Sabri Ok: Vertraut Euch selbst – und Rêber Apo
Im Spannungsfeld zwischen Neuausrichtung und fortdauerndem Widerstand plädiert Sabri Ok für ein radikales Vertrauen in Abdullah Öcalan und die transformative Kraft der kurdischen Bewegung.
Im Spannungsfeld zwischen Neuausrichtung und fortdauerndem Widerstand plädiert Sabri Ok für ein radikales Vertrauen in Abdullah Öcalan und die transformative Kraft der kurdischen Bewegung.
Mit eindringlichen Worten skizzierte Sabri Ok, Mitglied des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), während des 12. Kongresses der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) eine strategische Neuausrichtung der kurdischen Befreiungsbewegung. In seiner Rede würdigte er die verstorbenen Mitstreiter:innen der Revolution, insbesondere Ali Haydar Kaytan und Rıza Altun, und leitete daraus eine tiefgehende Reflexion über die gegenwärtige Lage, die historische Rolle der PKK sowie die Denk- und Handlungsweise Abdullah Öcalans ab.
Die historische Bedeutung der PKK
„Die Auflösung der PKK sollte nicht als Verlust, sondern als Weiterentwicklung verstanden werden“, betonte Ok. Abdullah Öcalan habe diesen Schritt als bewusste Entscheidung im Rahmen seiner politischen und strategischen Vision getroffen. Trotz aller Debatten unterstrich Öcalan, dass die Auflösung der PKK ein notwendiger Schritt sei. Die PKK könne auf eine 52-jährige Geschichte zurückblicken, deren Einfluss und Erfahrungswert nicht nur regional, sondern auch global von Bedeutung seien. Laut Ok übersteige die Substanz der PKK die Summe der historischen Erfahrungen weltweit: „Diese Bewegung hat Werte hervorgebracht, die nicht nur für die kurdische Gesellschaft, sondern für die gesamte Menschheitsgeschichte relevant sind. Die PKK ist weniger eine Organisation als vielmehr ein ethischer, geistiger und existenzieller Ausdruck, verkörpert durch Öcalan selbst.“
Die Notwendigkeit eines demokratischen Gesellschaftsgeistes
Ok beschrieb Abdullah Öcalan als eine historische Persönlichkeit, wie sie nur selten – vielleicht einmal pro Jahrhundert – in Erscheinung tritt. Solche Persönlichkeiten würden häufig erst spät anerkannt; ihre wahre Bedeutung erschließe sich oftmals erst nach Jahrzehnten. Öcalan habe im Gegensatz zu anderen Führungspersönlichkeiten oder gar Propheten bereits zu Lebzeiten ein weltweit beachtetes Profil entwickelt. Der politische Wandel vom 20. zum 21. Jahrhundert sei von keinem anderen Akteur so aktiv mitgestaltet worden wie von Öcalan. „Die heutige Welt bietet keine vergleichbare Organisation mehr, die dem Widerstand und dem politischen Anspruch der PKK gleichkommt. Rêber Apo strebt nun an, den Weg in eine neue Epoche zu öffnen – durch den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft und eines demokratischen Miteinanders. Um diesem historischen Prozess gerecht zu werden, ist es unerlässlich, dessen Geist zu erfassen und entsprechende Antworten zu entwickeln“, so Ok.
Öcalans strategisches Denken als Lebenspraxis
Sabri Ok erinnerte daran, dass die PKK einst vehement für einen unabhängigen kurdischen Nationalstaat eintrat – gar für ein vereinigtes Kurdistan. Öcalan verfolge jedoch längst keinen nationalstaatlichen Ansatz mehr. „Stattdessen richtet er seinen Blick auf die Schaffung einer Freiheitsperspektive für das kurdische Volk in allen vier Teilen Kurdistans“, betonte Ok. Seine politische Philosophie sei kontextualisiert und richte sich stets an den historischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten aus. Die von ihm entwickelten Begriffe wie „Demokratischer Gesellschaftssozialismus“ seien konzeptionelle Neuschöpfungen, die weit über die kurdische Bewegung hinaus Bedeutung hätten. „Diese Begriffe stehen nicht nur im Gegensatz zur marxistischen Orthodoxie, sondern bieten eine originäre Alternative, die auch weltweit Anklang finden kann. Rêber Apos strategisches Denken sollte deshalb nicht nur verstanden, sondern im Alltag gelebt werden. Dies erfordert eine tiefgehende Selbstreflexion und eine Neudefinition des eigenen Selbstbildes.“
Die Abwesenheit einer vermittelnden dritten Kraft
Ein weiterer zentraler Punkt in Oks Analyse war das Fehlen einer „dritten Kraft“, die in klassischen Konflikten häufig als vermittelnde Instanz auftritt. In der kurdischen Frage jedoch existiere keine solche überparteiliche Autorität. Trotz eigener Handlungsspielräume und Initiative lägen bestimmte Entwicklungen jenseits der Kontrolle der Bewegung. Sollte die türkische Regierung weiterhin auf militärische Konfrontation setzen, müsse auch dieses Szenario realistisch in Betracht gezogen werden. „Die besondere Form des Konflikts, wie ihn das kurdische Volk erlebt, ist in dieser Form beispiellos. Ein Wissenschaftler hatte einst festgestellt, dass die von der PKK entwickelten Lösungsansätze für den bewaffneten Konflikt weltweit einzigartig sind – gerade weil sie ohne externe Vermittlung auskommen mussten. Rêber Apo ist sich der Ursachen für das Fehlen dieser dritten Kraft bewusst.“
Vertrauen in sich selbst und in Öcalan
Sabri Ok schloss seine Ausführungen mit einem eindringlichen Appell an das Selbstvertrauen der Bewegung: Die Komplexität der politischen Realität in der Türkei, die Unentschlossenheit des Staates und das revolutionäre Potenzial Öcalans erforderten eine neue Qualität des Bewusstseins, der Moral und des Widerstands. „In Anbetracht des historischen Moments ist es die Pflicht aller, sich mit Entschlossenheit dem neuen Prozess zuzuwenden“, sagte Ok und rief dazu auf, sich selbst und Abdullah Öcalan zu vertrauen. Zugleich betonte er: „Es muss ebenfalls erkannt werden: Wir befinden uns in einem Krieg. Es ist unvorhersehbar, wann, wo und was geschehen wird. Unsere Reaktionen, unsere Lebensweise und unser gesamtes Engagement müssen stets auf diese Realität ausgerichtet sein.“