Seit zwei Wochen befinden sich in Straßburg 15 kurdische Aktivisten, Journalisten und Politiker in einem unbefristeten Hungerstreik. Ihre einzige Forderung ist die Aufhebung der Isolation des inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer. Dafür soll das europäische Antifolterkomitee CPT die Gefängnisinsel aufsuchen und Druck auf die türkische Regierung ausüben. Das CPT als Institution des Europarats hat das uneingeschränkte Recht zur Untersuchung von Gefängnissen, Polizeiwachen, Flüchtlingslagern und psychologischen Kliniken in den Mitgliedsländern. Wenn das Antifolterkomitee es für erforderlich hält, darf es eine Delegation in eine Einrichtung seiner Wahl schicken und Untersuchungen durchführen. Es ist die einzige Institution, welche die Macht hat, Abdullah Öcalan zu besuchen. Zuletzt besuchte eine CPT-Abordnung die Gefängnisinsel im April 2016. Der dazugehörige Bericht gelangte erst zwei Jahre später an die Öffentlichkeit, da die nach den Besuchen erstellten Berichte ohne Zustimmung der jeweiligen Regierungen nicht veröffentlicht werden dürfen.
Wir geben im Folgenden ein Interview mit einem Aktivisten wieder, der sich an dem Hungerstreik in Straßburg beteiligt.
Kannst du uns sagen, wer du bist und warum du an diesem unbefristeten Hungerstreik teilnimmst?
Ich heiße Kardo Bokani. Ich stamme aus Ostkurdistan (Rojhilat) und bin Mitglied im Kurdistan Nationalkongress (KNK). Seit dem 17. Dezember führen wir hier in Straßburg einen unbefristeten Hungerstreik durch, um auf die Isolation des kurdischen Volksrepräsentanten Abdullah Öcalan aufmerksam zu machen. Er befindet sich seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali in Haft.
Wie du sicherlich weißt, gibt es seit September 2016 kein Lebenszeichen mehr von ihm. Weder wird seinen Familienangehörigen eine Besuchserlaubnis erteilt, noch erhalten seine Anwälte Zugang auf die Insel, und das schon seit über sieben Jahren. Dieser Zustand beunruhigt uns zutiefst und verpflichtet uns zu handeln, damit sich die Situation auf Imrali ändert.
Warum findet der Hungerstreik in Straßburg statt?
Wir haben unseren Hungerstreik vor dem Sitz des CPT eingeleitet. Der Name also -Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe- spricht für sich. Als unabhängige und unparteiische Institution wurde das CPT für die Untersuchung von Fällen gegründet, in denen Foltervorwürfe erhoben werden. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, muss das CPT seinen Verpflichtungen nachkommen und versuchen, Folter zu verhindern. Abdullah Öcalan jedoch wird seit 20 Jahren einer Dauerfolter ausgesetzt, die vom CPT ignoriert wird. Seit fast drei Jahren hat er keinen Kontakt zu seiner Außenwelt, trotzdem wird das CPT nicht aktiv. Das Schweigen des Antifolterkomitees hat die Türkei in ihrem Handeln ermutigt, Öcalan ohne Bedenken weiterhin zu foltern. Wir fordern vom CPT, seine Haltung gegenüber Öcalan und dem kurdischen Volk zu ändern. Diese Forderung ist nicht überzogen, sondern menschlich und kann umgesetzt werden. Das CPT sollte eine Delegation auf die Gefängnisinsel Imrali entsenden, damit Öcalan besucht werden kann.
Siehst du einen Zusammenhang zwischen der Isolation auf Imrali und den Drohungen des türkischen Staates, Rojava anzugreifen?
Sicher, vor allem wenn man bedenkt, dass die Revolution von Rojava auf der Philosophie von Öcalan basiert. Im Gegensatz zu den Nachbarländern, in denen wir es mit totalitären und zentralen Nationalstaaten zu tun haben, in denen eine einzige Identität als die prägende staatliche Identität hervorgeboben wird, hat die Rojava-Revolution in Syrien ein neues System geschaffen, das auf direkter Demokratie, der Gleichstellung der Geschlechter, religiöser Toleranz, interethnischer Zusammenarbeit und Ökologie basiert. Das ist in der gesamten Region einzigartig. Eben aus diesem Grund wird das System in Rojava u.a. auch von diesen autoritären Staaten nicht geschätzt.
Inbesondere der türkische Staat hasst die Rojava-Revolution und ist die Macht in der Region, die sie von Anfang an konsequent unterdrückt hat. Man muss kein Politikwissenschaftler sein um zu erkennen, dass die Türkei den Islamischen Staat unterstützt. Aus welchem Grund macht die Türkei das? Weil sie die Kurden daran hindern möchte, ihr demokratisches Projekt aufzubauen. Dafür greift der türkische Staat auf islamistische Extremisten zurück, und lässt die Kurden angreifen.
Als der türkische Präsident Erdoğan erkannte, dass es die kurdischen Kräfte waren, die den IS besiegten, begann er direkt zu intervenieren. Wir erinnern uns, dass die Türkei Anfang des Jahres in Efrîn einfiel, die Stadt in Schutt und Asche verwandelte, sie plünderte und ihre Bevölkerung vertrieb. Nun soll auch der Rest von Rojava besetzt werden, um zu verhindern, dass das demokratische Projekt weiter aufblüht und die Kurden ihren politischen Status beibehalten.
Was ist deine Botschaft an das kurdische Volk, besonders an die Jugend?
Abdullah Öcalan ist keine gewöhnliche Person. Als ersten und ausschlaggebenden Punkt möchte ich hervorheben, dass er eine politische Figur ist, die von Millionen Kurden als rechtmäßiger Repräsentant anerkannt wird. Zweitens ist er ein politischer Theoretiker, dessen Beitrag zu verschiedenen philosophischen Fragen weder ignoriert werden kann, noch sollte. Drittens ist Öcalan in der gesamten Türkei die entscheidende Stimme für den Frieden. Seit 1993 drängt er auf Frieden und eine politische Lösung der kurdischen Frage. Unter seiner Führung erklärte die PKK seitdem acht einseitige Waffenstillstände und zog die Guerilla zweimal aus der Türkei (Nordkurdistan) in den Nordirak (Südkurdistan) ab. Zwischen den Jahren 2009 und 2015 war er in einen Friedensprozess mit der türkischen Regierung eingebunden, der von Erdoğan beendet wurde. Sodann begann ein umfassender Krieg gegen das kurdische Volk, gleichzeitig wurden alle Kontakte zu Öcalan abgebrochen. Er wurde in eine Situation der totalen Isolation gedrängt. Er wurde zum Schweigen gebracht, weil er Frieden und eine politische Lösung für die kurdische Frage fordert.
Nun, da der türkische Staat ganz offensichtlich keinen Frieden will und stattdessen die Kriegstrommeln schlägt, sollten sich das kurdische Volk, insbesondere die Jugend sowie alle demokratischen und fortschrittlichen Kräfte der Welt hinter Öcalan stellen, die ihm auferlegte Isolation durchbrechen und die aggressive Politik des türkischen Staates stoppen.
Die Jugend ist die ausschlaggebende Kraft für Veränderungen. Damit sich der Status Quo verändert, ist es äußerst wichtig, dass die Jugend ihre Stimme gegen die brutale Politik der Besatzungsmächte Kurdistans erhebt. Öcalan widmete sein gesamtes Dasein dem Ziel, der kurdischen Jugend ein würdiges Leben zu ermöglichen. Nun ist die kurdische Jugend an der Reihe, sich gegen die Situation zur Wehr zu setzen, mit der Öcalan konfrontiert wird und dafür zu kämpfen, wofür er steht.
Im Original erschien das Interview am 30. Dezember 2018 auf der Homepage der Kampagne zur Unterstützung der Hungerstreikenden.