Diskussionen über Revolution von Rojava in Slowenien

Das Interesse an der Revolution von Rojava wird in Slowenien immer größer. Zuletzt besuchten Aktivist*innen des Frauendorfs Jinwar und der Internationalistischen Kommune die Städte Ljubljana und Maribor. Wir haben mit ihnen über ihre Eindrücke gesprochen.

Auch in Slowenien gibt es ein großes Interesse an der Revolution in Rojava. Um über die Revolution in Rojava zu berichten und zu diskutieren, besuchten Aktivist*innen des Frauendorfs Jinwar und der Internationalistischen Kommune von Rojava die Städte Ljubljana und Maribor. ANF sprach mit den Internationalist*innen über ihre Veranstaltungen, ihre Eindrücke und über die Geschichte Sloweniens. 

Wie kam es, dass ihr das Frauendorf Jinwar und die Internationalistische Kommune in Slowenien vorgestellt habt? 

Seit einigen Jahren ist das Interesse an der Revolution in Rojava auch in Slowenien immer größer geworden. Das Buch „Revolution in Rojava“ wurde ins Slowenische übersetzt und hat großen Anklang gefunden. Mit Rojava wird die Hoffnung und Überzeugung verbunden, dass grundlegende gesellschaftliche Veränderung mit dem Ziel der demokratischen Selbstverwaltung auch noch im 21. Jahrhundert möglich sind. Bis zum heutigen Zeitpunkt waren nicht viele aus Slowenien selbst in den befreiten Gebieten im Nordosten Syriens und hatten die Möglichkeit, persönliche Erfahrungen zu sammeln. Daher wurden wir von Aktivist*innen aus Slowenien eingeladen, über unsere Erfahrungen und Perspektiven in den Städten Maribor und Ljubljana zu sprechen.

Dieser Austausch und die gemeinsamen Diskussionen zeigen einmal mehr, dass die internationalistischen Verbindungen und Verknüpfungen stetig wachsen und unsere Kämpfe und Gedanken immer mehr ineinanderfließen, sich Ideen und Erfahrungen ergänzen und gemeinsame Perspektiven entstehen.

Wie waren die Veranstaltungen und über was habt ihr gesprochen und diskutiert?

Neben der aktuellen politischen Lage in Syrien sind wir auf die grundlegenden Strukturen der Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien eingegangen, vor allem auf die vielen verschiedenen Ebenen und Wege der Partizipation der Gesellschaft in der demokratischen Selbstverwaltung, von den politischen Parteien bis zu den Kommunen und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Einen Schwerpunkt haben wir aber auf unsere Erfahrungen im Dorf Jinwar und der Internationalistischen Kommune und die allgemeinen gesellschaftlichen Arbeiten gelegt. Denn in dieser Arbeit wird die gesellschaftliche Revolution am meisten sichtbar und spürbar.

In Maribor wurden wir eingeladen, in einem Podcast des „Radio YoureUp“ über die Kommune und Jinwar, aber auch allgemein über Internationalismus zu berichten. Der Podcast kann auch im Internet angehört werden. Das Radio ist Teil des „GT 22“, eines kulturellen Zentrums, mit politischem Anspruch. Neben dem Radio haben dort auch eine der ältesten Fotosammlungen von der Stadt, eine inklusive Theatergruppe, eine Skatehalle und diverse Kunstausstellungen ihren Platz. Eine wichtige Person für das Zentrum und die Menschen, die dort arbeiten, ist Svetlana Makarovič, die selbst aus Maribor stammt. Die slowenische Dichterin, Schriftstellerin und Schauspielerin setzt sich immer wieder mit gesellschaftskritischen Themen auseinander, steht für einen klaren Antifaschismus und ist Vorbild weit über die linkspolitische Szene in Maribor hinaus.

Eingang zur Fotoausstellung in GT22

Nach dem Podcast fand eine öffentliche Veranstaltung im Kinosaal des Zentrums statt, bei der neben den besagten Inhalten auch die „Komîna Fîlm a Rojava“ (Filmkommune Rojava, Anm. d. Red.) vorgestellt und einer ihrer Kurzfilme gezeigt wurde. In einem weiteren Video, in dem eine Aktivistin der Filmkommune selbst sprach, wurde noch einmal auf die aktuelle Situation in Rojava und im speziellen auf die Situation der Komîna eingegangen. Denn auch die Filmkommune musste nach den brutalen Angriffen und der Besatzung durch die türkischen und islamistischen Truppen ihren Ort in der Stadt Serêkaniyê verlassen.

In Ljubljana hatten wir die Möglichkeit, im autonomen Zentrum „Rog“, einer ehemaligen Fahrradfabrik, zu sprechen. Es ist einer der zentralen politischen Orte in der Stadt und lebt von vielen verschiedenen Initiativen wie einem Zirkus, künstlerischen Studios und Geflüchteten-Initiativen.

Welche Erfahrungen von euch in Rojava waren von besonderem Interesse für die Aktivist*innen in Slowenien?

Für die Besucher*innen der Veranstaltungen in Maribor war besonders interessant, welche Bedeutung die Kommunen in der Revolution in Rojava haben und wie sie konkret arbeiten. Wir sind dabei auf die verschiedenen Komitees der Kommunen eingegangen, von Selbstverteidigung bis hin zur Gesundheitsversorgung und den Familien der Gefallenen. Das Interesse daran ist groß, denn seit den Protesten gegen die Regierung im Jahre 2012 und 2013 haben viele Aktivist*innen den Fokus auf den Aufbau von Stadtteilräten und ihrer Selbstverwaltung gelegt. Dabei kommt die Frage immer wieder auf, wie es geschafft wird, dass die Partizipation der Menschen nicht am Rande des eigenen Stadtteils aufhört, sondern zu einer grundsätzlichen Politisierung und politischen Praxis führt.

Besonderes Interesse fand auch der Punkt, wie die Revolution es schafft, verschiedene religiöse Gruppen, Kulturen und politische Vorstellungen – also verschiedene Identitäten - zusammen zu bringen. Wie wird es in Rojava geschafft, dass sich trotz der Heterogenität der Gesellschaft und der Realität, dass in der Geschichte verschiedene Gruppen gegeneinander ausgespielt wurden, eine gemeinsame gesellschaftliche Kraft entwickeln konnte.

In Slowenien, wie in vielen anderen europäischen Ländern, sind die verschiedenen linken politischen Kräfte gespalten und entwickeln keine gemeinsame revolutionäre Perspektive, in der sich alle wiederfinden und eine gemeinsame Kraft darstellen. Gemeinsam kamen wir auf die Analyse, dass wir uns den Leitspruch „Einigkeit in der Verschiedenheit“ - „Unity in Diversity“ mehr zu Herzen nehmen sollten und herausfinden müssen, was das für unsere konkreten Kontexte bedeutet. Bis zu diesem Zeitpunkt fehlte genau eine solche Perspektive in politischen Kontexten Europas, die zumeist Abwehrkämpfe führten und es nicht schafften, eine positive Perspektive aufzubauen. Vor allem in den Ländern und Regionen, in denen eine „sozialistische Revolution“ geschafft wurde, aber langfristig scheiterte, befindet sich die Linke in großer Depression und Perspektivlosigkeit, welche es nun zu durchbrechen gilt.

Rojava ist auch deshalb ein wichtiger Bezugspunkt, da die Idee des Demokratischen Konföderalismus eine einende Perspektive aufmacht, die von den Unterschiedlichkeiten der Menschen belebt wird. Die Historie und Erfahrungen der sozialistischen Versuche werden dabei nicht vergessen oder verneint, sondern miteinbezogen und doch etwas Neues daraus entwickelt.

In den Diskussionen ging es auch oft um die Bedeutung von Militanten und Organisation in revolutionären Prozessen. Wir haben viel darüber diskutiert, auf welchen Werten und Prinzipen die PKK basiert und nach denen die Militanten handeln und ihre Arbeiten und ihre Persönlichkeiten bewertet werden. Gerade aus den Erfahrungen der Partisanen, die gegen den italienischen und deutschen Faschismus kämpften, in Verbindung mit einer starken Kommunistischen Partei in Zeiten der Republik Jugoslawien sind das wichtige Fragen, die sich Aktivist*innen stellen.

Gedenkstätte für die Gefallen und Ermordeten während des der faschistischen Besatzung

Wichtig war uns auch, über die Bedeutung der Gefallenen zu sprechen. Denn sie sind ein bedeutender Teil des Kampfes, aber in der slowenischen Gesellschaft und Linken, nicht unumstritten. Zwar wird sich der zivilen Opfer im zweiten Weltkrieg gemeinschaftlich erinnert, doch das Gedenken an die Partisanen ist umstritten. Das macht es für einige schwer, einen Zugang zu der Erinnerung und Bedeutung von Gefallenen herzustellen. Es gilt also, eine neue Perspektive auf und emotionale Bindung zu den Gefallenen aufzubauen. Diese Diskussionen sind von großer Bedeutung, da die Gefallenen den Weg und die Kraft des Kampfes ausmachen. In diesem Sinne haben wir auch über den Freund und Genossen Rodî Çekdar - Martin, gesprochen, der aus Ljubljana kam, sich den Volksverteidigungseinheiten YPG angeschlossen hatte und am 27. Juli 2016 in Minbic (Manbidsch) im Kampf gegen den IS und bei der Verteidigung der Revolution gefallen ist.

Wir hatten auch das Glück, seine Schwester treffen zu können. Diese Begegnung hat uns viel Kraft gegeben und einen alltäglichen Bezugspunkt zu Gefallenen der Revolution für die Aktivist*innen in Slowenien eröffnet.

Ihr habt die revolutionäre Geschichte Sloweniens als Teil Jugoslawiens angesprochen. Was ist euch in Bezug zur Revolution in Kurdistan aufgefallen?

Gerade die Frage der kulturellen Identitäten spielte in der „Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien“, zu der Slowenien gehörte, eine entscheidende Rolle. Wie können Menschen regionale und nationale Identitäten ausleben - diese sogar stärken - ohne in Nationalismus zu verfallen? Wie kann die Unterschiedlichkeit in der Einheit bewahrt werden?

Diese Fragen sind auch in der demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien eine konkrete Herausforderung, der sich täglich gestellt wird. In Jugoslawien ist diese Auseinandersetzung leider nicht geglückt. Neben anderen wichtigen Faktoren ist Jugoslawien an dieser Frage zerbrochen. Nachdem Tito 1980 als einigende Figur verstorben war, verschärften sich die nationalistischen Tendenzen, bis es 1991 zum offenen Krieg kam und im Nachgang zur Nationalstaatsgründung. Ein neuer Staat wurde erschaffen, der sich nicht mehr an sozialistischen Ideen, sondern dem westlichen liberalen Kapitalismus Europas orientierte.

Ein weiterer interessanter Punkt für uns war die Positionierung Jugoslawiens während des Kalten Krieges. Jugoslawien stand dabei zwischen der UDSSR und dem kapitalistischen Westen. Die Regierung Titos versuchte den sogenannten „Dritten Weg“ als Teil der „Bewegung der blockfreien Staaten“ zwischen den unterschiedlichen Mächten zu finden. Dies gelang ihm zu einem gewissen Grad.

In Syrien sehen wir einen „Dritten Weg“, auch wenn dieser nicht zwischen zwei Blöcken, dem Sozialismus oder Kapitalismus liegt.  Der „Dritte Weg“ der Revolution setzt auf die Kräfte der demokratischen Gesellschaften im Mittleren Ostens und stellt sich nicht auf die Seite ausländischer imperialistischer Kräfte, die Syrien nach ihren Interessen neu gestalten wollen. Und sich gleichzeitig auch nicht auf die Seite regionaler Mächte stellt, die am Status Quo festhalten wollen.

Den „Dritten Weg“ der kurdischen Befreiungsbewegung finden wir zudem in der grundlegenden Annäherung an den Staat an sich. Diese Annäherung ist ein großer Unterschied zum Sozialismus Jugoslawiens. Auch wenn sich von der UDSSR und dem Stalinismus abgegrenzt wurde, blieb Jugoslawien im staatlichen Paradigma verfangen. Der Frage des Staates wurde sich zu wenig gestellt.

Die Bewegung in Syrien lehnt den Staat als gesellschaftliche Ordnungskraft ab, gleichzeitig versucht sie mit dem syrischen Zentralstaat einen Kompromiss zur Realisierung einer politischen Lösung der Krise zu finden. Es geht nicht darum, das alte System von heute auf morgen abzuschaffen, sondern es durch den langfristigen Aufbau gesellschaftlicher Strukturen überflüssig zu machen und schließlich zu überwinden.

Was denkt ihr kann aus der Geschichte Jugoslawiens für die Revolution in Syrien nützlich sein?

Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern des sozialistischen Blockes, in denen die kommunistischen Parteien eine zentralistische Planwirtschaft aufbauten, basierte die Wirtschaft Jugoslawiens auf dem Prinzip der Selbstverwaltung der Betriebe durch die Arbeiter*innen. Trotzdem waren diese Betriebe eingebunden in eine zentrale Planung der gesamten Volkswirtschaft. Dieses Modell wurde vor allem vom Partisanen und späteren Mitglied der Regierung Jugoslawiens, Edvard Kardelj, entworfen und umgesetzt. Wir denken, dass diese Erfahrungen einer Wirtschaftspolitik zwischen Zentralität und Dezentralität, internationalem Handel und Selbstversorgung, auch für den Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft in der demokratischen Föderation Nordostsyrien von Interesse sein können.

Gleichzeitig war ab den 1980er Jahren die Abhängigkeit von zum Beispiel ausländischen Krediten durch Geldgeber wie dem Internationalen Währungsfonds für Jugoslawien in der gesamten Entwicklung entscheidend. Aufgrund der Verschuldung konnte der IWF verschiedene wirtschaftliche Anpassungsprogramme in Jugoslawien durchsetzen, die die Wirtschaft weiter neoliberalisierten. Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen für die Menschen waren gravierend. Diese Abhängigkeit von der internationalen Wirtschaft und ihren Institutionen, und der damit einhergehende Einfluss, den diese deshalb auf die Entwicklungen der Länder haben, sehen wir nicht nur in Slowenien, sondern beispielsweise auch heute in Griechenland. Es ist wichtig, das in Überlegungen und Analysen einzubeziehen. Denn Krieg ist nicht nur ein offener Konflikt mit Waffen, sondern wird auch im Bereich der Wirtschaft geführt. Gegen die Revolution in Rojava wird dieser Krieg in Form von Embargos und dem Ziel der Zerstörung der wirtschaftlichen Möglichkeiten geführt.

Welche Eindrücke in Slowenien waren für euch persönlich besonders?

Wirklich beeindruckend ist die Geschichte der Partisanen und des Widerstands zum Beispiel in der Stadt Ljubljana. Sie wurde 1941 vom faschistischen Italien als Provinz annektiert. 1942 mussten die italienischen Truppen die ganze Stadt mit einem Zaun und Bunkern abriegeln, denn der Widerstand in der Stadt ließ sich nur sehr schwer brechen. In der Stadt wurden weiter Waffen für den Widerstand und Propagandamaterial gegen den Faschismus hergestellt. So gab es ein slowenisches Untergrundradio des Widerstands, das ständig den Standort wechseln musste, um nicht enttarnt zu werden und daher von Haus zu Haus wechselte. Die Bevölkerung übernahm eine große Rolle im Widerstand gegen den Faschismus. Und nicht zuletzt spielten die Partisanen, die immer professioneller wurden, die entscheidende Rolle bei der Befreiung des Landes vom Faschismus.

Diese Entschlossenheit weiter Teile der Gesellschaft - trotz scheinbar starker Unterlegenheit - dem Faschismus den Krieg anzusagen und nicht aufzugeben, ist sehr beeindruckend zu sehen. Es erinnert an den Widerstand der Bevölkerung in Rojava gegen die faschistischen Angriffe des IS und der Türkei, der - davon sind wir überzeugt - genauso wie die Partisanen in Slowenien erfolgreich sein wird.

Und für alle, die mehr über die Solidaritätsarbeit in Slowenien mit der kurdischen Bewegung und der Revolution in Syrien lernen wollen, finden Events und Veröffentlichungen auf der Facebook-Seite „Rojava kliče“, was so viel bedeutet wie „Rojava ruft“.