UN-Sondergesandter fordert Ende der Gewalt in Syrien

Der Status quo in Syrien habe sich innerhalb weniger Tage „radikal verändert“, sagte der UN-Sondergesandte Geir Pedersen vor dem UN-Sicherheitsrat und warnte vor einer weiteren Spaltung des Landes, solange eine politische Lösung ausbleibt.

Schlagabtausch zwischen Russland und USA

Der Status quo in Syrien hat sich innerhalb weniger Tage „radikal verändert“. Die Zunahme der Kämpfe in dem Land hätte zu einer „extrem instabilen und gefährlichen“ Situation geführt, die dringend deeskaliert werden müsse, erklärte der UN-Sondergesandte Geir Pedersen am Dienstag (Ortszeit) bei einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats in New York. Er forderte ein sofortiges Ende der Gewalt. Syrien laufe Gefahr, weiter gespalten zu werden.

Die Terrororganisation Hayat Tahrir al-Sham (HTS) hatte vor einer Woche Aleppo überrannt und weite Teile der nordsyrischen Großstadt besetzt. Lediglich Şêxmeqsûd (Scheich Maksud) und Eşrefiyê (Ashrafia) konnten nicht von den Dschihadisten besetzt werden – entgegen der Armee von Präsident Baschar al-Assad, die sich fluchtartig aus Aleppo zurückgezogen hatte, leisten die an die Demokratische Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens (AANES) angebundenen kurdischen Stadtviertel heftige Gegenwehr.

Etwa zeitgleich zur Aleppo-Offensive von HTS belagerte die von der Türkei gesteuerte Dschihadistenallianz „Syrische Nationalarmee“ (SNA) die weiter nördlich von Aleppo gelegene Stadt Tel Rifat (Tall Rifaat), die als Hauptstadt des Kantons Efrîn-Şehba galt. Um ein Massaker an der dortigen Bevölkerung abzuwenden, fasste der Volksrat notgedrungen den Entschluss, sich aus der Region zurückzuziehen. Rund 200.000 Menschen werden nun in andere Gebiete der AANES evakuiert. Auch die Bevölkerung aus nahegelegenen Orten außerhalb der Autonomiezone, darunter die schiitischen Städte Nubl und Zahra, sollen über einen von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) errichteten Fluchtkorridor evakuiert werden.

„Damit sind weite Teile des Landes unter die Kontrolle von nichtstaatlichen Akteuren geraten“, sagte Geir Pedersen mit Blick auf die neue „Landkarte“ Syriens. HTS und SNA kontrollierten nun de facto ein Gebiet, in dem nach UN-Schätzungen etwa sieben Millionen Menschen lebten. „Wenn es nicht zu einer Deeskalation und einem raschen Übergang zu einem ernsthaften politischen Prozess kommt, an dem die syrischen Parteien und die wichtigsten internationalen Akteure beteiligt sind, befürchte ich eine Verschärfung der Krise“, fügte Pedersen hinzu. Er verurteilte die Angriffe aller in die gegenwärtigen Kämpfe verwickelten Parteien, die sich auch gegen zivile Infrastruktur und Krankenhäuser richten, und forderte ihr sofortiges Ende. „Vierzehn Jahre Konflikt haben gezeigt, dass es keine militärische Lösung für die Syrien-Krise gibt“, sagte der norwegische Diplomat.

Russisch-amerikanischer Schlagabtausch im UN-Sicherheitsrat

Russland und die USA sind derweil im UN-Sicherheitsrat aneinandergeraten. Sie haben sich während der Sondersitzung zu Syrien gegenseitig der Unterstützung des Terrorismus beschuldigt. Der stellvertretende US-Botschafter bei der UN, Robert Wood, beschuldigte die Streitkräfte des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und Russlands, bei Angriffen auf Schulen und Krankenhäuser zivile Opfer zu verursachen. „Wir machen uns keine Illusionen, dass Washington jemals bereit sein wird, den internationalen Terrorismus ernsthaft zu bekämpfen“, sagte der russische UNO-Botschafter Wassili Nebensja auf Woods Worte. Nebensja beschuldigte außerdem den Geheimdienst der Ukraine, HTS-Söldner ausgebildet zu haben und die Terrororganisation mit Waffen zu unterstützen.

Als Rebellen verharmloste Kriegsverbrecher

Das Dschihadistenbündnis Hayat Tahrir al-Sham (HTS) ging aus dem syrischen Al-Qaida-Ableger Al-Nusra-Front hervor und wird von den Vereinten Nationen (UN), den USA und der EU als Terrororganisation gelistet. Dennoch wird die Truppe in westlichen Medien oftmals als „Rebellengruppe“ verharmlost und die Provinz Idlib als „letzte Bastion der bewaffneten Opposition“ beschönigt. Auch die von der Türkei aufgebaute, ausgerüstete und finanzierte SNA wird vom Westen mit dem Label „Aufständische“ versehen, obwohl diverse unter dem Dach der Islamistenallianz aktive Dschihadistenmilizen, darunter Ahrar al-Sharqiya und Sultan-Murad-Brigade, von den UN als Kriegsverbrecher benannt werden und mit Sanktionen der USA belegt wurden.