Halil war Journalist und Filmemacher, aber er war vor allem Revolutionär. Er ließ sich von keiner Schwierigkeit aufhalten und gab nicht auf. Als Revolutionär kämpfte er gegen die Schwierigkeiten an und fand Mittel und Wege, um sie zu bewältigen. Um jede Aufgabe in bester Form auszuführen, erschuf er Dinge aus dem Nichts. Er ließ keine Aufgabe unvollendet. Mit seinen Texten, Fotos und Filmen war er eine Brücke zwischen der Guerilla und dem Volk.
Als er Ende 1995 in die Berge Kurdistans kam, wollte er der Guerilla vom ersten Moment an mit seinem Stift, seinem Heft, seinem Fotoapparat und seiner Kamera eine Stimme verleihen. Er wurde zur Stimme der Berge. Seine Suche gab er bis zu seinem Tod am 1. April 2008 nicht auf. Und ist es nicht genau das, was ein revolutionäres Leben und das Guerillaleben ausmacht?
Wir sind uns oft begegnet in den Bergen. Im Sommer 1998 waren wir auf einer Tour vom Zap bis ins Zagros-Gebirge zusammen. Auf diesem Weg sollten wir die im Zagros in den Himmel ragenden Berge Cilo und Çarçella sehen und die Guerillaeinheiten in dem Gebiet besuchen.
Immer ein Lächeln im Gesicht
Wir brachen mit einer Gruppe von vier bis fünf Personen vom Zap auf. Nach einer stundenlang andauernden und schwierigen Wegstrecke war unsere erste Station Çemço. Bei der Guerilla gilt dieses Gebiet als Grenze zwischen Zap und Zagros. Die Grenze bildete die Straße, die von Deraluk und Şêladizê nach Çemço führt und dort endet. Für Halil war der Weg doppelt schwer. Er trug nicht nur seine Kameraausrüstung auf dem Rücken, sondern machte die ganze Zeit Aufnahmen von den Guerillakämpfern, die uns führten, von den Bergen und Blumen. Und er fragte die Guerillakämpfer nach der Geschichte der Orte aus, an denen wir Rast machten und vorbeigingen. Er machte sich Notizen und filmte. Wir alle waren schweißgebadet, aber er hatte immer ein Lächeln im Gesicht.
Wir blieben die Nacht über in Çemço und machten uns im Morgengrauen wieder auf den Weg. Mit der Überquerung der Straße hatten wir das Zagros-Gebiet betreten und befanden uns in dem langgestreckten Wadi Kinyaniş. Die erste Pause wollten wir eigentlich im Tabura Erebe (Arabisches Bataillon) einlegen, aber auf dem Weg hielten wir an einer Stelle an, die Kunişka genannt wird. Es handelt sich um einen hohen Felsvorsprung am Rande eines weiten Gebiets. In der Mitte des unbesteigbaren Felsens befindet sich ein Eingang in Form eines Fensters. Ohne eine lange Leiter war es nicht möglich, dort hinaufzukommen. Laut der Dorfbewohner aus der Gegend haben aus der Türkei geflohene Christen in diesem tiefen Wadi solche schwer erreichbaren Orte errichtet, um sich dort zu verstecken. Wir machten Notizen und Filmaufnahmen und gingen weiter.
Im Zagros-Gebirge
Nach einem stundenlangen Weg entlang hoher Berggipfel erreichen wir die Ausläufer des Cilo im Zagros-Gebirge. Alle Dörfer in diesem Gebiet, deren Bewohner den Dienst als Dorfschützer ablehnten, sind vom türkischen Staat niedergebrannt und zerstört worden. Sie stehen leer. Wir gingen in einige Dörfer hinein. Halil lief wieder mit seiner Kamera umher, fragte nach den kurdischen und türkischen Dorfnamen und betrat die wenigen noch intakten Häuser. Eines der Häuser war im Vergleich zu den anderen besser erhalten und weckte unser Interesse. Von außen sah es wie ein gewöhnliches Dorfhaus aus. Als wir eintraten, sahen wir, dass es eine Kirche war. Die Innenarchitektur entsprach genau der Form einer Kirche. Aus Angst vor Angriffen des türkischen Staats war es als Wohnhaus getarnt worden. Im Inneren der Kirche waren ausgehobene Löcher, auch vor dem Haus fielen solche Löcher ins Auge. Die christliche Bevölkerung hat auf der Flucht Wertgegenstände versteckt, erzählte uns der Guerillakämpfer, der uns begleitete. Nach der Flucht ist danach gesucht worden.
Zum Gipfel des Cilo
Am nächsten Morgen wollten wir den Cilo besteigen und ein Guerillalager besuchen, von dem aus Nordkurdistan zu sehen ist. Trotz seiner Müdigkeit kontrollierte Halil wie immer die Akkus von Kamera und Fotoapparat. Bis auf den wachhabenden Guerillakämpfer lagen alle in tiefem Schlaf. Wir wachten am frühen Morgen auf und machten uns auf den Weg. Es sollte ein Aufstieg von vier bis fünf Stunden werden. Bevor die Hitze ausbrach, mussten wir das Guerillacamp Zoma Cafer erreichen. Wir kamen gegen Mittag dort an. Das Camp befand sich auf einer Ebene in unmittelbarer Nähe des Gipfels. Von hier aus konnte man auf den türkischen Militärstützpunkt Oremar hinuntersehen. Wir befanden uns auf einer Hochalm mit eiskalten Quellen, in denen die Hände abfrieren, wenn man sich wäscht. Selbst im Hochsommer kann man hier nicht unter nur einer Decke schlafen. Tagsüber wird man von der Sonne verbrannt, im Schatten friert man. Es gab keinen einzigen Baum. Um Tee zu kochen, muss die Guerilla sich stundenlang abmühen und Qirşik oder Gonî sammeln. Und trotzdem ist es einer der schönsten Orte der Welt.
Das Heft auf dem Gipfel
Nach der Begrüßung und einer kurzen Unterhaltung wollte Halil sofort den Stützpunkt Oremar sehen. Er fotografierte und filmte und fragte die Guerilla nach der Basis und der umliegenden Region aus. Als ihm erzählt wurde, dass der Gipfel in ein bis zwei Stunden zu erreichen ist und sich dort ein Heft befindet, wollte er sofort losgehen. Auf dem Cilo kann das Wetter jedoch jederzeit umschlagen, deshalb mussten wir den Aufbruch auf den nächsten Morgen verschieben. Wenn das Wetter klar war, konnten wir losgehen. Für Halil nahm der Tag kein Ende, er konnte vor Aufregung nicht stillhalten und hielt es kaum aus. Wir würden auf den Cilo steigen und eine weitere Premiere erleben.
Mit dem Sonnenaufgang gingen wir los. Wir erreichten den Gipfel nach einer Stunde und vierzig Minuten. Auf dem Gipfel lag eine Ebene, Richtung Süden war ein grünes Gelände zu sehen. In den Wadis auf der Nordseite befanden sich Gletscher, die „keviye pir“ genannt werden. Das gesamte Wadi war von dem vielleicht seit Hunderten Jahren nicht geschmolzenen Eis bedeckt. Auf der einen Seite war tiefster Winter, auf der anderen einen Höllenhitze. Wie unser Führer erzählte, befinden sich kleine Würmer im Eis. Wirft man den gefrorenen Schnee in kochendes Wasser, wird es sofort kalt und die Würmer verschwinden.
Das Besucherheft auf dem Cilo
Wir interessierten uns am meisten für das Heft auf dem Cilo, von dem wir so viel gehört hatten. Auf dem Gipfel befand sich ein kleiner Hügel aus aufeinander gehäuften Steinen. Dort musste es sein. Wir gingen sofort hin und suchten die Steine ab. Nachdem wir mehrere Steine abgetragen hatten, fanden wir ein mit Tuch umschlagenes Heft. Halil wickelte es aus. Aus der ersten Seite ging hervor, dass elf Bergsteiger das Heft 1969 hinterlegt haben. Sieben waren Ausländer, vier aus der Türkei. Nach ihnen hatten weitere Personen den Gipfel bestiegen und Inschriften in dem Heft hinterlassen. Der letzte Eintrag war vom 14. August 1984, ein Tag vor Beginn des bewaffneten Kampfes. Die nächsten Besucher waren wir, 15 Jahre später. Genau in diesem Moment war ein Hubschrauber zu hören. Wir hatten Angst, schließlich gab es keinen Ort, an dem wir uns verstecken konnten. Als das Geräusch schwächer wurde, hinterließen wir eine Nachricht im Namen von MED TV in dem Besucherheft und legten es zurück unter die Steine.
So war er, unser Halil: Immer auf der Suche, immer unterwegs, um etwas Neues zu entdecken. Er war der Spiegel der Guerilla, der Berge Kurdistans für das Volk.