Die historischen Probleme des Nahen Ostens werden heute nach wie vor von Konflikten, Spannungen und Kriegen begleitet, und der Machtkampf zwischen internationalen Mächten und lokalen Regierungen nimmt neue Dimensionen an. Die Türkei und die Erdoğan-Regierung gehören zu den Hauptnutznießer dieser Konflikte. Für Erdoğan und die AKP-Regierung ist das Ausnutzen des chaotischen Umfelds und der durch Kriege entstehenden Gelegenheiten zur bestimmenden Politik geworden. Die Besatzung von Teilen Syriens und des Irak und die türkische Präsenz in Libyen folgten genau diesem Opportunismus. Im ukrainisch-russischen Krieg versucht die Türkei, die sich selbst die Aufgabe der Neutralität und des Schlichters auferlegt hat, von beiden Staaten zu profitieren. Im Gaza-Krieg erweckt sie einerseits den Anschein, die Hamas zu unterstützen, unterhält andererseits aber alle möglichen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu Israel.
Rücksichtsloses Spiel mit Krieg
Das rücksichtslose Spiel der Türkei mit Kriegen und den durch Kriege geschaffenen Gleichgewichten wird in naher Zukunft, wenn nicht schon heute, einen hohen Preis haben. Denn die Türkei hat ernste politische und soziale Probleme, vor allem wirtschaftliche Probleme. Die Gesellschaft der Türkei und die Kurdinnen und Kurden haben auf diese jahrelang vertuschten und hinausgeschobenen Probleme reagiert, indem sie die Erdoğan-Regierung bei den Kommunalwahlen am 31. März abgestraft und die AKP zur zweitstärksten Partei degradiert haben.
Die Türkei und die Erdoğan-Regierung befinden sich nicht nur in einer Wirtschaftskrise, sondern auch in der Außenpolitik und der Diplomatie in einem schweren Dilemma. Die Beziehungen zu den USA und der Europäischen Union sowie das Verhältnis als Mitglied der NATO zu Russland und dem Iran stehen kurz vor einem Kollaps.
Im Visier steht die kurdische Freiheitsbewegung
Der türkische Staat und die Erdoğan-Regierung sehen in einem neuen und größeren Krieg den einzigen Weg, um diese Krise und den Stillstand zu überwinden. Sie haben ihre Entscheidung in diese Richtung endgültig getroffen und im Visier stehen das kurdische Volk und die Freiheitsbewegung Kurdistans. Nach diesem Verständnis muss der Wille der Kurdinnen und Kurden gebrochen und die Freiheitsbewegung Kurdistans um jeden Preis liquidiert werden. Inzwischen sind alle Verrenkungen, die ganze Wut und das Betteln und Flehen des Faschisten Erdoğan und des AKP-Staates vollständig auf dieses Ziel ausgerichtet. Dafür gibt es keinen Kompromiss, den sie nicht eingehen würden, keinen Wahnsinn, den sie nicht tun würden, egal, mit wem sie zu tun haben.
Erdoğans Bagdad-Expedition
Auch die Expeditionen Erdoğans nach Bagdad und Hewlêr (Erbil) sind aus dieser Perspektive zu bewerten. Erdoğan ist sich der grundlegenden Probleme und Schwachstellen Bagdads bewusst. Dazu zählen große wirtschaftliche Probleme, politische Instabilität und der Konflikt mit der Regierung von Südkurdistan. Der AKP-Staat hat mit all diesen Problemen des Irak zu tun. Mit dem Iraq Development Road Project will er den Irak dazu bringen, Beziehungen zur Türkei zu unterhalten. Mit der Wiederaufnahme des Ölhandels will er sich in die problematischen Beziehungen zwischen Bagdad und Hewlêr einmischen und die Krise verschärfen. Durch die zur PDK und sunnitischen Turkmenen aufgebauten Beziehungen will er die politische Instabilität im Irak vertiefen und fortsetzen. Er versucht, den Irak mit der Wasserfrage zu locken und ihm Zugeständnisse abzuringen. Der türkische Staat sagt, wenn der Irak die notwendigen und ausreichenden Maßnahmen gegen die PKK ergreift, könne er im Gegenzug auf alles verzichten.
Offene und verdeckte Zugeständnisse
Über die Gespräche und Vereinbarungen, die der faschistische Staatschef Erdoğan in Bagdad getroffen hat, gab es viele Diskussionen und Bewertungen. Es zeigt sich, dass Bagdad viele Zugeständnisse gemacht hat. Einige davon sind vermutlich nicht in vollem Umfang öffentlich gemacht worden, andere wurden geheim gehalten. Dass die PKK und die Kurdinnen und Kurden den irakischen Staat auffordern, die Behauptungen und Gerüchte zu diesen Fragen zu klären, ist selbstverständlich. Sie müssen ihre Politik entsprechend der sich ändernden Situation aktualisieren und alle notwendigen Maßnahmen rechtzeitig und ohne Verzögerung ergreifen.
Gemeinsame Operationszentrale?
Wenn der Irak mit dem faschistischen Staatschef Erdoğan vereinbart hat, dass die türkische Armee über Truppen verfügen und Operationen auf irakischem Gebiet in einer Tiefe von 40 bis 50 Kilometern durchführen kann, ist das natürlich eine ernste Situation. Die PKK wird diese Situation bewerten. Wenn der Irak eine gemeinsame Operationszentrale mit dem türkischen Staat gegen die kurdische Freiheitsguerilla eingerichtet hat, ist die Lage noch gefährlicher.
Betätigungsverbot für die PKK
Es wird auch behauptet, dass der so genannte Unterstaatssekretär für nationale Sicherheit des Irak eine Anweisung und ein Dekret über die PKK vorbereitet und an alle relevanten Stellen im Irak und in der Kurdistan-Region geschickt hat. In dieser Anweisung heißt es, dass die PKK nirgendwo im irakischen Hoheitsgebiet, einschließlich Südkurdistan, politische, militärische oder soziale Aktivitäten entfalten darf, aus welchem Grund auch immer. In der Anweisung wird gefordert, dass solche Aktivitäten verhindert werden.
Irakische Grenztruppen
Unter der Hand wird auch die Nachricht verbreitet, dass die Heres Hudut, die so genannten Grenztruppen, vor allem in den Gebieten Pencêwîn und Asos eingesetzt werden sollen, dass der Irak Vorbereitungen dafür trifft und dazu entschlossen ist. Durch die Stationierung der irakischen Heres Hudut an der türkischen und syrischen Grenze, insbesondere in Behdînan, wurden PDK-Kräfte unter irakischer Flagge in eine Position versetzt, in der sie die Arbeit der türkischen Besatzer erleichtern. Damit werden die Probleme weiter verschärft.
YNK steht unter Druck
Obwohl die YNK in all diesen Fragen unter großem Druck steht, kann nicht behauptet werden, dass sie direkt und vollständig in diesen Plan involviert ist. Es zeigt sich, dass die YNK eine Politik verfolgt, die mit allen zurechtzukommen versucht, ohne jemanden zu konfrontieren.
Mögliche iranische Beteiligung
Der Iran möchte vielleicht kein Partner in einer Politik sein, die dazu dient, den türkischen Staat zu stärken und mehr Initiative in der Region zu gewinnen. Aber vermutlich ist die Frage, in der er sich am leichtesten mit dem türkischen Staat einigen kann, die vollständige Kontrolle der irakischen Grenzen durch die Heres Hudut. Insofern mag auch der Iran einen gewissen Anteil und eine Rolle bei der Einkreisung der kurdischen Freiheitsbewegung haben. Den Entwicklungen nach zu urteilen, ist diese Möglichkeit nicht unwahrscheinlich.
Irakische Ohnmacht
Im Vordergrund steht momentan die ohnmächtige und willensschwache Haltung des Irak. Zunächst einmal sollte der irakische Staat wissen, dass das Eindringen des türkischen Staates in das Hoheitsgebiet eines anderen Landes, aus welchem Grund auch immer, bedeutet, dass das Gebiet besetzt und annektiert wurde. Das war in Zypern, Libyen und Syrien der Fall. Im Irak ist die Türkei seit vierzig Jahren ein- und ausgegangen und hat ihre Besatzung und ihre Operationen ohne Probleme durchgeführt. Inzwischen hat sie mehr als 50 Militärstützpunkte auf irakischem Gebiet errichtet, insbesondere in Mosul und Başîka, wo es keine kurdische Guerilla gibt. In diesen Stützpunkten sind Tausende Soldaten stationiert. Das sollte für einen Staat wie den Irak natürlich nicht akzeptabel sein. Denn hier handelt es sich nicht nur um Drohungen und Schikanen gegen irakisches Territorium, sondern um eine direkte Invasion und einen Vergewaltigungsangriff. Damit werden die Souveränität des Irak und das Völkerrecht mit Füßen getreten. Wenn es dennoch stimmt, dass der irakische Staat auf dieser Ebene Vereinbarungen mit dem türkischen Staat getroffen hat, wäre es unvereinbar mit der Ehre und Würde eines unabhängigen und souveränen Landes.
Von der PKK geht keine Gefahr aus
Der Irak ist sich mehr als alle anderen bewusst, dass die kurdische Freiheitsguerilla Widerstand gegen den IS geleistet hat. Die Guerilla hat die Sicherheit und die Interessen der irakischen Gesellschaft verteidigt, dafür gekämpft und einen hohen Preis bezahlt. Von der PKK und der Freiheitsguerilla Kurdistans kann daher absolut keine Bedrohung und Gefahr für das irakische Volk oder den irakischen Staat ausgehen. Die größte Bedrohung und Gefahr geht von dem kolonialistischen türkischen Staat aus, der syrische und irakische Gebiete im Nahen Osten besetzt und annektiert hat und seit jeher eine kontinuierliche Expansionspolitik betreibt. Es liegt auf der Hand, dass der Irak diese grundlegenden Tatsachen anerkennen und als Grundlage für seine Politik und seine Entscheidungen in Bezug auf die Freiheitsbewegung Kurdistans heranziehen muss.
Familie Barzanî und die Wahlen in Südkurdistan
Hinzu kommen die Rolle und die Aufgaben, die die PDK als treuer und enger Partner des türkischen Staates in diesem Prozess übernommen hat. Sie sind eine Schande und eine Blamage für alle Kurdinnen und Kurden. Die derzeitige Position der PDK ist schlimm und sehr schmutzig. Es ist bekannt, dass die Barzanîs ihre Familieninteressen immer über alle nationalen Interessen gestellt haben. Jetzt stecken sie ihre Köpfe mit dem türkischen Besatzungsstaat zusammen und schmieden Pläne, damit die PKK und der irakische Staat sich gegenseitig bekämpfen. Die PDK will dafür die irakische Flagge benutzen. Sie will eindeutig einen Krieg in Südkurdistan. Im Juni sollen in Südkurdistan Parlamentswahlen stattfinden und es zeichnet sich eine Niederlage für die PDK ab. Ihr Verhältnis zum türkischen Staat, ihre absolute Feindschaft zur PKK, die Verwicklung der Barzanî-Familie in Korruption und profitable Geschäfte, ihr luxuriöses und verschwenderisches Leben weit über dem Lebensstandard der Gesellschaft, ihre unterdrückerische Macht und die Schaffung eines totalitären Regimes, das auf tyrannischer Gewaltherrschaft beruht, haben ihrem Ansehen und ihrer Respektabilität in der Gesellschaft schwer geschadet. Aus diesem Grund fürchtet die PDK die bevorstehenden Wahlen und greift auf alle möglichen legalen und illegalen Mittel und Methoden zurück, um sie zu verschieben und zu verhindern. Nach irakischem Recht können Wahlen nicht im Kriegszustand abgehalten werden. Genau aus diesem Grund versucht die PDK ihr Bestes, um eine außergewöhnliche Situation und einen Krieg in Südkurdistan zu schaffen.
Im Interesse des Irak
Zusammenfassend sollte der Irak die aktuelle Situation und die Entwicklungen mit einer historischen Perspektive bewerten und nicht in den Fehler verfallen, in Partnerschaft mit dem türkischen Besatzungsstaat gegen die Freiheitsbewegung Kurdistans zu handeln und sich am Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden zu beteiligen. Die Interessen des Irak und die Voraussetzungen für ein unabhängiges und souveränes Land machen es notwendig, sich der Invasion des türkischen Staates im Norden des Landes entgegenzustellen und eine entsprechende politische Haltung einzunehmen.
Das kurdische Volk darf nicht passiv bleiben
Auch das kurdische Volk darf nicht passiv bleiben. Das gilt insbesondere für die Menschen im Süden, aber auch in allen anderen Teilen Kurdistans und im Ausland, die politischen Parteien und Institutionen. Die Besetzung und Annexion kurdischen Bodens darf nicht wieder und wieder zugelassen werden. Den neuen Besatzungsversuchen der Türkei und der kollaborativen Haltung der PDK muss entgegengetreten werden.