Kommentar: „Rassismus? Das Problem der anderen”
Nach der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd intensivieren sich die Proteste. Rassistische Gewalt in anderen Ländern dagegen wird weiterhin ignoriert.
Nach der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd intensivieren sich die Proteste. Rassistische Gewalt in anderen Ländern dagegen wird weiterhin ignoriert.
„Ich kann nicht atmen“ - der letzte Satz des am vergangenen Montag von der Polizei ermordeten Afroamerikaners George Floyd geht um die Welt. Es ist der Hilfeschrei der Bewegung „Black Lives Matter” (deutsch „Schwarze Leben zählen“) und wird aufgegriffen von allen, die wissen, dass Rassismus tötet.
Die Leitmedien zeigen mit dem Finger auf die USA. Kommentatoren verweisen auf die koloniale Geschichte der USA, die ihren Rassismus nicht in den Griff bekommt. Einig ist man sich in der Verurteilung der brutalen Polizeigewalt und besorgt über die Ausschreitungen, die Präsident Donald Trump in der letzten Nacht in seinen Bunker zwangen. Auch eine gewisse Häme spielt da mit - mal sehen, wie „der Verrückte im Weißen Haus“ reagiert. Der erklärt die „Antifa“ kurzerhand als Terrororganisation und gibt damit zu erkennen, dass er wieder einmal nichts begreift.
Es ist bequem, die Riots anderswo zu beobachten. Und „Trump-Blaming“ passt auch gerade ins europäische Weltbild. Was dabei immer zu kurz kommt, ist eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen Rassismus.
Rassismus spaltet und teilt ein in „schwarz oder weiß“, in „Du gehörst dazu und du nicht“, „ich bin oben, du bist unten“. Rassismus grenzt aus und konstruiert ein „Wir und die anderen“. Rassismus braucht Grenzen und verteidigt diese mit Mauern und Waffen. Rassismus benötigt Pässe als Legitimationsbescheinigung einer Zugehörigkeit und definiert, wer willkommen ist. Rassismus ist essentiell für das Konstrukt von Nationalstaaten: Wir und die anderen. Je mehr sich das „wir“ angegriffen fühlt, desto offener tritt Rassismus in Form von staatlicher Gewalt zutage, die wiederum die Mitläufer und den faschistischen Bodensatz in der Gesellschaft animiert und ihnen Gelegenheit bietet, sich zu erheben über „die Anderen“. Rassismus wird zum Alltag.
Beobachten konnte man dies in der Geschichte immer wieder. Nicht nur im Apartheidsregime in Südafrika. Nicht nur in Nazi-Deutschland. Nicht nur nach dem Sommer der Migration 2015, als die Unterkünfte von Geflüchteten brannten. Oder während der Mordserie des NSU. Oder in Hanau. Oder in Israel, wo die palästinensische Zivilgesellschaft sich auflehnt gegen ethnische Diskriminierung und Segregation. Oder in der Türkei, wo Abdullah Öcalan und die PKK seit mehr als 40 Jahren gegen die kemalistische Ideologie des antikurdischen Rassismus kämpfen. Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen.
Warum schafft es die Ermordung von George Floyd in die Schlagzeilen und die Ermordung eines Kurden in Ankara oder in Dortmund nicht? In allen Fällen war das Tatmotiv Rassismus. Welchen Opfern rassistischer Gewalt gilt die Anteilnahme? Welche Täter werden benannt? Welcher Täterstaat kommt an den Pranger der Berichterstattung?
Mit „Black Lives Matter” scheint eine Solidarisierung anschlussfähiger zu sein als mit der kurdischen Parole „Berxwedan Jîyane“ (Widerstand ist Leben). Die Lust am freien Leben und der Wille, sich dieses zu erkämpfen macht denen Angst, die einen Staat aufrecht erhalten wollen, in der es keine Freiheit für alle gibt. „Berxwedan Jîyane“ ist mehr als der Appell, in Ruhe leben zu dürfen. Es geht dabei nicht nur um Freiheit von Rassismus, sondern um eine andere Art zu leben. Ohne Grenzen und ohne Einteilung der Welt in ein Oben und Unten. Es geht darum, die hegemoniale Politik der kontinuierlichen Entrechtung anzugreifen und den Nationalstaat als Teil des Problems zu begreifen. Deshalb wird eine Bewegung, die das Existanzrecht von Staaten in Frage stellt, im besten Fall totgeschwiegen. Oder als „terroristisch“ eingestuft.