafft erfolgreich eine Atmosphäre der Angst und erfüllt ihren Zweck, indem sie die Menschen zum Schweigen bringt. Es ist eher ein psychologischer Krieg als ein physischer Krieg“.

In den fünf Tagen vor der Präsidentenstichwahl wurden 182 Personen verhaftet - zumeist bei Razzien in der Morgendämmerung - überwiegend unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung im Zusammenhang mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), wie bei fast allen anderen politischen Verhaftungen kurdischer Personen. Viele der Verhafteten arbeiteten direkt mit der Yeşil Sol Parti zusammen, darunter Ayşe Karagöz, die in der ersten Wahlrunde für das Parlament kandidiert hatte.

Am 29. Mai wurden Dutzende Häuser in Gever von Sondereinsatzkommandos der Polizei durchsucht, die bei der Verhaftung einer Reihe von Lokalpolitiker:innen mindestens einen Mann krankenhausreif schlugen.

Gewalt bei der Präsidentenstichwahl

Am Tag der zweiten Wahl selbst berichteten uns Quellen, dass Beobachter:innen, die rechtmäßig den Wahllokalen zugewiesen waren, in mehreren Orten nicht in ihren Arbeitsbereich gelassen wurden. In Riha (Urfa) wurden zwei Parlamentsabgeordnete von der YSP und CHP von AKP-Mitgliedern körperlich angegriffen. Einer der Abgeordneten war Ferit Şenyaşar, dessen Angehörige vor fünf Jahren von einem AKP-Abgeordneten und seinen Familienmitgliedern in ihrem eigenen Geschäft und im Krankenhaus ermordet worden waren. Der CHP-Abgeordnete wandte sich gegen die Praxis der „Massenabstimmung", bei der Frauen von ihren Ehemännern und männlichen Verwandten nicht erlaubt wurde, für sich selbst zu stimmen, und bei der Stammesführer im Namen anderer abstimmten.

Im Bezirk Rêzan (Bağlar) in Amed, wo wir mehrere Wahllokale aufsuchten, wurde eine Frau von einem Hizbullah-Mann angegriffen, weil sie keinen Hidschab trug. Berichten zufolge wurde in Nisêbîn (Nusaybin) ein Freiwilliger angegriffen und verlor ein Auge, nachdem er von AKP-Anhängern angeschossen wurde.

Ich fühle mich nicht besiegt"

Beim ersten öffentlichen Auftritt nach seinem Wahlsieg ermutigte Erdoğan seine jubelnden Anhänger:innen, „Tod dem Selahattin Demirtaş" zu skandieren - dem inhaftierten ehemaligen Ko-Vorsitzenden der HDP, der laut zwei Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte freigelassen werden sollte, aber weiterhin inhaftiert ist. Kurdenfeindlichkeit ist ein Kernelement der autokratischen nationalistischen Plattform. Der Staat versucht, führende Persönlichkeiten sowohl physisch als auch symbolisch zu vernichten - sei es durch direkte Ermordung, wie es im Nordosten Syriens an der Tagesordnung ist, oder durch den symbolischen Tod durch das Isolationsregime des Gefängnissystems. Wir können dies als Teil der Strategie des Staates sehen, die Verwirklichung der Wünsche des Volkes nach einer demokratischen Organisationsmethode nahezu unmöglich zu machen.

„Ich fühle mich nicht besiegt", sagte uns die in Amed zur Parlamentsabgeordneten gewählte YSP-Politikerin Ceylan Akça Cupolo. „Alle hier haben Gerichtsverfahren - sie haben mindestens sechs Jahre Gefängnis über ihrem Kopf baumeln, und doch kommen sie immer noch und arbeiten. Und wir werden sicherstellen, dass wir alles, was wir in den letzten zwei Jahrzehnten und in der Zeit davor erreicht haben, schützen und verteidigen werden - wir werden daran festhalten und darauf aufbauen. Ich bin nicht hoffnungslos."

Zweiter Teil: Die britische Komplizenschaft bei der Unterdrückung