Ein sozialistischer Kämpfer: Şehîd Bager Nûjiyan

Kasim Engin vom Zentralrat der PKK starb diesen Mai bei einem türkischen Luftangriff auf Südkurdistan. In den Bergen war er dem deutschen Guerillakämpfer Michael Panser begegnet, der Ende 2018 auf gleiche Weise sein Leben verlor.

Unser Freund Bager hat auf die Stimme seines Herzens gehört und ist im Sinne einer guten Gefolgschaft und Freundschaft den Spuren Che’s und seines sozialistischen Denkens gefolgt. Er hat die Aussage von Abdullah Öcalan - „Übt keinen Verrat an Euren Kindheitsträumen” - für sich als Grundlage genommen und hat seinen Weg in diesem Sinne beschritten.

Ist nicht die schönste Beschreibung der Guerilla die, dass die Guerilla Kinder der Natur sind? Oder wenn man sagt, dass sie treue Kämpfer*innen ihrer Träume und Utopien sind? Ob wohl die Beschreibung „diejenigen, die ihre Kindheitsträume nicht verraten haben” eine noch bessere ist? Ob es diejenigen sind, die sich im Sinne der größten Utopien in den freien Fluss des Lebens begeben und beflügelt sind? Indem sie sich niemals beugen, mit ihrer stolzen Haltung, als stärkste Waffe zur Umsetzung von Gerechtigkeit, nehmen sie ihr Herz in die Hand und erheben sich in den schwersten Umständen und Bedingungen widerständig gegen den Tod – sind die Guerilla mit ihrem großen Glauben und ihrer Überzeugung für die Erschaffung einer freien Zukunft nicht an erster Stelle diejenigen, die den Träumen des Che folgen?

Wenn wir von Che sprechen, ist es angemessen, dass uns direkt unser Freund Bager Nûjiyan in den Sinn kommt. Ich habe Heval Bager im Frühling 2018 kennen gelernt. Davor hatte ich bereits von ihm gehört. Er schrieb in einem 15-seitigen Bericht an die Partei, dass er das neue Paradigma insbesondere in der Zentralen Parteiakademie näher kennenlernen und dort lernen möchte. Der Vorschlag wurde als sinnvoll aufgefasst. Und sein Bericht wurde als sehr eingehend und tiefgründig erachtet. Der Bericht nahm sich insgesamt das sozialistische Denken, den Sozialismus und den neuen Menschen vor. Die Freund*innen teilten uns mit, dass er in seinem Bericht weitgehende Gedanken und Vertiefungen mitgeteilt hatte. Da ich selbst auch teilweise an den Bildungsarbeiten teilnehme, habe ich in diesem Zusammenhang auch von Heval Bager gehört. Und weil ich selbst aus Kurdistan stammend in Deutschland aufgewachsen bin, habe ich immer einen besonderen Bezug zu den Freund*innen, die aus Deutschland gekommen sind, und auch eine besondere Beziehung und Aufmerksamkeit für die Jugendlichen, die aus anderen Ländern der Welt in die Berge Kurdistans kommen. Wir als Revolutionär*innen verstehen uns als Teil der weltweiten Revolution. Daher ist unsere Beziehung und unsere Aufmerksamkeit für Internationalist*innen der Welt, die in die Berge gekommen sind, immer eine besondere gewesen. In diesem Zusammenhang hatte ich immer einen besonderen Bezug zu den deutschen Freund*innen, die in die Berge kamen, denn wir entwickeln einfach auf natürliche Weise eine Beziehung zueinander.

Also, bevor ich den Freund Bager kennenlernte, hatte ich bereits einiges über ihn erzählt bekommen. Doch um jemanden zu begreifen, zu erkennen, sich eine Meinung über jemanden zu bilden, muss mensch diejenigen kennen lernen, gemeinsame Zeit miteinander verbringen, sich gegenseitig erfahren, diskutieren, kurz und auf Kurdisch gesagt: miteinander leben.

Wenn mensch zunächst Heval Bager gesehen hat, eine ruhige Persönlichkeit, mit starker Beobachtungsgabe, zuhörend, beim Reden etwas zurückhaltend, gleichzeitig sehr aufgeklärt, eine Person, die weiß wo sie was sagt und diesbezüglich eines großen Bewusstseins im Leben eigen, kurz gesagt sah mensch eine Person, mit einer Persönlichkeit und Eigenschaften, die einem Revolutionär zu eigen sind. Wenn mensch mit Heval Bager diskutierte und ihn kennen lernte, so wurde klar, dass er über einen tiefgründigen Wissensschatz verfügte und man erkannte seinen Glauben in den Sozialismus. Wenn wir von Sozialismus sprechen, so sprechen wir nicht vom Sozialismus, der auf Herrschaft, Staat und der Diktatur des Proletariats aufbaut. Der Sozialismus, den wir zur Grundlage nehmen, ist ein Sozialismus jenseits von Staat, fern von Staatlichkeit und Herrschaft und gegen jede Form von Hierarchie und Unterdrückung.

Als wir uns das erste Mal gesehen haben, haben wir uns auf Deutsch unterhalten. Je mehr ich ihn jedoch kennen lernte, merkte ich, dass der Freund Bager besser Kurdisch sprach als viele Kurd*innen. Sein Kurdisch war so schön und ich bekam mit, dass er Kurdisch lesen und schreiben sowohl an der Mazlum-Dogan-Schule unterrichtete als auch viele eintreffende Perspektiven und Erklärungen in fließendem Kurdisch vor der gesamten Schulklasse vorlas.

Mir war mehr oder weniger bewusst, dass Europäer*innen eine gute Voraussetzung dafür besitzen, neue Sprachen zu lernen. Obgleich mir die historische und soziologische Grundlage dafür auch nicht bekannt ist, so ist mir die Tatsache, dass Europäer*innen und insbesondere Deutsche einfach Sprachen lernen, aus unmittelbarer Nähe bekannt. Doch ein Mensch, der von einem fremden Ort ist und auf kurdischer Sprache die Kämpfer*innen dieses Volkes unterrichtet, war wirklich von großem Interesse und aufschlussreich für uns.

Die Moralabende bei der Guerilla sind allseits bekannt. Wenn von Moralabenden gesprochen wird, so verstehen wir darunter folgendes: alle 15 Tage veranstaltet jede Guerilla-Einheit ein Fest, um die eigenen kulturellen Fähigkeiten zu entwickeln. Bei diesen Festen erzählen einige Freund*innen Erinnerungen, einige tragen eigene Gedichte oder die Gedichte bekannter Revolutionär*innen und Sozialist*innen vor, einige Freund*innen singen Lieder, einige ahmen die Bewegungen anderer nach, wenn die Umstände es hergeben, so wird traditionell auch getanzt und Theater gespielt oder auch Pantomime vorgespielt.

Revolutionär*innen oder Guerillas sind nicht nur gute Kämpfer*innen, weil ihr Kampf der Schöpfung eines neuen Menschen gilt. In erster Linie ist es auch ein kultureller Kampf. Es sind Kämpfer*innen gegen jede Rückschrittlichkeit, Ausgrenzung, Unrecht und Ungerechtigkeit. Kämpfende dafür, sie selbst zu sein und zu werden. Daher sollte ihnen die Genauigkeit und Feinfühligkeit eines Kunstschaffenden zu eigen sein. Wenn ihr Leben nicht künstlerisch ist, so ist es mangelhaft, falsch, sie wenden im Leben als Guerilla falsche Methoden an und sind fehlerhaft. Wie Che Guevara sagt: „Der neue Mensch ist nur mit der entwickelten Kultur der Revolutionär*innen möglich”. Eine weit entwickelte Kultur ist die Liebe zur Freiheit, und bedeutet eine stolze und würdige Haltung gegen jede Form von Unterdrückung und Erniedrigung!

Vielleicht sagt ihr nun: „Warum erzählst du uns das?” Da Heval Bager in den letzten Jahren sowohl bei den offiziellen Festen als auch an besonderen Tagen und Jahrestagen, die veranstaltet wurden, wo Freund*innen sich mit Tembûr, Gitarre, Trommeln und ihren anderen Instrumenten beteiligen, immer an erster Stelle war und noch vor allen anderen eine Rolle darin übernahm. Heval Bager hat sowohl bei den offiziellen Festen, natürlich auch auf vielen Sprachen und mit den anderen Freund*innen gemeinsam revolutionäre Lieder gesungen, auch bei den ganz spontan entstehenden Moralabenden hat er dutzende Lieder nacheinander mit den anderen geteilt. Alle Freund*innen haben voller Begeisterung dem internationalistischen revolutionären Gefährten, der aus einem anderen Land gekommen war, zugeschaut. Besonders wenn er das Lied von Nathalie Cardone sang, das den Namen „Commandante Che Guevara” trägt, haben alle Freund*innen von ganzem Herzen geklatscht und mitgesungen. Ein anderes Lied, das Heval Bager immer gesungen hat, ist das Lied „Sê Jinên Azad – Drei freie Frauen” von der Freundin Delîla. Dieses Lied wurde in der Schule direkt mit Heval Bager in Verbindung gebracht. Ein anderes Lied, das alle mit ihm in Verbindung brachten, war ein weiteres Lied von Heval Delîla mit dem Namen „Zîlan”.

Zunächst habe ich den Freund Bager auf diese Weise kennen gelernt. Zweifellos ist es mit unserem Kennenlernen nicht dabei geblieben. Je mehr mensch ihn kennen lernte, desto mehr war seine Liebe und Treue zu den Menschen, ebenso seine Verbindung mit dem Sozialismus und ganz ohne Zweifel seine tiefe Liebe für das Paradigma Abdullah Öcalans sichtbar.

Ich hoffe, es wird nicht falsch verstanden, wenn ich sage, dass das Umfeld in dem Menschen aufwachsen, diese beeinflusst und sie formt. Europa ist das Zentrum der kapitalistischen Moderne. Seinen Zentralismus nimmt es vor allem auch aus der Besonderheit, dass es keinen einzigen Menschen in Ruhe lässt, bis er in das System eingebunden ist. Es ist eine solche zentralistische Haltung, die andere Menschen um sich herum herablassend betrachtet. Bis dahin, dass zu seiner Zeit, als Menschen aus Afrika auf Märkten verkauft wurden, darüber diskutiert wurde, ob es denn nun Menschen seien und ob denn ihr Körper Schmerzen empfinden oder nicht! Es ist eine Modernität, die so sehr von sich selbst überzeugt ist, dass gerade sehr humanitäre Menschen sie in diese Lage versetzten. Solche Formen der Annäherung haben zu seiner Zeit dafür gesorgt, dass Christopher Columbus und seine Gefährten dasselbe gegen die indigenen Amerikaner unternahmen. Gleichzeitig sind diese Unternehmungen, die dem Menschen das Menschsein entzogen, legitimiert durch Bibelpsalmen. Wir können das, was geschehen ist, in dutzenden Schriften von Päpsten und Pfarrern nachlesen.

Also, Europa ist selbstbezogen-zentralistisch. Und eben das gibt es an seine Gesellschaft weiter oder auch wird es ihnen eingetrichtert. Seine Gesellschaft und den Einzelnen darin lässt es fühlen, dass sie sehr besondere Menschen sind, macht sie so zu Mittragenden seines weltweiten Kolonialismus und lässt sie verstummen. Kurz gesagt, europäische Menschen schauen von oben herab auf Menschen in Afrika, Asien und dem Mittleren Osten natürlich. Das, wovon ich spreche, birgt seine Quelle nicht im Guten oder Schlechten des Menschen. Das System der kapitalistischen Moderne tut durch sein Bildungssystem alles, um europäische Menschen in diese Lage zu versetzen. Zweifellos hat der verstorbene Schriftsteller Immanuel Wallerstein nicht ohne Grund gesagt: „Wir sind alle ein bisschen Kinder der kapitalistischen Moderne.” Obgleich es nicht ihre Absicht ist, sich zu überhöhen, andere herablassend zu betrachten, sich auf eine Weise in herrschaftliche Positionen zu bringen. All das wird auch in unseren Einheiten sichtbar.

Doch ich kann sagen, dass ich in der Persönlichkeit von Heval Bager nicht mal ein kleines bisschen an Selbstbezogenheit und Egoismus gesehen habe. In der Schule war er unter seinen FreundInnen vielleicht sogar der kommunalste, der am meisten teilte, mit jeder und jedem in den Austausch trat, mit all der ihm zur Verfügung stehenden Kraft versuchte, für die Sorgen aller Lösungen zu finden, das heißt von seiner Richtung her ein gesellschaftliches Vorbild und mit seiner Haltung im Leben sehr bescheiden war.

Wenn mensch ihn so betrachtete – wäre er nicht ein hellblonder Typ – so hätte man nicht gemerkt, dass er ein deutscher Freund ist. Er hatte also auf seinem Weg in die Berge die Mittel von Che zur Grundlage genommen. Als Che sich von seiner Mutter verabschiedete, hatte er nicht ohne Grund gesagt: „Wieder einmal spüre ich zwischen meinen Fersen die Rippen Rosinantes. Ich bin wieder unterwegs” Und als Che Kuba verließ und sich im Dienste der Revolution auf den Weg in ein noch ungeklärtes Land in Afrika machte, sagte er nicht grundlos zu Fidel: „Andere Länder der Welt warten auf meine bescheidene Hilfe.” Ein Mensch, der in einem anderen Land auf der Welt versucht, seine bescheidene Hilfe zu leisten, der muss zunächst mit den Revolutionär*innen vor Ort und der Gesellschaft dort eins werden, um mit seinen Bemühungen erfolgreich zu sein. Das Problem ist nicht die Rückschrittlichkeit oder Fortschrittlichkeit an diesen Orten; das Problem ist das Unrecht, das dort geschieht, auf eine tiefgründige Weise fühlen zu können, und somit ein kleines bisschen für ihre Probleme eine Lösung zu finden. Diese Lösung umzusetzen ist zweifellos durch Bescheidenheit möglich.

Der Freund Bager war wirklich ebenso sehr, wie er von Che begeistert war, auch ein guter Weggefährte von ihm. Er war so, dass er um Revolutionär zu werden zunächst das Land von Che und dann viele Länder Lateinamerikas bereiste. Neben Deutsch und Englisch sprach er auch Spanisch. Sprache ist schlussendlich der Angelpunkt jedes Austausches. Um mit Menschen eine gute Beziehung aufzubauen, musst du mit ihnen sprechen. Um sprechen zu können, musst du die Sprache können. Heval Bager hat diese Wahrheit früh erkannt und wo auch immer er hinging, lernte und sprach er die Sprache vor Ort bestmöglich.

Eine grundlegende Eigenschaft eines Revolutionärs ist es auch, wo auch immer er hingeht, Verbindung und Austausch zu pflegen. Der große türkische Internationalist und Weggefährte Kemal Pîr sagte: „Wenn ich täglich nicht die Gesichter von hundert Menschen sehe, dann kann ich nicht ruhig bleiben.” In die Gesichter von Hundert Menschen zu blicken, bedeutet Verbindungen aufzubauen. Im Geiste mit ihnen eins zu werden. Einander von tiefstem Herzen zu fühlen. Der Weggefährte Bager wurde sowohl durch seinen Austausch als auch durch seine Einigkeit im Geiste, innerhalb kürzester Zeit ein reifer Kämpfer der Berge.

Zweifellos kann mensch nicht immer und überall auf einen solchen Weggefährten treffen oder wann immer er will, einen solchen Freund kennen lernen. Manchmal bringt das Schicksal Menschen mit einem solchen engelgesichtigen, zarten, liebevollen, feinfühligen und zuvorkommenden Revolutionär in Berührung, mit großem Intellekt, hingebungsvoll in seinen Bemühungen und durch seine Haltung ein Revolutionär. Unser Freund Bager war ein solch ausfüllender und ausgewählter Revolutionär und Kämpfer. Wir Menschen halten immer Ausschau nach solchen Persönlichkeiten und Weggefährten und sehnen uns nach ihnen. Er war ein solcher Freund, dass mensch geduldig die Murmeln seiner Tesbih-Kette weiterschob, bis er seine Worte sagte. Er war so einer, dass mensch kilometerweit gehen würde, um ihn zu sehen, in sein aufgewecktes Gesicht zu blicken und bei der Begrüßung ihn innig und ausgiebig zu umarmen, ihn von Herzen und in tiefer Verbundenheit nach seiner Verfassung zu fragen. Er war eine Persönlichkeit, die mensch nicht vergisst. Obgleich das Revolutuionärsein etwas kommunales ist, solche Weggefährt*innen trägt mensch ewig in den Tiefen seines Herzens.

Wenn ich mich nicht irre, habe ich zwei Unterrichtseinheiten abgehalten an der Schule, in der auch Heval Bager sich befand. Eine davon war zur Geschichte Kurdistans. Wenn wir die Geschichte Kurdistans als Unterricht behandeln, so betrachten wir dabei natürlich nicht nur die Kurd*innen und Kurdistan. Wir betrachten dabei die Kräfte der demokratischen Moderne, die in der Front gegen die herrschaftliche, gewaltsame und staatsbezogene kapitalistische Moderne ihren Platz einnehmen. Als wir in diesem Zusammenhang das sklavenhalterische römische Imperium zum Thema hatten, bewerteten wir insbesondere auch die christlichen inneren Bewegungen, die sich dagegen im Aufstand befanden, und ebenso die Bewegungen aus dem Norden wie die Germanen, die, um nicht versklavt zu werden, Welle für Welle den Weg nach Rom einschlugen und ihre Rache nahmen. Außerdem behandelten wir auch die Bewegungen der Teutonen, Alemannen und zweifelsohne genauso die Gallier, Normannen und all die Völker, die gegen die Sklavenherrschaft Roms Widerstand leisteten. Wenn wir uns mit ihnen beschäftigen und sie bewerten, dann versuchen wir insbesondere ihren Charakter zu verstehen. Wir versuchen das Erbe derer, die nicht versklavt wurden, zu begreifen und zu erkennen. Aus diesen Analysen versuchen wir die Lehren zu ziehen, die für uns nötig sind. Daher sind die Vertiefungen bezüglich der Rolle dieser Bewegungen für uns sehr bedeutsam. Einerseits erkennen wir die Germanen-Alemannen, die sich nicht ergeben und sich nicht beugen, andererseits die Germanen-Alemannen, die willkürlich einfältig, eigensinnig, dickköpfig, engstirnig, zornig sind und niemanden außer sich selbst kennen, wir behandeln diese Themen und diskutieren sie.

In diesen Diskussionen haben wir den Freund Bager in die Tiefen der deutschen Geschichte begleitet und ihm viele Fragen gestellt. Sehr eindrucksvoll war dabei zu begreifen, dass, ganz gleich, wo auf der Welt wir leben, solange es ein Ort ist, wo Stämme stark ausgeprägt gelebt haben, so ähneln wir einander. Als nun Heval Bager aufstand und ein bisschen sich und ein bisschen die Germanen erläuterte, war die gesamte Schule beeindruckt davon, dass Germanen und Kurden, also auch die Germanen und Araber, die Germanen und Perser und andere Völker mit Stammestradition an anderen Orten der Welt sich einander ähneln. Wenn sich etwas geändert hat, so besonders in den letzten 200 Jahren, also durch nichts anderes als das Zeitalter des Monsters namens Nationalstaat, Rassismus, Fundamentalismus, Sexismus und positivistische Ideologien, die die Völker voneinander lösen und miteinander verfeinden. Je mehr wir uns dessen bewusstwerden, desto mehr schließen wir das kommunale und natürliche Leben in unsere Arme und entwickeln unsere Utopie im Kampf gegen den Rassismus und jede andere Krankheit, die der Nationalstaat ausgebreitet hat, immer weiter.

Da wir alles in Verbindung setzen, sehen wir Che, der in einem Teil der Erde aufsteht und sich für die Umsetzung der Revolution auf den Weg nach Afrika macht. Der Weggefährte Bager kam ebenso von einem Teil der Erde in einen anderen Teil der Welt, in ein anderes Land, um sich für die Revolution und Freiheit eines Volkes mit dem kämpferischen Geist seines Volkes in den Reihen der Revolution zu beteiligen.

Auf diese Weise haben wir in vielen Unterrichtseinheiten mit dem Freund Bager diskutiert. Er fragte und die Freund*innen antworteten, die Freund*innen fragten und er antwortete. Ist das Revolutionärsein nicht eben, dass wir uns gegenseitig vervollständigen? Wenn es das ist, dann hat der Freund Bager den Freund*innen gegeben, was er geben konnte und die Freund*innen gaben ihm, was es zu geben galt.

Je mehr wir die Vertiefung sahen, die in dem Freund vor sich ging, desto weiter trugen uns unsere Diskussionen bis an viele Orte der Welt. Bald ließ sich erkennen, dass der Freund Bager bewusst die Berge Kurdistans gewählt hatte und hergekommen war. Auf diese Weise habe ich von ihm das große Interesse verstanden, mit dem das Paradigma Abdullah Öcalans zunächst in Europa, aber auch an vielen anderen Orten weltweit aufgenommen wird. Zunächst seit 1990 bis heute zählte er die neuen Suchen, die sich weltweit an vielen Orten entwickelt haben, eine nach der anderen auf. Wirklich, je mehr er erzählte, erweiterte sich mein Horizont und der aller Freund*innen. Wenn mensch lernt, dass er mit Weggefährt*innen an einem anderen Ort der Welt dieselben Gefühle und Gedanken teilt und im selben Geist lebt, so erweitert es das Herz und den Horizont jeder/s Einzelnen. Natürlich gibt es Forschungen, die wir anstellen und studieren, insbesondere mit vielen deutschen Freund*innen, die ich kennengelernt habe, mit denen ich diskutiert habe, mit den vielen Internationalist*innen, die ich getroffen habe. Ich kann jedoch klar sagen, dass ich das Paradigma Abdullah Öcalans am häufigsten mit Heval Bager diskutiert habe.

Der Bildungsdurchgang ging auf sein Ende zu. Bei uns werden vor dem Ende der Bildung ‚Plattformen‘ gebildet. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt für die Bewusstwerdung und Veränderung uns aller. Die Kritiken der Freund*innen für uns und unsere Selbstkritik für sie – wir verstehen das Leben als kritikwürdig und berichtigen es. Plattformen sind unsere Aktionsform dafür. Die wirksamste Waffe der Freiheitskämpfer*innen ist die Kritik und Selbstkritik. Das grundlegendste Ziel dieser Plattformen ist es, unsere Eigenschaften, die der demokratischen Moderne nicht entsprechen, selbst zu erkennen und durch Kritik und Selbstkritik zu überwinden.

Auch die Plattform von Heval Bager hat stattgefunden. Dabei wurde deutlich, wie sehr die Freund*innen Heval Bager wertschätzten und respektierten. Ohne Zweifel entwickelt ein/e Revolutionär*in selbst den sie/ihn auszeichnenden Respekt. Was die Achtung ausmachte, die ihm entgegengebracht wurde, war seine sozialistische und treue Persönlichkeit.

Vielleicht wird es euch besonders auffallen, doch ich möchte es ein weiteres Mal sagen: Die Wirklichkeit, die wir für die Freiheit Kämpfenden auf höchster Weise verteidigen, ist, dass wir alle mit unserer individuellen Art und Farbe zum revolutionären Kampf beitragen. Wir wollen, dass alle sich mit ihrer Farbe und Kultur beteiligen. Wer aus der arabischen Gesellschaft kommt, mit der Farbe der Araber*innen, Türk*innen mit der Farbe der türkischen Gesellschaft, Armenier*innen mit der Farbe der armenischen Gesellschaft, Angehörige der Suryoye, Alevit*innen und Ezid*innen beteiligen sich mit der Farbe ihrer religiösen Gemeinschaften. Wer sich nicht mit seiner eigenen Farbe am Kampf der Revolution beteiligt, kann auch nicht sein ganzes Potential entfalten. Wer andere nachahmt, kann sich seiner selbst nicht bewusst werden. Heval Bager besaß in seinem Leben, seiner Haltung, seiner Sprache, seinen Liedern und den Beziehungen zu seinen Freund*innen eine reife und bewusste Haltung. In den Plattformen wurde er mit seiner beispielhaften Haltung eine leibhaftige Kritik für die Freund*innen, die ihren Bericht nicht auf Kurdisch verfasst hatten. Gleichzeitig hat er bei seinen Plattformen stets tiefgründig über die Wirklichkeit der deutschen Gesellschaft nachgedacht, denn jedes Kraut und jede Blume erblüht auf ihren eigenen Wurzeln. Also sollten deutsche Freund*innen nicht zu Kurd*innen werden. Um sie zu verstehen, ist zwar eine empathische Annäherung zweifellos notwendig, aber dies hat Heval Bager auch getan. Er war ein solcher Freund. Er hat sich so sehr mit dem Guerilla- und Revolutionärsein vereint, dass seine Freund*innen ihn bewunderten.

Zum Abschluss der Bildungseinheit kam die Musikgruppe Amara zu den Festlichkeiten der Mazlum-Dogan-Parteischule. Heval Bager hat dutzende Lieder auf den verschiedensten Sprachen gemeinsam mit der Gruppe gesungen und begeisterte alle Freund*innen. Als ein in Deutschland aufgewachsener Freund fragte ich ihn, ob er das Lied „Roter Wedding” singen würde, was er mit großer Freude tat. Nach Jahren mit der Stimme von Heval Bager das deutsche revolutionäre Lied „Roter Wedding” zu hören, hat mir eine große Freude und Motivation gebracht.

So gut wie alle Freund*innen wussten von der Geschicklichkeit und den Fähigkeiten Heval Bagers. Unter vielen Talenten, die er besaß, spielte er auch sehr schön auf der Gitarre und der Geige. Alle Schüler*innen der Schule sahen und wussten es, aber er sang ebenso schön Lieder dazu. Es wurde viel diskutiert und ein Kulturkomitee aufgebaut, um Lieder in vielen verschiedenen Sprachen zu schaffen. Das grundlegende Ziel war es, in verschiedenen Sprachen Lieder über die großen Kommandanten und Revolutionäre Erdal – Engin Sincer, Atakan Mahir – Süleyman Çoban und Egîd – Mahsum Korkmaz zu schreiben und zu singen. Einen ganzen Winter lang wollten sie gemeinsam mit der Musikgruppe Awazên Çiya neue Lieder schöpfen, um diese Freunde wie Che Guevara mit seinem Lied unsterblich zu machen. Dafür ist auch Heval Bager für eine bestimmte Zeit in die Kulturarbeiten versetzt worden.

Als Heval Bager in den Kulturarbeiten war, haben wir uns auch manchmal gesehen, doch mehr als das haben wir uns geschrieben. Da er sehr tiefgründige ideologische Bewertungen vornahm, schickte er mir einige Texte zu, um sie weiterzusenden. Ich hatte ihm auch vorgeschlagen, Texte über das Paradigma zu schreiben. Auch hat er von mir Material und Quellen zu den deutsch-türkischen und deutsch-kurdischen Beziehungen angefordert, um dazu zu forschen. Ich habe das Material bei mir gesammelt und aus Archiven angefordert, zusammengestellt und ihm zugeschickt.

In einer Zeit, als wir voller Erwartung für die Guerilla Kurdistans und das Paradigma der demokratischen Moderne waren, auf Vertiefung, Vermehrung und seine dahingehend neue Schöpfung in kultureller und künstlerischer Hinsicht, haben Flugzeuge des faschistischen türkischen Staates am 14. Dezember 2018 die Medya-Verteidigungsgebiete angegriffen und wir haben die traurige Nachricht erhalten, dass er gefallen ist. Es ist angemessen zu sagen, dass alle Freund*innen, die Heval Bager kannten, zerbrachen. Die Worte waren in ihren Mündern vertrocknet! Die Schwere der Winter in Kurdistan ist bekannt. In diesem Monat des schweren Winters hoben die Freund*innen den Körper von Heval Bager von dem Ort, an dem er gefallen war und brachten ihn mit einer eindrucksvollen Gedenkfeier zum Friedhof der Gefallenen. Als sein Körper auf dem Friedhof begraben wurde, war auch ich anwesend. Keine der anwesenden Personen bekam auch nur ein Wort über die Lippen, doch die Tränen ihrer Augen hielten nicht an. Fast alle Freund*innen, die ihn begruben, kannten ihn persönlich. Die größte Wut der Freund*innen bezog sich darauf, dass ein Freund vom anderen Teil der Welt kommend die Art und Weise von Che zum Leben erweckt, um für die Revolution in Kurdistan zu kämpfen, unter uns seinen letzten Weg geht. Kämpfer*innen, die sich der Revolution anschließen, wissen, sobald sie ihre Schritte in diesem Kampf gehen, dass Revolution und Revolutionärsein seinen Preis hat. Diejenigen, die glauben, dass eine andere Welt möglich ist, wissen, dass dies nicht geschieht, ohne Opfer dafür zu geben. Daher haben sich im Freiheitskampf Kurdistans bereits zehntausende schöne Seelen der Revolution gewidmet!

Die Haltung aller Revolutionär*innen, die sich den Bergen und der Guerilla zugewendet haben, ist stets in diesen Worten Ches versteckt, im Gefühl „Woher auch immer und wie auch immer der Tod kommen wird, wenn die Worte unserer Münder in den Ohren aller widerhallen, unsere Waffe nicht aus den Händen fällt, andere Menschen mit den Rufen des Krieges und des Erfolges und mit den Geräuschen der Gewehre auf unseren Gräbern verweilen, so soll der Tod voller Segen und willkommen sein”.

So sehr wir uns dessen bewusst sind, so lässt unser Herz nicht los und akzeptiert nicht, dass ein Freund von jener Seite der Erde gekommen ist und Schulter an Schulter mit uns in unserem Land für die Revolution Kurdistans gekämpft hat, zur Brücke der Revolution wurde, von uns genommen wurde und gehen muss. Das akzeptieren wir niemals. Mit den Worten Emma Goldmans „Bis die Träume nur noch eine Weintraube im Sonnenlicht sind”, werden wir in der Persönlichkeit Heval Bagers unseren Kampf auf höchster Ebene fortsetzen bis zum Erfolg, um die Träume, Utopien und Ziele aller RevolutionärInnen für die Freiheit zu verwirklichen.

Unsere Worte für das Leben, unsere Suche im Leben und unser Maß im Leben immer und bei jedem Schritt:

-Hasta la Victoria Siempre!

-An Sosyalîzm an Sosyalîzm! Entweder Sozialismus oder Sozialismus!

-Jiyan an dê azad be yan azad be! Das Leben wird frei sein oder frei sein!


*Kasim Engin (Ismail Nazlikul) schloss sich Ende der 1980er Jahre der PKK an und war zuletzt Mitglied im Zentralrat der Arbeiterpartei Kurdistans. Am 27. Mai 2020 kam er bei einem Luftangriff der türkischen Armee auf das Gebiet Bradost in Südkurdistan ums Leben. Sein Text über Michael Panser (Bager Nûjiyan) erschien zuerst bei der Internationalistischen Kommune