Neuer Libyen-Plan trägt die Unterschrift von Hakan Fidan

Der türkische Geheimdienstchef Hakan Fidan hat Anfang Mai Libyen besucht. Danach kam es zu einer Reihe ungeklärter Vorfälle, die an die Inszenierungen erinnern, mit denen die Türkei ihre Besatzungsangriffe auf Nordsyrien begründet hat.

In Libyen laufen die Dinge nicht nach den Wünschen des türkischen Staats. Die Strukturen der Muslimbruderschaft, in die das AKP/MHP-Regime seine Hoffnungen setzt, zeigen gegenüber General Chalifa Haftar nicht die gewünschte Performance. Da der Söldner-Transfer aus Syrien nach Libyen, die Entsendung türkischer Soldaten, die nachrichtendienstliche Unterstützung und das Doping mit verschiedensten Waffen und Militärgütern nicht zu den gewollten Ergebnissen führen, prüft der türkische Staat die Möglichkeit einer direkten Intervention.

Die Entwicklungen der letzten beiden Wochen

In den letzten beiden Wochen hat sich viel ereignet: Die vom türkischen Staat organisierten Großangriffe auf die 65 Kilometer östlich von Tripolis gelegene Stadt Tarhuna und die Airbase Watiya sind ins Leere gelaufen. Die EU hat die Mission IRINI gestartet, um das Waffenembargo für Libyen zu überwachen, die berüchtigte libysche Küstenwache auszubilden und Flüchtlinge abzuwehren. Der Transfer von Dschihadisten aus Syrien hat zugenommen. Der türkische Geheimdienstchef Hakan Fidan hat Libyen besucht. Der Geheimdienstchef der von der Türkei unterstützten Sarradsch-Regierung ist in Tripolis ermordet worden. Nachdem Khalid al-Sharif, ein vom türkischen Staat nach Tripolis entsandtes Al-Qaida-Mitglied, das Militärkommando übernommen hat, ist es in der Stadt zu Raketenangriffen gekommen. Und die Türkei hat General Haftar zum „legitimen Ziel“ erklärt.

Syrien-Szenario in Libyen

Die Entwicklungen in Libyen erinnern an die Aussage von MIT-Chef Hakan Fidan auf einer Sitzung im Jahr 2014, als es darum ging, die Voraussetzungen für eine Besatzung Syriens zu schaffen: „Als Begründung schicke ich vier Männer auf die andere Seite und lasse sie acht Raketen in leeres Gebiet abschießen.“

Wenn wir den Film zurückspulen, um die Entwicklungen in Libyen und den Besuch von Hakan Fidan deutlicher sehen zu können, entsteht ein genaueres Bild von den Zielen des türkischen Staates.

Die Entwicklungen im vergangenen Monat in Libyen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

„Vulkan der Wut“ des türkischen Staates

In einer Zeit, in der UN-Generalsekretär Guterres aufgrund der Corona-Pandemie zu einem weltweiten Waffenstillstand aufgerufen hat, hat der türkische Staat Mitte April die Operation „Vulkan der Wut“ gegen die Truppen von General Haftar gestartet. Im Rahmen der Operation wurden die Westküste von Tripolis, einige Orte an der Grenze zu Tunesien sowie Städte wie Sabratha und Surman von den Kräften der „Nationalen Einheitsregierung“ unter Fayiz as-Sarradsch eingenommen.

Der Sprecher der gegnerischen „Libyschen Nationalarmee“, Ahmed al-Mismari, erklärte dazu, dass der Vorstoß von türkischen Offizieren koordiniert wurde und sich in Surman und Sabratha Milizionäre von Gruppierungen wie al-Qaida, IS und Ansar ash-Shariat befinden.

Außerdem wurde erklärt, dass der berüchtigte libysche Schlepperboss Ahmed Dabashi, der 2018 vom UN-Sicherheitsrat wegen Menschenschmuggel auf die schwarze Liste gesetzt wurde, das Kommando bei dem Angriff auf Sabratha geführt hat.

Das war nur eine der Leistungen des türkischen Staates, der sich seit langer Zeit darum bemüht, aus Libyen einen sicheren Hafen für dschihadistische Gruppen zu machen.

Nach diesen Angriffen sammelte sich die „Libysche Nationalarmee“ von General Haftar erneut und versetzte den Sarradsch-Truppen und dem türkischen Militär an mehreren Orten schwere Schläge, insbesondere in Tripolis und Misrata.

Weil der türkische Staat mit seiner „Vulkan der Wut“-Operation nicht wie gewünscht die Stadt Tarhune und den Luftwaffenstützpunkt Watiya erobern konnte, sind weitere Militärtransporte nach Libyen gestartet worden.

Libyen-Besuch von Hakan Fidan

Laut einer Meldung vom 7. Mai auf der Seite von al-Arabia hat der türkische Geheimdienstchef Hakan Fidan eine Woche zuvor Libyen besucht. In der Meldung wird außerdem über den Transfer von türkischen Spezialeinheiten und einer großen Anzahl Dschihadisten aus Syrien nach Libyen berichtet.

Die Libyen-Reise von Hakan Fidan muss demnach Anfang Mai stattgefunden haben. Der türkische Präsident Tayyip Erdogan ist am 5. Mai vor die Kameras getreten und hat erklärt: „Inschallah werden wir bald frohe Botschaften aus Libyen erhalten.“

Fidan Reise muss offenbar große Hoffnungen bei Erdogan geweckt haben. Direkt nach diesem Besuch hat sich jedoch eine Reihe mysteriöser Vorfälle in Libyen ereignet.

Geheimdienstchef der Sarradsch-Regierung getötet

Zunächst ist Abdul Qadir Al-Tohamy, der Geheimdienstchef der Einheitsregierung in Tripolis, unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Zuerst war die Rede von einem Herzinfarkt. Haftar-nahen Quellen zufolge soll al-Tohamy jedoch von Mitgliedern der „Brigade al-Nawasi“ entführt und zu Tode gefoltert worden sein. Al-Nawasi ist eine Miliz der Sarradsch-Regierung.

Militärkommando über Tripolis an al-Qaida übergeben

Eine weitere zeitnah zum Besuch von Hakan Fidan stattgefundene Entwicklung war die Übernahme des Militärkommandos in Tripolis durch das Al-Qaida-Mitglied Khalid al-Sharif. Nach Angaben aus der Kommandantur der Haftar-Armee wurde al-Sharif auf Betreiben des türkischen Staates in die Kommandantur vom Tripolis versetzt.

Al-Sharif nutzt den Codenamen Abu Hazim al-Libi, hat sich eine Zeitlang in der Türkei aufgehalten und steht an der Spitze der sogenannten „Militärgruppe Libyen“. Als Hintermann mehrerer Angriffe auf Zivilisten in Libyen steht er auf der Fahndungsliste der „Libyschen Nationalarmee“ unter General Haftar.

Verdächtige Raketenangriffe auf Botschaften

Direkt im Anschluss haben Angriffe mit Grad-Raketen auf die Botschaften der Türkei und Italiens in Tripolis stattgefunden. Drei Menschen kamen ums Leben, vier Personen wurden verletzt. Sowohl das Timing als auch die Ziele – die Türkei und Italien unterstützen die Einheitsregierung unter Sarradsch – rufen Aufmerksamkeit hervor.

Das türkische Außenministerium erklärte nach dem Angriff: „Wenn mit unseren Vertretungen in Libyen unsere Interessen angegriffen werden, betonen wir erneut, dass wir die Haftar-Elemente als legitimes Ziel betrachten.“

Wiederholung des Syrien-Szenarios

Diese Entwicklungen erinnern an die 2014 im Internet verbreitete Tonaufnahme einer geheimen Sitzung zur Syrien-Frage, an der der damalige türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu, Feridun Sinirlioğlu als damaliger Staatssekretär im Außenministerium, General Yaşar Güler als zweiter Vorsitzender des Generalstabs und Hakan Fidan als MIT-Chef teilgenommen haben.

Auf der Sitzung wurde über einen Grund für eine Intervention in Syrien gesprochen. In dem Audiomitschnitt ist die Stimme von Hakan Fidan zu hören: „Ich schicke vier Männer auf die andere Seite und lasse sie acht Raketen auf leeres Gebiet abschießen. Das ist kein Problem. Ein Grund lässt sich herstellen.“

Vier Tage bevor am 24. August 2016 die türkische Besatzungsoperation in Dscharablus, Azaz und al-Bab in Nordsyrien startete, hat der türkische Staat einen blutigen Anschlag des IS auf eine kurdische Hochzeit in Dîlok (Antep) organisiert.

Auf gleiche Weise wurde vor der Besatzung von Efrîn behauptet, dass von dort aus Granaten auf Hatay abgefeuert wurden. Später tauchten jedoch Aufnahmen auf, auf denen zu sehen war, dass der Abschuss innerhalb der Türkei erfolgt ist. Auch vor der Besatzung von Girê Spî (Tall Abyad) und Serêkaniyê (Ras al-Ain) im vergangenen Herbst wurde dieselbe Behauptung benutzt, um mit den vermeintlichen „Sicherheitsinteressen der Türkei“ argumentieren zu können.