PKK-Prozess: Norman Paech soll als Sachverständiger aussagen

Im Prozess gegen den kurdischen Aktivisten Mustafa (Amed) Çelik in Hamburg will die Verteidigung durch ein Sachverständigengutachten klären lassen, dass der Konflikt zwischen der Türkei und der PKK unter das Völkerrecht fällt.

Im §129a/b-Prozess gegen den kurdischen Aktivisten Mustafa (Amed) Çelik vor dem OLG Hamburg muss über die Frage entschieden werden, ob es sich bei dem Konflikt zwischen der Türkei und der PKK um einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts handelt. Das will die Verteidigung durch ein Sachverständigengutachten klären lassen und hat beantragt, den Hamburger Völkerrechtsexperten Norman Paech damit zu beauftragen. Ob das Gericht den Antrag annimmt, wird sich bei der nächsten Hauptverhandlung am 7. September herausstellen.

Das Gutachten soll den Strafsenat zu der rechtlichen Schlussfolgerung kommen lassen, dass „Handlungen der Volksverteidigungskräfte HPG keine rechtlich zulässigen Bezugstaten für eine strafrechtliche Verfolgung des Angeklagten“ nach § 129b des Strafgesetzbuches darstellen.

Professor Norman Paech war von 1968 bis 1972 tätig im Bundesministerium für Wirtschaftliche Entwicklung in Bonn, 1972 bis 1974 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle der Vereinigung deutscher Wissenschaftler (VDW) in Hamburg, 1975 bis 1982 Professor für Politische Wissenschaft an der Einstufigen Juristenausbildung der Universität Hamburg, 1982 bis 2003 für öffentliches Recht an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg.

Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen zu völkerrechtlichen Fragen und war im März 2018 beteiligt beim Tribunal gegen die türkische Staatsführung in Paris. Er befasst sich seit Jahren intensiv mit dem kurdisch-türkischen Konflikt, besuchte mehrfach Kurdistan und führte dabei unter anderem Gespräche mit dem KCK-Vorsitzenden Cemil Bayik.

Friedensbemühungen einseitig beendet

Als Sachverständiger im Hamburger PKK-Prozess soll Paech darlegen, dass ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt eine Konfrontation ist zwischen staatlichen regulären bewaffneten Streitkräften einerseits und erkennbaren bewaffneten Gruppen andererseits, die auf dem Territorium des Staates gegeneinander kämpfen. Eine Legaldefinition eines bewaffneten nicht-internationalen Konflikts existiert nicht. In den Genfer Konventionen wird lediglich von „Parteien" eines bewaffneten Konfliktes gesprochen, ohne diese genauer zu bestimmen. Für das Vorliegen eines „bewaffneten Konflikts" ist eine gewisse Intensität erforderlich, also der Einsatz von bewaffneten (Streit-)kräften. Einzelne Scharmützel oder Attacken sind nicht davon umfasst. Auch die Eroberung von Staatsgebiet gehört nicht zu den Voraussetzungen.

Trotz der Friedensverhandlungen 2013 begann die Türkei bereits unmittelbar nach den Kobanê-Aufständen vom 6. und 7. Oktober 2014 mit der Planung der Fortsetzung bzw. Wiederaufnahme des Krieges und wies Militär und Polizei an, Vorkehrungen zu treffen. Dies war offensichtlich eine Reaktion auf die Entwicklungen in Rojava und Kobanê. Nachdem der Waffenstillstand und die Friedensbemühungen einseitig vom türkischen Staat beendet wurden, wurde der bewaffnete Konflikt ab Juli 2015 fortgesetzt. Mit Beginn der breit angelegten Militäroperationen seit 24. Juli 2015 hat der bewaffnete Konflikt auf mehreren Ebenen eine neue Dimension erreicht.

Die Verteidiger von Mustafa Çelik gehen in ihrem Antrag ausführlich auf die Ausgangssperren in kurdischen Städten in den Jahren 2015/2016 ein, von denen mindestens 1,3 Millionen Menschen betroffen waren. Es kam zu zahlreichen Toten, Enteignungen, Vertreibungen und der Zerstörung von Kulturgütern.

Digitalisierung des Konflikts

Weiter heißt es in dem Antrag zur „Digitalisierung des Konflikts“:

Der aktuelle bewaffnete Konflikt hat im Vergleich zu dem der 1990er Jahre eine neue „Qualität“ erreicht. Früher hat der türkische Staat ebenfalls Kriegsverbrechen begangen, aber stets darauf geachtet, nicht als Täter identifiziert zu werden. Heute lässt er Kriegsverbrechen begehen, dokumentiert seine Taten und macht sie selbst publik. Fotos von entkleideten Frauen werden als Beutezeichen und Verunglimpfung gepostet. Dieses Vorgehen erinnert sehr stark an die Praxis des Islamischen Staates, der ebenfalls seine Gräueltaten zum Zwecke der Propaganda verbreitet. Die Menschen sollen durch geschürte Ängste eingeschüchtert und zur Kapitulation bewegt werden.
Auch die Parolen, die von den operierenden Soldaten, Polizisten und Spezialeinheiten an den Wänden hinterlassen werden, sind ausreichendes Indiz für die Motivation des Staates zu diesem Krieg: „Wenn du Türke bist, sei stolz, wenn nicht, diene!“, „Die Kraft Allahs ist allmächtig! Ihr werdet die Kraft der Türken schon sehen!“ (unterzeichnet mit „Esadullah-Tim“, arab. für „Löwen Allahs“), oder ein Bild mit einem bewaffneten Angehörigen einer Spezialeinheit, der in einer Schulklasse vor einer Schreibtafel posiert, auf der zu lesen ist: „Wir sind an der Reihe, euch zu lehren!“ (unterschrieben mit J.Ö.H., Spezialeinheit der Gendarmerie).

Internationale Konfliktforschung

In dem Antrag werden Statistiken des Menschenrechtsvereins IHD aufgeführt und es wird festgestellt: „Dass es sich bei den Auseinandersetzungen zwischen den Volksverteidigungskräften HPG bzw. der ARGK und ihrer Vorgängerorganisation um eine Auseinandersetzung handelt, die von beiden Seiten mit hoher Dichte, Intensität und organisierter militärischer Gewalt geführt wird, entspricht auch dem Forschungsstand der internationalen Konfliktforschung. Beispielhaft sei das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) der Politikwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Heidelberg zitiert.

Das Konfliktbarometer des HIIK für das Jahr 2015 stellt fest, dass der Konflikt zwischen der PKK und der türkischen Regierung im Vergleich zu 2014 (während des Waffenstillstands) seit Mitte 2015 zum Krieg eskalierte. Bis zum Jahresende 2015 geht das Institut von mindestens 2057 Toten und mehr als 100.000 Vertriebenen aus.

Das Heidelberger Institut für Konfliktforschung hat den türkisch-kurdischen Konflikt unter Einbeziehung der PKK in den Jahren 1995, 1996, 1997, 1998, 1999, 2008 als Krieg (Intensitätsstufe 4 = Maximum der seinerzeitigen Bewertungen und in den Jahren 2000 und 2001 als ernste Krise (Intensitätsstufe 3 = Spannungen mit Androhung und zeitweiligem Einsatz von Gewalt) bewertet. Im Jahr 2002 bewertete das HIIK die vorübergehende Deeskalation als Krise im Vorfeld eines militärischen Konflikts (Stufe 2). Im Jahr 2003 gab es wieder eine Intensivierung auf Stufe 3, ebenso 2004 erneut Stufe 3 (über 100 Tote bei Attentaten und bewaffneten Auseinandersetzungen), im Jahr 2005 Heraufstufung auf Stufe 4 (Stufe 4 der neueren Zählweise: ernste Krise mit wiederholter Gewaltanwendung, s. oben) bei über 100 Toten bei Angriffen und Kämpfen zwischen PKK-Guerillas und türkischen Sicherheitskräften, ebenso 2006 (militärische Auseinandersetzungen und grenzüberschreitenden Militäroperationen). 2010 wurde der Konflikt auf Stufe 4 und als highly violent eingeordnet, 2011 als Krieg und auf Stufe 5 hochgestuft und verblieb dort auch 2012.“

Mit Terrorismus nichts zu tun

Zusammenfassen wird der Sachverständige laut Antrag der Verteidigung: „Wenn auch noch viele Frage zur völkerrechtlichen Behandlung des Terrorismus und seiner strafrechtlichen Verfolgung offen sind, so ist es heute jedoch zweifelsfrei, dass die Anwendung von Gewalt seitens nationaler Befreiungsbewegungen, soweit sie sich in den Grenzen des humanitären Völkerrechts der Haager und Genfer Konventionen hält, erlaubt ist und mit Terrorismus nichts zu tun hat.“

Fortsetzungstermine

Im Prozess gegen Mustafa Çelik sind folgende Fortsetzungstermine anberaumt: 7. September um 10 Uhr, 14., 15., 16., 23. und 24. September.