IV. Internationalistische Kurdistan-Tagung startet in Darmstadt

In Darmstadt läuft seit Samstag die IV. Internationalistische Kurdistan-Tagung. Die Veranstaltung dient als Plattform für die Reflexion der Entwicklung der Kurdistan-Solidarität und dem Ideenaustausch für künftige Arbeiten und Projekte.

In Darmstadt hat am Samstag die IV. Internationalistische Kurdistan-Tagung begonnen. Bei der zweitägigen Veranstaltung, die von den Berliner Vereinen „Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit (Civaka Azad e.V.) und „Kurdisches Frauenbüro für Frieden“ (CENÎ e.V.) organisiert wird, geht es unter anderem um die aktuelle Lage in Kurdistan und dem Mittleren Osten, aber auch um die politische Situation in Deutschland und dem Rest der Welt. Hauptsächlich aber soll die Tagung reflektieren, wie sich die Solidaritätsarbeiten für Kurdistan über die Jahre hinweg entwickelt haben, und einen Überblick über die verschiedenen Arbeiten, Institutionen und Projekte in Deutschland rund um das Thema Kurdistan und die kurdische Freiheitsbewegung schaffen. Außerdem wollen Civaka Azad und CENÎ die Tagung dafür nutzen, gemeinsam mit anderen an praktischen Perspektiven zu arbeiten. „Wie kann internationale Solidaritätsarbeit aussehen? Was braucht es dafür? Und was kann insbesondere in dieser Phase getan werden?“ lauten hierbei die Schlagwörter.

Impulsvortrag von Nahostexpertin Nilüfer Koç

Die Tagung wurde mit einer Schweigeminute für die Gefallenen der Weltrevolution und der Vorstellung des Programms eröffnet. Daran anschließend lieferte die Nahostexpertin Nilüfer Koç einen Impulsvortrag. Koç, die Sprecherin der außenpolitischen Kommission im Nationalkongress Kurdistan (KNK) ist, sprach über die aktuellen politischen Entwicklungen in Kurdistan, aber auch weltweit. Ein besonderes Augenmerk legte sie hierbei auf die derzeitigen Proteste und Aufstände in Rojhilat und in Iran, sowie auf den aktuell stattfindenden „Dritten Weltkrieg“, der im Moment seinen stärksten Ausdruck im Krieg um die Ukraine finde. Auch der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der Türkei in Südkurdistan (Kurdistan-Region Irak), der nach nunmehr bald sechs Monaten seinen absoluten Höhepunkt erreicht hat, und welcher seinen Ausdruck durch den massiven Einsatz chemischer Giftstoffe durch das türkische Militär findet, wurde thematisiert, wie auch der konstant stattfindende Low-Intensity-Warfare (Krieg niedriger Intensität) der Türkei in der Autonomiezone Nord- und Ostsyrien. Die Nachfragen und Ergänzungen der Teilnehmenden ergänzten die Signifikanz von gesellschaftlicher Organisierung in Krisensituationen, wie der momentanen sowohl im Nahen Osten als auch im Herzen der kapitalistischen Moderne hier in Europa. Ein Leitmotiv, welches sich durch den ganzen Tag zog und auch am Sonntag essentieller Teil der Diskussion sein wird.

Entwicklung fortschrittlicher antifaschistischer Politik nach 2. Weltkrieg

Im Anschluss an die Diskussion zur politischen Lage widmete sich die Tagung auf das Kernthema des ersten Tages: auf die Reflexion der Geschichte internationaler Solidaritätsarbeit mit und für Kurdistan. Zunächst sprach ein Internationalist darüber, wie sich in Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkrieges fortschrittliche antifaschistische Politik entwickelt hat – mit Augenmerk auf die internationalistische Perspektive. Dabei ging er zunächst darauf ein, auf welche Weise hierzulande nach dem Krieg unter der Parole: „Nie wieder Krieg!“ die Reorganisierung stattfand, wie der Widerstand zunächst gegen die Elterngeneration begann und sich dann langsam ausweitete und international wurde und wie man dann gemeinsam mit den antikolonialen Befreiungskämpfen in der damals sogenannten „3. Welt“ gemeinsam kämpfte und voneinander lernte. Thematisiert wurde auch, wie sich dieses Bild durch Schlüsselmomente wie dem Vietnamkrieg, der Kuba-Revolution, der Notstandsgesetze und dem bewaffneten Widerstand „im Herzen der kapitalistischen Bestie“ – „sprich in der BRD“ – zusammenfügte.

Aufbau kurdischer selbstverwalteter Strukturen in Deutschland

Daran anschließend sprach eine Aktivistin über den Aufbau kurdischer selbstverwalteter Strukturen hier in Deutschland und die Anfänge der internationalistischen Kooperation. Dabei ging sie intensiv auf die Geschichte der kurdischen Bewegung ein, im Verhältnis zu der Entwicklung internationaler Kollaboration der Nationalstaaten – vor allem die deutsch-türkische Beziehungen. Dabei legte sie den Fokus auf die immens zunehmende Repression in Kurdistan, aber auch die Anfänge der antikurdischen Repression in Deutschland, und thematisierte das „Internationale Komplott“ gegen Abdullah Öcalan, an dessen Ende der kurdische Vordenker 1999 in die Türkei verschleppt wurde. Die Aktivistin sprach auch über die ersten Internationalist:innen, die aus Deutschland zur kurdischen Guerilla gingen. Einige führte es damals nur vorübergehend zur Guerilla, um zu lernen und praktische Erfahrungen im bewaffneten Widerstand zu machen. Andere gingen mit dem Ziel, zu bleiben, nach Kurdistan. Damit waren die ersten deutschen Gefallenen in den kurdischen Bergen ebenfalls Gegenstand des Beitrags.

Situation der Solidaritätsarbeit nach 1999

Im weiteren Verlauf der Tagung folgten zwei Beiträge zur Situation der Solidaritätsarbeiten nach 1999 in Deutschland. Dabei drehte es sich um neue Institutionen und Netzwerke, die zu jener Zeit geschaffen wurden: Organisierungen, die sich Antirepressionsarbeiten widmeten, aber auch autonome Frauenstrukturen. Viele von ihnen verfolgten den Ansatz, dass der Hauptfeind im eigenen Land stünde. Eine der bis heute aktiven und bekannten Institutionen ist die Kampagne Tatort Kurdistan. Hier setzten dann die Vorträge zur neueren Geschichte der Kurdistan-Solidarität an, besonders hervorgehoben wurden Aktivitäten seit Beginn der Rojava-Revolution. Die Redner:innen gingen auf interne Diskussionsprozesse ein sowie erste Bildungen, die hier organisiert wurden, auf Organisierungs- und Strukturierungsansätze der Zeit und auch auf Kampagnen wie Women Defend Rojava und Riseup4Rojava.

Damit fand der geschichtliche Teil seinen Abschluss und man ging in die Diskussion über die heutige Situation. Das fand in Form von drei Panels statt. Das erste Panel befasste sich mit den bestehenden Kampagnen und in diesem Zusammenhang mit der Frage, wo diese Kampagnen aktuell stehen, was für Probleme sie haben und welche Lösungsansätze sie verfolgen. Im zweiten Panel wurde über die Rolle und die Möglichkeit der Stärkung „demokratischer Medien“, wie ANF, Kurdistan Report und Nûçe Cîwan gesprochen. Das dritte und letzte Panel beschäftigte sich mit der Vorstellung verschiedenster kurdischer Selbstverwaltungsstrukturen hier in Deutschland. Abgeschlossen wurde der Tag mit der Dokumentation „No Friends but the Mountains“, der im Anschluss mit den Macher:innen des Films diskutiert wurde.

Der heutige Tag stellt die Grundlage für die morgigen Perspektiv-Diskussionen dar. Diese werden sich in erster Linie um die Kampagne „Defend Kurdistan“, aber auch über die „Initiative Demokratischer Konföderalismus“ und „Gemeinsam Kämpfen“ drehen.