Türkische Militäroperation im Nordirak
Der Besatzungs- und Annexionskrieg, den die türkische Armee mit seinen aus Kriegsgebieten des Nahen Ostens rekrutierten Banden in Südkurdistan führt, hat in den letzten drei Monaten seinen gewalttätigsten Stand erreicht. Durch die Mitwirkung der von den Barzanîs dominierten PDK ist der unter großen Opfern erreichte Status Südkurdistans gefährdet. Der MIT hat fast alle Strukturen infiltriert, die Kurdistan-Region im Irak ist de facto unter die Kontrolle des türkischen Staates geraten. Piling Zerdüşt, einer der Kommandanten der Hêzên Parastina Gel (Volksverteidigungskräfte, HPG), hat sich gegenüber der Zeitung Yeni Özgür Politika zu den aktuellen Entwicklungen in der Region geäußert.
Die türkische Armee greift Südkurdistan mit Unterstützung der PDK an. Was sind die kurz- und langfristigen Ziele dieser Invasion?
Einerseits übernimmt der türkische Staat eine aktive Rolle als Zulieferer für die globalen Hegemonialmächte, die mit einer Intervention im Nahen Osten aus ihrer Systemkrise herauskommen wollen. Aber er führt den Krieg auch mit dem strategischen Ziel, Kurdistan zu besetzen und zu annektieren und den Völkermord an den Kurdinnen und Kurden zu vollenden. Ein weiteres Ziel ist die Ausweitung seines Einflussbereichs. Seine Politik stützt sich hauptsächlich auf die Interventionen der globalen Hegemonialmächte in der Region. Der türkische Staat profitiert von Konflikten. Ihm ist daran gelegen, das Chaos zu vergrößern. Zu diesem Zweck schafft er paramilitärische Bandenstrukturen und exportiert sie überall hin. Der politische Kampf dagegen muss daher ebenfalls global sein und die gesamte Region umfassen.
Die Invasion betrifft ein großes Gebiet, es gibt mehrere Angriffslinien, die sich von Kanî Masî und Zaxo bis Bamerne, Şîladizê und Amêdî erstrecken. Wer oder was ermutigt den türkischen Staat, all diese Orte anzugreifen?
Die türkische Operation zur Besatzung und Annektierung Südkurdistans findet nicht unabhängig von den USA und ihren Bündnispartnern statt. Sie wird unter ihrer Aufsicht durchgeführt. Die türkische Armee ist eine NATO-Armee. Die PDK befürwortet diese Besatzungsoperation und verleiht ihr Legitimität, sie ermutigt die Invasoren. Auch die Angriffe in Syrien, auf Rojava, basieren auf dieser Gleichung. Die Republik Türkei verwirklicht ihre expansionistischen Ambitionen im Gegenzug dafür, dass sie den Interessen dieser Mächte in der Region dient und sich unterordnet. Auch die PDK ist Teil der türkischen Bandenformation geworden. Es gibt eine sehr umfangreiche Vorbereitung für eine Intervention in Kurdistan und der Region. Der türkische Staat und seine Kollaborateure von der PDK sind Subunternehmer internationaler Mächte. Ihre Position ist sehr gefährlich für die Region und muss von breiter Front bekämpft werden.
Türkische Militärs führen Ausweiskontrollen in Amêdî und Bamerne durch. Es gab mehrfach Proteste in Südkurdistan. Wie reagiert die Bevölkerung Ihrer Meinung nach?
Es geht nicht nur um Ausweiskontrollen in und außerhalb einiger Ortschaften. Der türkische Staat hat vor allem in der Behdînan-Region sämtliche Institutionen infiltriert und sich dort niedergelassen. Personen und Strukturen, die sich nicht in seinen Dienst stellen, wurden liquidiert. Er arbeitet mit großer Geschwindigkeit daran, sein eigenes System einzuführen. Dafür werden Truppen stationiert. Die Behauptung, dass der türkische Staat nur die PKK bekämpft, ist eine Täuschung und eine große Lüge. Er mobilisiert alle Mittel, um Kurdistan dauerhaft zu besetzen und zu annektieren. Vor allem unser Volk in Südkurdistan muss sich dessen bewusst sein. Wenn sich seine dschihadistischen Banden hier festsetzen und die Bevölkerung vertreiben, wird es zu spät sein. Das ist aus den Erfahrungen in Rojava bekannt. Die Menschen in Südkurdistan haben in der jüngeren Vergangenheit schwere Massaker erlebt und einen hohen Preis gezahlt. Die von der PDK unterstützte Invasion des türkischen Staates macht den Weg für weitere Katastrophen frei. Es gibt Widerstand in der Bevölkerung, vor allem die Menschen im Kriegsgebiet wehren sich. Aber der Kampf gegen die Angriffe in Südkurdistan muss größer werden.
In der Umgebung der Region Metîna, die besetzt werden soll, sind auch Stützpunkte für irakische Grenzschutztruppen errichtet worden. Gibt es eine Reaktion der irakischen Armee auf die türkische Besatzungsoperation?
Der irakische Staat lässt die Angriffe auf gewisse Weise zu. Er ist gespalten, man kann kaum von einem geschlossenen Staat und einer stringenten Politik sprechen. Es gibt mehrere Kräfte, die eine unterschiedliche Politik verfolgen. Die Angriffe des türkischen Staates auf unsere Bewegung und die Region folgen einem Konzept, in das regionale und internationale Mächte eingebunden sind. Diese Mächte üben Druck auf den Irak aus. Gleichzeitig hat sich die Türkei von ihnen eine Genehmigung geholt. Ohne ihre Unterstützung könnte der türkische Staat keinen einzigen Schritt machen. Sie bewaffnen ihn auch. Es macht keinen Unterschied, ob irgendwelche irakischen Truppen vor Ort sind. Ihre Stationierung entspricht nicht ihrer offiziellen Mission und hat nichts mit Grenzschutz zu tun. Sie halten Wache für das türkische Militär. Die türkische Armee führt dort nicht nur eine Operation durch. Es stellt sich die Frage nach der Gesetzeslage im Irak, wenn irakische Soldaten an der Seite einer Invasionsarmee stationiert werden.
In digitalen Medien verbreitete Videos zeigen PDK-Kräfte, die von der Guerilla zu Verteidigungszwecken gelegte Sprengfallen entschärfen und der türkischen Armee den Weg freimachen.
Die PDK kollaboriert auf allen Ebenen mit dem türkischen Staat. Sie sabotiert Schutzmaßnahmen gegen die Besatzung, legt der Guerilla Hinterhalte und hat an die Guerilla geschickte Gasmasken beschlagnahmt. Sie ist auch an der Koordinierung von Drohnenangriffen beteiligt. In manchen politischen Kommentaren wird so getan, als sei ihre feindliche Haltung gegen die Freiheitsbewegung Kurdistans eine neue Entwicklung. Diese Einschätzung ist unzureichend und falsch. Dass nicht die gesamte Peschmerga gegen die Guerilla eingesetzt wird, bedeutet nicht, dass die PDK die PKK nicht bekämpft. Ein großer Teil der Peschmerga und der Bevölkerung Südkurdistans ist seit langer Zeit gegen einen Krieg mit der PKK. Wir glauben auch jetzt nicht, dass sie kämpfen werden. Die PDK hat aus diesem Grund viele Stammesführer und patriotische Menschen ermordet und hat für den Kampf gegen die Guerilla eine bezahlte Truppe zusammengestellt, die sogenannten Roj-Peschmerga. Sie greift die Freiheitsbewegung Kurdistans bei jeder Gelegenheit militärisch, politisch oder diplomatisch an. Wenn sie sich in der Vergangenheit mit der PKK an einen Tisch gesetzt hat, lag das an ihrer Schwäche oder um die von der PKK vorangetriebenen Entwicklungen zugunsten anderer Kräfte unter Kontrolle zu kriegen. In der nahen Vergangenheit gab es viele solcher Beispiele. Die PDK kooperiert mit Kräften, die den IS anleiten und ihm die Richtung weisen. Sie hat das ezidische Volk in Şengal im Stich gelassen und sich in Europa mit ihrem Kampf gegen den IS gebrüstet. Mit dieser Propaganda soll der Kampf der PKK gegen den IS in den Schatten gestellt werden. Selbst Tayyip Erdoğan behauptet, den IS am stärksten zu bekämpfen. Dabei weiß die ganze Welt, dass er der eigentliche Kalif ist. Dass der MIT Dschihadisten kontrolliert und diese Banden finanziert und ausstattet, ist allgemein bekannt.
Rêber Apo [Abdullah Öcalan] und die PKK-Bewegung haben sich sehr bemüht, die PDK von Kollaboration und Verrat abzubringen. Im Bemühen um eine nationale Einheit hat Rêber Apo sogar vorgeschlagen, dass Mesûd Barzanî Ko-Präsident eines kurdischen Nationalkongresses werden könnte. Dieser Vorschlag wurde in allen Teilen Kurdistans unterstützt. Auch die regionalen und internationalen Bedingungen waren günstig. Aber er hat seinen persönlichen Interessen den Vorzug gegeben und den Vorschlag ohne eine einzige Rechtfertigung zurückgewiesen. Die PDK und insbesondere die Barzanî-Familien leben seit vielen Jahren von den Errungenschaften, die der Kampf der PKK hervorgebracht hat. Für alles, was sie unserem Volk angetan haben und weiterhin antun, werden sie sich verantworten müssen. Niemand ist gezwungen, ihre Sünden noch länger mitzutragen und auszubaden.