Die Ko-Vorsitzenden des Exekutivrats der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) weisen in einer zum Jahrestag der Revolution von Rojava veröffentlichten Erklärung auf den vor hundert Jahren beschlossenen Vertrag von Lausanne hin und rufen alle kurdischen Kräfte dazu auf, mit historischer Verantwortung zu handeln und Rojava vereint zu verteidigen. Wir dokumentieren Ausschnitte aus der Erklärung:
Seit elf Jahren Teil des Kampfes der Menschheit
„Am 19. Juli 2012 wurde in Rojava ein historischer Schritt getan und die Rojava-Revolution, eine der wichtigsten Entwicklungen in der Geschichte der Menschheit, vollzogen. Seit dieser historischen Entwicklung sind nun elf Jahre vergangen. Seit elf Jahren hält die Revolution von Rojava stand gegen kolonialistische, reaktionäre und faschistische Aggression, die auf einen Völkermord abzielt. Rojava ist weiterhin die Hoffnung auf Gleichheit, Freiheit und demokratisches Leben für das Volk von Kurdistan und alle Völker Syriens, des Nahen Ostens und der Welt. Wir gratulieren der großen Rojava-Revolution, die seit elf Jahren allen konterrevolutionären Aggressionen widerstanden und sie vereitelt hat und nun fest im Leben verwurzelt ist, und wir begrüßen diese historische Entwicklung. Wir gratulieren dem kurdischen Volk, den Völkern Nord- und Ostsyriens, der gesamten Bevölkerung Syriens, den Frauen, den Völkern des Nahen Ostens und der ganzen Welt zu dieser großen Revolution. Wir gedenken mit großem Respekt und Dankbarkeit aller Gefallenen der Revolution und der Demokratie und wir bekräftigen unsere Verbundenheit und unser Versprechen an sie. Die Revolution von Rojava ist das gemeinsame Erbe der Völker Kurdistans und des Nahen Ostens, der Frauen, der unterdrückten Völker der Welt und all derer, die für Gleichheit, Freiheit und Demokratie kämpfen. Sie ist ein Teil des Kampfes der Menschheit für Gleichheit, Freiheit und Demokratie und ein großer Schritt auf dieser Grundlage.“
Abdullah Öcalan und das Ergebnis eines jahrzehntelangen Freiheitskampfes
„Die Rojava-Revolution ist das Ergebnis des jahrzehntelangen Freiheitskampfes des kurdischen Volkes. Die jahrzehntelange Arbeit von Rêber Apo [Abdullah Öcalan] ist der Hauptfaktor für die Verwirklichung dieser Revolution. Er hat mit seiner Arbeit das intellektuelle und organisatorische Fundament der Revolution gelegt. Die Rojava-Revolution entwickelte sich auf der Grundlage der Ideen, des Paradigmas und der persönlichen Arbeit von Rêber Apo.“
Internationaler Kampf und Solidarität
„Der internationale Kampf und die Solidarität haben einen großen Beitrag zur Entwicklung und zum Erhalt der Revolution in Rojava geleistet. Einer der grundlegendsten Aspekte der Rojava-Revolution ist definitiv der internationale Kampf. Viele revolutionäre Kämpferinnen und Kämpfer aus der ganzen Welt kamen mit internationalistischen Gefühlen nach Rojava, und Dutzende von ihnen sind gefallen. Am elften Jahrestag der Revolution gedenken wir der internationalistischen Gefallenen mit Respekt und Dankbarkeit. Es ist ein sehr bedeutender und unermesslicher Kampf mit großer Opferbereitschaft. Dieser Kampf und dieses Opfer gehen auch heute weiter, und die Jugend, die Frauen, die Völker, alle, die für Freiheit, Demokratie und Sozialismus kämpfen, sind weltweit mit der Revolution von Rojava solidarisch. Wir beglückwünschen alle, die mit der Revolution von Rojava solidarisch sind und für sie kämpfen, und bringen unsere Grüße und unseren Respekt zum Ausdruck.“
Gedankliche und organisatorische Grundlagen für einen nichtstaatlichen Sozialismus
„Die Rojava-Revolution basiert auf den Kampferfahrungen der Menschheit für Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie im Laufe der Geschichte und auf den Lektionen früherer Revolutionen. Rêber Apo hat die historische Entwicklung der Menschheit überdacht und den Unterschied zwischen dem auf Ausbeutung und Sklaverei basierenden etatistischen System und einem auf Gleichheit, Freiheit und demokratischem Leben basierenden sozialen System aufgezeigt. Damit wurde ein neues Paradigma geschaffen, das es Revolutionen ermöglicht, sich auf freiheitlicher Grundlage zu entwickeln. Da die vorangegangenen Revolutionen mit den Mitteln staatlicher Systeme durchgeführt wurden, konnten die gewünschten Ergebnisse nicht erreicht werden und sie wurden vom etatistischen System verschluckt. Rêber Apo überwand diese historische Sackgasse, indem er die geistigen und organisatorischen Grundlagen eines nichtstaatlichen Sozialismus entwickelte. Es ist das Verständnis des nichtstaatlichen Sozialismus, das die Rojava-Revolution auszeichnet und ihre Qualität bestimmt. Dieses von Rêber Apo entwickelte Paradigma bedeutet den Wiederaufbau des Lebens mit einer demokratischen und sozialen Mentalität ohne Rückgriff auf Macht und Machtmittel, die zur Ausbeutung und Beherrschung der Menschen untereinander führen. Die Rojava-Revolution hat sich auf der Grundlage dieses Verständnisses entwickelt und es wurden große Schritte in diese Richtung unternommen. Das ist eine sehr wichtige Entwicklung für den Kampf der Menschheit für Gleichheit, Freiheit und Demokratie.“
Revolution gegen die von Männern dominierte Mentalität
„Die Rojava-Revolution wird zu Recht als eine Frauenrevolution gesehen und ausgedrückt. Eines ihrer wichtigsten Merkmale ist, dass sie auf einem frauenbefreienden Verständnis beruht. Die Entwicklung der Rojava-Revolution auf der Grundlage der Freiheit von Frauen ist die stärkste Dimension der Revolution und das wesentliche Merkmal, das sie von anderen unterscheidet. Das bedeutet auch große Macht. Denn das grundlegende Element des gesellschaftlichen Lebens sind die Frauen. In dieser Hinsicht ist es ein Faktor, den man verstehen sollte, wenn es um die Rojava-Revolution geht, dass sich die Revolution gegen die von Männern dominierte Mentalität richtet und auf der Freiheit von Frauen beruht. Tatsächlich spielen Frauen eine entscheidende und führende Rolle bei der Verwirklichung der Revolution in Rojava. Aufgrund dieser Eigenschaft zieht die Revolution von Rojava die Aufmerksamkeit von Frauen und all derer auf sich, die im Nahen Osten und in der ganzen Welt nach Freiheit streben. Sie wird als Hoffnung gesehen.“
Das beste Modell für Syrien und den Nahen Osten
„Die Revolution von Rojava mit ihrem Verständnis von demokratischer Nation und demokratischer Autonomie ist das beste Modell für die Lösung der Probleme in Syrien und im Nahen Osten. Die Probleme im Nahen Osten sind in der nationalstaatlichen Mentalität und dem System verwurzelt. Die Revolution in Rojava hat bewiesen, dass diese durch den Nationalstaat verursachten Probleme überwunden werden können, ohne dass es zu einer Zersplitterung und Spaltung kommt. Im Gegenteil wird mit der Mentalität einer demokratischen Nation und dem System der demokratischen Autonomie das Verständnis für das Zusammenleben der Völker gestärkt. Die Nationalstaaten im Nahen Osten wurden nach dem Ersten Weltkrieg im Einklang mit den Interessen des Systems der kapitalistischen Moderne und von den Kräften dieses Systems hervorgebracht. Auf diese Weise wurde der Nahe Osten im Einklang mit den Interessen der kapitalistischen Moderne von imperialistischen Mächten gestaltet. Die Bevölkerung und die historischen Geografien wurden zersplittert und die Völker in einen abhängigen Zustand gebracht, indem sie mit Nationalismus, religiösem Fanatismus und Chauvinismus gegeneinander aufgehetzt wurden.“
Kurdistan und der Vertrag von Lausanne
„Eines der Völker, das darunter am meisten zu leiden hatte, war zweifelsohne das kurdische Volk. Kurdistan wurde zwischen vier Nationalstaaten aufgeteilt, und das kurdische Volk wurde mit Verleugnung, Vernichtung und Völkermord bedroht. Der von Rêber Apo initiierte Kampf zielt im Wesentlichen darauf ab, einen Ausweg aus dieser Sackgasse, in der sich die Völker des Nahen Ostens befinden, und Lösungen für die Probleme zu finden. Mit der Rojava-Revolution wurden diese Ideen und Lösungsansätze von Rêber Apo zum Leben erweckt. Diese Entwicklung war auch die richtigste und sinnvollste Haltung gegenüber dem Vertrag von Lausanne, der jetzt seit hundert Jahren besteht. In dieser Hinsicht ist die Verteidigung und der Schutz der Revolution von Rojava die richtigste Haltung, um sich dem Vertrag von Lausanne zu widersetzen und eine kurdische nationale Einheit zu gewährleisten. Auf dieser Grundlage sollten alle patriotischen Kräfte mit historischer Verantwortung handeln, indem sie sich um die Rojava-Revolution versammeln und eine nationale Einheit sicherstellen.“
Elftausend Gefallene für den Sieg über den IS
„Das Volk von Rojava und die Kräfte der Revolution haben die ganze Welt vor einer großen Gefahr bewahrt, indem sie die reaktionären faschistischen IS-Banden besiegt haben. Der IS-Faschismus wurde um den Preis von mehr als elftausend Gefallenen bekämpft, und dieser Krieg wurde gewonnen. Doch obwohl diese Realität allen bekannt ist, handeln die Staaten nicht im Sinne der Gerechtigkeit. Im Gegenteil, gegen die Invasionsangriffe der faschistischen AKP/MHP-Regierung, die den IS nährt und Massaker und Völkermorde verursacht hat, indem sie die IS-Banden auf die Völker, insbesondere in Rojava, losließ, wird keine Stellung bezogen. Diese Aggression wird gebilligt und unterstützt. Die gegen Rojava und die Kurdinnen und Kurden gefassten Beschlüsse und getroffenen Vereinbarungen auf dem NATO-Treffen in Litauen haben die eigennützige und heuchlerische Politik der Staaten deutlich gemacht. Diese Beschlüsse und Vereinbarungen bedeuten, der Politik des Völkermordes an den Kurdinnen und Kurden zu dienen und dabei Partner zu sein. Eine solche Haltung gegenüber dem kurdischen Volk und Rojava, die die gesamte Menschheit gegen IS geschützt und dafür Tausende von Gefallenen geopfert haben, ist absolut inakzeptabel. Sie sollte aufgegeben werden, und die Politik des türkischen Staates und der AKP/MHP-Regierung zum Völkermord an den Kurden sollte nicht unterstützt werden. Der türkische Staat und die AKP/MHP-Regierung haben eine antikurdische Mentalität und bauen alle ihre Beziehungen auf kurdenfeindlicher Grundlage auf. Keine Macht oder Organisation kann oder sollte jedoch ihre Beziehungen zur Türkei auf Kurdenfeindschaft aufbauen, nur weil der türkische Staat eine solche Einstellung hat. Die Staaten, insbesondere die NATO-Mächte, sollten diese falsche Haltung korrigieren und keine Politik unterstützen, die dem kurdischen Volk feindlich gesinnt ist.“
Der türkische Staat vertreibt die kurdische Bevölkerung
„Es gibt niemanden auf der Welt, der die Haltung des türkischen Staates und der AKP/MHP-Regierung gegenüber dem kurdischen Volk nicht kennt. Der türkische Staat und seine Regierung haben einen antikurdischen Charakter. Aufgrund dieser Mentalität wollen sie das System in Nordostsyrien beseitigen und die Rojava-Revolution liquidieren. Das ist das Ziel der auf Besatzung, Annexion und Völkermord ausgerichteten Angriffe und Maßnahmen des türkischen Staates gegen Syrien und Rojava. Die faschistische AKP/MHP-Regierung will die Kurdinnen und Kurden aus Rojava vertreiben, indem sie die Rojava-Revolution eliminiert. Die anderen Begründungen, die sie vorbringt, sind realitätsfern, sie dienen nur der Verzerrung und der Schaffung eines Umfelds und einer Legitimation für Angriffe. Der türkische Staat verändert die demografische Struktur überall dort, wo er Gebiete erobert, er verdrängt die kurdische Bevölkerung und siedelt andere Menschen an. Dieses Ziel des türkischen Staates und der AKP/MHP-Regierung ist bekannt, und es ist eine Politik, die nicht nur in Rojava, sondern in ganz Kurdistan verfolgt wird. Unser Volk kennt diesen Charakter des türkischen Staates und der AKP/MHP-Regierung. Es gibt niemanden auf der Welt, der diese Tatsache nicht kennt. Es gibt jedoch einige verräterische Kreise, die sich Kurden nennen und sich verkauft haben. Sie stellen sich auf die Seite des Staates und der AKP/MHP und bauen Beziehungen zu ihnen auf.“
Kollaborateure sollen die Besatzung Kurdistans legitimieren
„Der türkische Staat und die AKP/MHP haben diesen Verrätern und Kollaborateuren die Aufgabe übertragen, die Besatzung und die Angriffe auf den Völkermord zu legitimieren; diese Verräter, die sich selbst Kurden nennen, nehmen diese Schande für Geld, Reichtum und Nutzen in Kauf. Mit verschiedenen Diskursen und Verzerrungen wird versucht, diese Fakten vor den Menschen zu verbergen. Für die Rojava-Revolution und ganz Kurdistan ist das eine Gefahr, die gesehen und bekämpft werden muss. Vor allem die Politiker:innen, Intellektuellen und Patriot:innen des kurdischen Volkes sollten das betonen, dazu Stellung beziehen und das Volk über dieses Thema aufklären und sensibilisieren. Das ist eine sehr wichtige patriotische Aufgabe.“
Die Angriffe auf Rojava können abgewehrt werden
„Die Pläne des türkischen Staates und des AKP/MHP-Faschismus gegen die Rojava-Revolution und das demokratische System in Nord- und Ostsyrien sind bekannt. Gegen die geplante Invasion, die Annexion und den Völkermord müssen zuallererst die Völker Nord- und Ostsyriens gemeinsam mit den revolutionären Kräften Widerstand leisten. Dazu müssen sie ihre ganze Konzentration auf den Widerstand richten, umfangreiche Kriegsvorbereitungen treffen und sich auf ein Niveau bringen, das jeden Angriff brechen kann. Auch das patriotische Volk Kurdistans muss überall mit den Menschen in Rojava solidarisch sein und aktiv kämpfen. Junge Menschen, Frauen, Völker, revolutionäre, sozialistische und fortschrittliche Sektionen und Freundinnen und Freunde in der ganzen Welt sollten sich mehr mit Rojava solidarisieren. Sie sollten auf die Beziehungen der Staaten mit der AKP/MHP-Regierung gegen das kurdische Volk und Rojava reagieren und diese Reaktion in eine Aktion umwandeln und die Staaten dazu bringen, einen Schritt zurückzutreten. Wenn es auf diese Weise einen totalen Widerstand und Kampf gibt, können die Angriffe auf Rojava abgewehrt und die Gefahr beseitigt werden. Wir rufen alle dazu auf, auf dieser Grundlage ihre historischen Aufgaben und Verantwortungen zu übernehmen. Zum elften Jahrestag der Revolution grüßen wir alle, deren Herzen mit der Revolution von Rojava schlagen, insbesondere die Völker von Rojava und ganz Nord- und Ostsyrien, und wir bringen unseren Respekt zum Ausdruck."